Banner Full-Size

Geheimzeichen der Partitur

Untertitel
Ein Kinderkonzert zum Bach-Jahr an der Musikhochschule Lübeck
Publikationsdatum
Body

„Wer hat Angst vor Johann Sebastian?“ Unter diesem Motto hatte der Studiengang Elementare Musikpädagogik an der Musikhochschule Lübeck im November des vergangenen Bach-Jahres zu einem „Hörerlebnis für Menschen ab fünf Jahren“ eingeladen. Die Veranstaltung, die im Rahmen der Konzertreihe „Neue Wege zu Bach 2000“ im Großen Saal der Hochschule stattfand, verfolgte einen doppelten Zweck: Zum einen sollte den beteiligten Kindern und Erwachsenen im Publikum ein alle Sinne integrierendes Hörerlebnis jenseits des üblichen (Kinder-) Konzertbetriebs beschert werden. Körperliche und damit auch emotionale Anbindung an das musikalische Geschehen rangierten dabei vor konkret abprüfbarem Wissen über Komponisten und Werk. Zum anderen galt es zunächst, den Studierenden die Identifikation mit dem zu behandelnden musikalischen Sachverhalt, also der Musik Johann Sebastian Bachs, zu ermöglichen und ihnen die Prinzipien des Umgangs mit dieser Musik aufzuzeigen, die über Rezeption und Reproduktion derselben hinausgehen, um dadurch ihre pädagogische und methodische Kompetenz zu verbessern.

„Wer hat Angst vor Johann Sebastian?“ Unter diesem Motto hatte der Studiengang Elementare Musikpädagogik an der Musikhochschule Lübeck im November des vergangenen Bach-Jahres zu einem „Hörerlebnis für Menschen ab fünf Jahren“ eingeladen. Die Veranstaltung, die im Rahmen der Konzertreihe „Neue Wege zu Bach 2000“ im Großen Saal der Hochschule stattfand, verfolgte einen doppelten Zweck: Zum einen sollte den beteiligten Kindern und Erwachsenen im Publikum ein alle Sinne integrierendes Hörerlebnis jenseits des üblichen (Kinder-) Konzertbetriebs beschert werden. Körperliche und damit auch emotionale Anbindung an das musikalische Geschehen rangierten dabei vor konkret abprüfbarem Wissen über Komponisten und Werk. Zum anderen galt es zunächst, den Studierenden die Identifikation mit dem zu behandelnden musikalischen Sachverhalt, also der Musik Johann Sebastian Bachs, zu ermöglichen und ihnen die Prinzipien des Umgangs mit dieser Musik aufzuzeigen, die über Rezeption und Reproduktion derselben hinausgehen, um dadurch ihre pädagogische und methodische Kompetenz zu verbessern.Musikauswahl
Zu Beginn der Planung stand die Auswahl geeigneter Musikstücke und Werkausschnitte. Die Entscheidung fiel zu Gunsten des dritten Satzes aus Bachs Violinkonzert Nr. 2 in E-Dur, weil dieser auf Grund seines klaren formalen Aufbaus (Rondo) und des rhythmisch charakteristischen Anfangsmotives im Ritornell dominante Merkmale enthält, die das Hören strukturieren und Wiedererkennungseffekte ermöglichen. Außerdem ließ die Dauer von insgesamt nur knapp drei Minuten konzentriertes und mehrmaliges Hören zu. Alle Musikstücke wurden live in einer kammermusikalischen Fassung für Violine, Violoncello und Cembalo musiziert, wobei die beiden Streichinstrumente im Lauf des Konzerts auch explizit vorgestellt wurden.

Raumgestaltung
Um eine optimale Beteiligung des Publikums zu gewährleisten, muss der Gestaltung des Konzertraumes besondere Aufmerksamkeit gelten. In diesem Fall flankierte das Publikum hufeisenförmig eine rechteckige „Tanzfläche“, an deren offenem Ende die Musiker platziert waren. Eine kleine Ausstellung mit Bildern von Johann Sebas-tian Bach und seiner Familie beim Musizieren schmückte ebenso den Konzertsaal wie grafische „Partituren“ der jeweiligen Musikstücke, die die Studierenden auf grossen Papierbögen angefertigt hatten.

Sinnlich orientiertes Hören
Die Elementare Musikpädagogik enthält in ihrer Grundkonzeption mehrkanalige Verfahren bei der Vermittlung musikalischer (Grund-) Erfahrungen. Dies bedeutet unter anderem, dass alle Sinnesbereiche – vor allem jedoch auditiver, visueller, cutaner, kinästhetischer und vestibulärer Sinn – aktiviert und miteinander verknüpft werden.

Hören geschieht also im Kontext von Fühlen, Bewegen, Sehen und somit aktivem Mitvollziehen. Besonders Hören und Bewegen sind auf Grund der physiologischen Ausstattung des Menschen eng miteinander verwoben. Jede (auditive) Wahrnehmung geht auch mit einer Empfindung einher, die sich in innerer Bewegtheit und nach aussen gerichteter Bewegung zeigen kann. Erwartet man nun von Kindern in einer Konzertsituation Bereitschaft zum aufmerksamen und konzentrierten Zuhören und Hinhören, muss eben diesen Gegebenheiten Rechnung getragen werden, damit die Musik zu einem bedeutsamen und sinnvollen Erlebnis werden kann. Wie eine solche alle Sinne einbeziehende, ganzkörperliche Hörsituation aussehen kann, soll im Folgenden anhand des erwähnten Musikbeispiels aus Bachs zweitem Violinkonzert kurz skizziert werden.

1. In Bewegung kommen...
Mit einer „Applausrakete“ begrüßen Kinder und Erwachsene aus dem Publikum die Musiker: Wir beginnen mit langsamen und leisen Klatschern rechts und links neben dem Körper, die sich in Tempo und Lautstärke allmählich steigern und im gleichzeitigen Einsatz aller Körperinstrumente (Klatschen, Stampfen, Stimmeinsatz etc.) kumulieren. Auf ein Zeichen eines „Dirigenten“ erfolgt eine plötzliche Generalpause, die mit einem leisen, erstaunten „Aaaahh“ beendet wird.

2. Alle Sinne öffnen...
Die Aufmerksamkeit des Publikums wird nun auf die ausgestellten Bilder gelenkt: Was ist zu sehen, wer ist der Mann auf dem Bild? In wenigen Sätzen wird Bach vorgestellt. Wertvolle Bilder benötigen, damit sie richtig zur Geltung kommen, auch einen kunstvollen Rahmen. Die musikalische Umrahmung der Bilder geschieht dadurch, dass das an drei Seiten der rechteckigen Bühnenfläche sitzende Publikum und die Musiker jeweils als Gruppe eine „Leiste“ des Bilderrahmens mit Klanggesten gestalten.
Eine Seite des Rahmens könnte beispielsweise aus hellem, harten Buchenholz sein, das durch helles Händeklatschen dargestellt wird. Hohles Händeklatschen und Aneinanderreiben der Hände erinnern vielleicht an dunkles Ebenholz oder faseriges Kiefernholz. Assoziationen zu weiteren Materialien (Papier, Metall, Plastik etc.) sind möglich und verweisen auf zusätzliche klangliche Varianten. Ideen aus dem Publikum werden aufgegriffen, die entsprechenden Klangaktionen festgelegt und schließlich schreiten ein oder auch mehrere „Dirigenten“ die Bühnenseiten ab und bringen dadurch den Rahmen zum Klingen.

3. Zurück zu Bach...
„Bach schrieb das Konzert Numero Zwei in E für Violine...“ Dieser Satz wird im Rhythmus der Bassstimme zu Beginn des Themas zunächst gemeinsam gesprochen und mit verschiedenen Körperinstrumenten (Klatschen, auf die Oberschenkel oder Schultern patschen, mit den Füßen stampfen, gegen die Handflächen eines Partners patschen etc.) begleitet.
Während der Wiederholungen setzen nacheinander das Cello, das Cembalo und die Violine ein und spielen die ersten sechzehn Takte des Themas mit. Die Violine und das Cello werden kurz vorgestellt.

4. Sich berühren lassen...
Obige Botschaft kann man auch in „Geheimzeichen“ übersetzen, die von den Musikern verstanden werden. Das Publikum begleitet den Continuo-Rhythmus mit in die Luft gemalten Strichen/Bögen/Kringeln und Punkten für lange und kurze Notenwerte. Die Textunterlegung verschwindet dabei allmählich. In Bachs Violinkonzert gibt es auch Teile, die an die Bilder und die grafischen Partituren der Studierenden erinnern. Zur Musik schreiben sich zwei Partner (vorzugsweise Elternteil und Kind) die Geheimschrift auf den Rücken oder malen ein fantasievolles „modernes Gemälde“. Bei Bedarf wird getauscht.

5. Mitspielen...
Jedes Kind erhält einen bunten Papierfächer, jeder Erwachsene ein Holzdirigierstäbchen. Welche Klänge kann man diesen Gegenständen entlocken? Ideen aus dem Publikum werden gesammelt und ausprobiert. Das Publikum setzt die Materialien als „Schlagzeug“ ein, um den Continuo-Rhythmus zu begleiten und dirigiert in den Zwischenteilen mit oder fächelt sich einfach nur Luft zu.

6. Mit allen Sinnen tanzen...
Alle Kinder begeben sich auf die „Tanzfläche“. Während des Ritornells begleiten sie die Musik am Platz, indem sie ihren Körper mit dem Fächer bespielen. In den Zwischenteilen bewegen sie sich frei tanzend im Raum. Die Erwachsenen verfahren mit den Dirigierstäben wie oben.

7. Zurücklehnen und geniessen...
Den Abschluss bildet die Vorführung einer szenischen Gestaltung durch die Studierenden, die mit den in der Elementaren Musikpädagogik relevanten Mitteln Körper/Bewegung, Stimme/Sprache und Instrumentalspiel neue und wiedererkennbare Aspekte von Bachs Musik zum Ausdruck bringt. Aus einer instrumentalen Improvisation über B-A-C-H entwickelt sich eine Sprechfuge, in der Witziges und Wissenswertes rund um Johann Sebastian verarbeitet ist. Höhe- und Schlusspunkt ist eine Bewegungsgestaltung zum dritten Satz des Violinkonzertes, in der ein Buchstabenrätsel versteckt ist, das vom Publikum erraten wird. Nach einer abschließenden Applausrakete verlässt das Publikum den Saal. Die Kinder erhalten am Ausgang einen „essbaren Buchstaben“ und nehmen den Fächer als Erinnerung mit nach Hause. In diesem Sinne: Keine Angst vor Johann Sebastian!

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!