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Harakiri

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Seit John Cage über seine Kompositionen sagte, man müsse sie ja nicht Musik nennen, wenn es einem lieber sei, haben sich Scharen von Schlaumeiern und Scharlatanen auf ihn berufen, um den Dilettantismus ihrer Nichtkunst zu rechtfertigen. Sie verkannten allerdings, dass Cage, der sich damals auf seiner Reise zu Buddha befand, diese Äußerung mit einer Perspektive der absoluten Negation machte: Angesichts der Leere ist eh alles eins. Es ist die ästhetische Metaphysik eines amerikanischen Puritaners, dessen Kritik an der Dingwelt sich durch asiatische Lehren radikalisierte, bis sie in heitere Gleichgültigkeit umschlug.

Ganz anders seine ignoranten Imitatoren hier zu Lande, die zwar den Buchstaben, aber nicht den Geist ihres Gurus verstanden haben. Mal unbedarft, mal mit theoretischem Stirnrunzeln schichten sie Geräusch auf Geräusch, Geräusch auf Klang, Klang auf Geräusch und bieten das Ganze als räumlich-akustischen Event oder Klangobjekt an, das sich selbst genügen und im übrigen die Wahrnehmung als solche in Gang setzen soll. Das macht allerdings auch jede Plakatreklame und jedes vorbeifahrende Auto.

Die Botschaft dieser Positivisten besteht nicht im Verweis auf das Nichts, sondern auf ein konkretes Material, und indem ihr Bastlerbewusstsein den Materialaspekt verabsolutiert, lenkt es von der Tatsache ab, dass es sonst nichts mitzuteilen hat. Von denen, die daran zu glauben versuchen, werden solche Produkte üblicherweise als „interessant“ taxiert. „Interessant“ ist das häufigste Nullwort in avantgardistischen Kreisen. Es wird dazu benutzt, auf die Frage „Wie fanden Sie’s denn?“ Engagement für eine Sache zu heucheln, die kein Engagement zu wecken in der Lage ist.

Der Diskurs, der sich unter Berufung auf Cage Eingang in zahlreiche Köpfe verschafft hat, ist von enormer Verlogenheit. Er profitiert von der Tatsache, dass sich vor allem in Deutschland eine Reihe Musikveranstalter und -kommentatoren den dubiosen Leitspruch zu eigen gemacht haben und mit theorieschwerer Autosuggestion die Hervorbringungen musikalischer Dilettanten bewundern – wohl mit dem Hintergedanken, damit etwas für die Kritik am „verkrusteten Musikbetrieb“ getan zu haben, den sie selbst mitverantworten. So werden Maler mit Laptops bewaffnet und nette Lebenskünstler auf Sinfonieorchester losgelassen in der Erwartung, dass das geneigte Publikum dabei die Wahrnehmung erweitern werde. Was es aber, mit Ausnahme der korrekten Adabeis, die zu allem „interessant“ sagen, auf diese Weise partout nicht will und sich damit wieder einmal als hoffnungslos verbohrt erweist. Ein Glück für die Bastler und ihre Hilfstrupps: Sie fühlen sich nun in ihrer Mission bestätigt, denn bekanntlich wird ein echter Avantgardist vom Publikum nicht verstanden.

Und schon ist eine neue Kunst des Widerstands geboren.

In dieser Szene wird immer wieder vollmundig die „Krise der Konzertform“ beschworen, der nur mit der Integration szenischer und „installativer“ Elemente in die Konzertsituation zu begegnen sei. Abgesehen davon, dass alle diese Versuche bisher meist so jämmerlich endeten, dass nicht die Krise der Konzertform, sondern die Krise der Kritik der Konzertform augen- und ohrenfällig wurde: Mit den Rezepten von Bastlern oder, um im Bild zu bleiben, von Quacksalbern ist dem Patienten nicht zu helfen.

Cage hat seine Klangexperimente ursprünglich nicht in Konzertsälen, sondern in Galerien und Universitäten vorgeführt; er wusste um die unterschiedliche Logik der Institutionen. Seine Orchesterwerke halten sich trotz ungewöhnlicher Binnenkonstellationen meist brav an die institutionellen Vorgaben. Die Revolution im Konzertsaal – laut Tucholsky ein deutscher Ersatz für die ausbleibende Revolution auf der Straße – hat er nie beabsichtigt. Zwar stellte er den europäischen Werkbegriff radikal in Frage. Doch in den USA gab es dafür gar keinen richtigen Ansatzpunkt. Das hört man auch dem New Yorker Uraufführungsmitschnitt seines Klavierkonzerts von 1958 an: Das Publikum beklatscht das „revolutionäre“ Stück als intellektuellen Spaß. Cage, der Revoluzzer? Eine typisch deutsche Erfindung.

Wenn die hiesigen Veranstalter der von ihm initiierten Entwicklung heute bereitwillig die Türen zu Institutionen wie Konzertsaal und Sinfonieorchester öffnen, müssen sie sich nach den Motiven und Konsequenzen fragen lassen. Ist es ästhetische Spielerei? Ein Versuch, europäischen Kulturballast über Bord zu werfen? Steckt dahinter die Absicht, die „Krise der Konzertform“ zu beschleunigen, indem man demonstriert, dass es in Produktion und Rezeption von Musik nicht mehr auf ein qualifiziertes Hören ankommt, sondern auf die pauschale Wahrnehmung von räumlich-akustischen Gegebenheiten, inszeniert von aufs Sehen fixierten Konzeptkünstlern?

Damit würde unter dem Banner des Forschritts allerdings das Geschäft der Politik besorgt. Gibt es doch für einen heutigen Finanzminister nichts Schöneres als Kunst, die vor lauter Progressismus Harakiri macht. Einer solchen Leiche würde niemand nachweinen.

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