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Geistiges Eigentor

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Eine Bagatelle ist eine Bagatelle. Dass Bagatellen nicht Kleinigkeiten sein müssen, das weiß man spätestens seit jenen von Beethoven. Das heißt aber keinesfalls, dass jeder Bagatellschaden einen Weltuntergang nach sich zieht, selbst in Anbetracht dessen, dass ein Sack mit Plagiaten in China umfällt. Las man hingegen Statements aus Kulturorganisationen zur so genannten Bagatellklausel im Rahmen der Urheberrechtsnovelle, dann schien es gerade so, als sei das Ende der Kunst nahe. Der Deutsche Kulturrat, dem die topografische Nähe zur Bild-Zeitung offenbar nicht gut bekommt, titelte reißerisch „Justizministerin will Kleinkriminalität legalisieren“. Dabei ging es „nur“ um unautorisierte Kopien von Musik-CDs in kleinem Umfang. Ich muss zugeben, ich bin so ein kleinkrimineller Künstlermörder. Ich plädiere aber dafür, bei unserer Kulturheiligen, den Geschäftsführern und Generalsekretären der Kulturorganisationen, Kunstrazzien durchzuführen (nach Selbstanzeige), gegebenenfalls auch zu Hause. Sie müssen ja keine Angst haben, denn man weiß, es sind die reinsten Künstler- und Kunstliebhaber, sie kaufen musikökologisch gerecht und spenden überzählige Euros in entsprechende Unterstützungsfonds, freiwillig selbstredend. Sie lieben ebenso Schnappis Komponisten und Textdichter wie den des Holzmichels und kaufen Partituren von Manfred Trojahn allein schon aus Solidarität; jeden Text, den ihr Name ziert, haben sie selbst verfasst. Sie sind die Großgutmenschen schlechthin. Jede Form von Kopie wird man vergebens suchen, sowohl bei Musik als auch bei Software.

Dabei bräuchte man das doch alles gar nicht. Die Geräteindustrie bietet längst Kopierschutzmechanismen und digitale Rechteverwertungsmechanismen an. Aber das ist irgendwie auch nicht genehm. Das sei ja böses kapitalistisches Verhalten und ist so unkünstlerisch und dann ist da auch noch der Datenschutz und das informationelle Selbstbestimmungsrecht zu beachten und überhaupt. Die Gerätehersteller kontern intelligent. „Es kann nicht sein, dass die Urheber das Inkasso ihrer Vergütung weiterhin pauschal auf die Hersteller und Käufer von digitalen Geräten abwälzen, wenn sie selbst in der Lage sind, individuell gegenüber den Nutzern ihrer Inhalte abzurechnen.“ Stimmt! Gerade aus Sicht der Kulturschaffenden, die eine faire Entlohnung wünschen, stimmt das. Doch das will in Wirklichkeit niemand, denn dann müsste man sich ernsthaft Gedanken über die Funktion, Aufgabe und den Sinn von Kunst in der Gegenwartsgesellschaft machen. Inhaltliche Fragen sind jedoch die letzten, die heute noch irgendwen interessieren. Die Wichtigkeit des eigenen Metiers wird erst juristisch zu einer solchen, nämlich dann, wenn etwas strafbar wird oder ist. Je höher die Strafe, desto höher das Gut, das da geschützt wird – so einfach ist die Logik dieser Kulturfunktionalisten von Kulturrat bis ver.di. So werfen die von Kleinkriminellen und Technologiefetischisten umzingelten Herrschaften also den ersten Stein, sie sind ohne Schuld und Fehl und Tadel!

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