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Geschenk an den Kirchentag:

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Uraufführung von Udo Zimmermanns Chorsinfonie „Ich bin eine rufende Stimme“
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Zur Eröffnung des 27. Deutschen Evangelischen Kirchentages in Leipzig fand die Uraufführung der Chorsinfonie von Udo Zimmermann statt. Der 54 Jahre alte Leipziger Opernintendant hat ein neues großes Werk geschrieben: “Ich bin eine rufende Stimme“ heißt es, fünf Solisten, drei Kammerchöre, einen Kinderchor und ein vergleichsweise üppiges Orchester beschäftigt es. Eine Auftragskomposition des Mitteldeutschen Rundfunks für dessen MDR-Musiksommer und ein Geschenk an den Kirchentag in Leipzig. „Ich bin eine rufende Stimme“ auf Texte des Neuen Testaments und Dichtungen des polnischen Autors Tadeusz Rózewicz ist ein tiefreligiöses Werk. Gefährlich religiös sogar, auf den ersten Blick. Denn bei flüchtiger Betrachtung könnte allein die Auswahl der populären Bibeltexte („Vater unser“ und „Am Anfang steht das Wort“) den Eindruck nähren, da schmisse sich ein Komponist seinem Publikum an den Hals. Aber davon kann in dem großformatigen Werk keine Rede sein: Zimmermanns Musik und Rózewicz’ Worte reflektieren kritisch die felsenfesten Überzeugungen und Ansprüche christlicher Kerntexte. Sie leugnen nicht, zertrümmern nicht, aber hinterfragen: Und bekommen keine Antworten. Sehnend irritierte Störmanöver der Solisten brechen ein in die heile Vater-unser-Welt des Kinderchores, werfen Zweifel auf, scheuen sich nicht, den anzuklagen, der die Menschen in dieser Welt sich selbst überläßt. Schon der Beginn weist in diese Richtung: Piccoloflöten-Blitze erinnern ans „Dies irae“ aus Verdis „Requiem“. Auch der Italiener hatte sich schon empört gegen jenen Gott des Todes. In diesem Sinne schuf Zimmermann eine monumentale Chorsinfonie aus einfachem Tonmaterial: viel cantus-firmus-Melodik, modale, tonale oder scheintonale Zusammenklänge, virtuose Kontrapunkte. Doch begnügt er sich nicht damit, Musik zu schreiben, die leicht ins Ohr geht. Denn dann wäre sie genauso schnell wieder draußen. „Ich bin eine rufende Stimme“ mag sich wie Verdis Requiem nicht abfinden. Aber alle Fragen, Proteste, Appelle führen zu nichts: Immerwieder verheddern sich die musikalischen wie textlichen Linien zu Knäueln, schichten sich (selten) zu gellenden Clustern, die sich erst entwirren, wenn die gleichsam naive Schlichtheit der Tradition sich erneut durchgesetzt hat. Dabei frappiert selbst in den dichtesten Passagen die Sicherheit, mit der Zimmermann sich des Vokalen annimmt: Sängern schreibt er in die Kehle, die Texte, auf die es gerade ankommt, bleiben verständlich - musikalische Schönheit mit Programm und derzeit ohne Vorbild. Udo Zimmermanns skeptische Antwort auf Anton Bruckners leuchtendes „Te Deum“, mit dem es in etwa Aufführungsdauer und Üppigkeit der Besetzung teilt, zeigte sich bestens aufgehoben in den Händen der MDR Kammerphilharmonie und den Kehlen von Gabriela Fontana (Sopran), Dalia Schaechter (Mezzo), Martin Petzold (Tenor), Stefan Genz (Bariton, wunderbar!) Hermann Christian Polster (Baß), des MDR-Chors und des MDR-Kinderchores. Kassels Generalmusikdirektor Georg Schmöhe dirigierte den Zimmermann souverän und mit viel Gespür fürs Sinnliche. Aufrichtig ergriffener Applaus in der rappelvollen Peterskirche für ein Werk, das es seinen Hörern nicht allzu schwer macht, aber sich selbst und den eigenen Anspruch auch nicht verleugnet.

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