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Häusliche Festspieleinkehr

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Zwischen Rundfunk, Fernsehen, CD und DVD
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Die diesjährigen Sommerfestspiele sind beendet, es bleiben Erinnerungen und bisweilen Gesamtaufnahmen – allerdings zumeist arg zeitversetzt, und oft mit mehrjähriger Verzögerung. Bisweilen braucht es Jahrzehnte, bis die Überprüfung der eigenen Erinnerung anhand einer Konserve möglich ist. Starke Erinnerungen gewinnen über die Jahre an Eigendynamik, verklären die Opernerlebnisse im Gedächtnis.

Die diesjährigen Sommerfestspiele sind beendet, es bleiben Erinnerungen und bisweilen Gesamtaufnahmen – allerdings zumeist arg zeitversetzt, und oft mit mehrjähriger Verzögerung. Bisweilen braucht es Jahrzehnte, bis die Überprüfung der eigenen Erinnerung anhand einer Konserve möglich ist. Starke Erinnerungen gewinnen über die Jahre an Eigendynamik, verklären die Opernerlebnisse im Gedächtnis. Nicht so bei der nach achtzehn Jahren erstmals veröffentlichten Aufführung von Franz Schrekers „Die Gezeichneten“, einer konzertanten Aufführung der Salzburger Festspiele 1984 in der Felsenreitschule. Die mit Kenneth Riegel (Alviano), Janis Martin (Carlotta), Hermann Becht (Tamare) und Theo Adam (Herzog Adorno) bis in die Nebenrollen hinein erstklassig besetzte, konzertante Aufführung unternahm damals den Versuch, die von Michael Gielen und Hans Neuenfeld in Frankfurt mit triumphalem Erfolg neu zur Diskussion gestellte Oper unter Reduzierung auf die Musik allein zu überzeugen. Gerd Albrecht betont auf eine sehr individuelle Weise die spätromantische Seite der Partitur, die digitale ORF-Aufnahme lässt das Radio Symphonieorchester mit Gewichtung auf das klangreiche Schlagwerk besonders wohlklingend erstrahlen. Den vollen Genuss trüben nur, wie so häufig bei Albrecht, empfindliche Kürzungen. (Orfeo C 584 0221). So bleibt dann als komplette Einspielung dieser epochalen Opernpartitur doch nur die Decca-Aufnahme unter Lothar Zagrosek, der sich allerdings in seiner jüngsten Stuttgarter Interpretation noch selbst übertroffen hat. Die Stuttgarter Inszenierung von Martin Kušej wird möglicherweise als DVD veröffentlicht werden, wohingegen Neuenfels’ Frankfurter Inszenierung, die allerdings nur in TV-Ausschnitten beim HR überdauert hat, szenisch mit sehr viel opulenteren Bildern aufgewartet hatte.

Nicht ganz so positiv wie bei den konzertanten „Gezeichneten“ fällt die Wiederbegegnung mit der ersten ungekürzten Salzburger „Frau ohne Schatten“ aus. Götz Friedrichs Inszenierung aus dem Jahre 1992 ist immer noch ein musiktheatrales Abenteuer, das von Sir Georg Solti mit großem Atem auf hoher Flamme gekocht wird, aber die fesselnde Wirkung, die diese Produktion auf der Bühne des Großen Festspielhauses hatte, erweist sich auf dem Bildschirm doch als gestrig, die Leistung der Solisten nicht ungetrübt. Spannend hingegen, den jungen Bryan Terfel als Geisterboten zu erleben. (Decca DVD 071 425-9). Knappere Ressourcen für die Kultur haben bewirkt, dass Produktionen sehr häufig eine Zweit- und Drittverwertung durch die Medien finden. Die früher unabhängig von Live-Aufführungen gefertigten und von Produzenten wie Hörern bevorzugten Studioproduktionen sind Aufnahmen gewichen, die in der Regel auf zwei Live-Mitschnitten und einer Korrektur-Einspielung basieren. Damit durch den Verkauf der CD-Rechte für die Veranstalter ein erkleckliches Sümmchen übrig bleibt, werden die Kosten des Tonstudios häufig von einem Rundfunksender als Koproduzent getragen. Die beteiligten Künstler erhalten nicht in jedem Fall einen Teilbetrag jener Gesamtsumme, die das Theater bekommt, grundsätzlich aber können sie die Vergütung ihrer Leistungsschutzrechte durch die Verwertungsgesellschaft Ton erhalten.

Die live erfolgende oder auf einem ersten Rohschnitt basierende Erstausstrahlung im Rundfunk wird für die CD-Edition zumeist durch eine Reihe weiterer Schnitte verbessert. Erst die Zweitausstrahlung des koproduzierenden Senders ist dann häufig identisch mit dem klanglichen Endprodukt der CD.

Die Erweiterung dieser Koproduktionskette schließt Fernsehen und DVD mit ein. Auch dieser Koproduktionsweg wird zunehmend beschritten. Und in der Tat erschließt sich hier für den Markt noch ein weites Feld, da selbst häufig gespielte Opern und Operetten noch nicht als Bildplatte verfügbar sind.

Was früher der graue Markt an Tonträgern anbot, wird inzwischen ganz offiziell gehandelt. Ausnahmen bestätigen die Regel: die Salzburger Neuinszenierung von Richard Strauss „Die Liebe der Danae“ sollte von zahlreichen Rundfunkanstalten ausgestrahlt werden, aber die Aufzeichnung wurde vom ORF kurzfristig gecancelled. Tonpiraten waren darauf nicht gefasst, und nun ist die erste Produktion mit der originalen Ausführung der vom Komponisten ab der Generalprobe tiefer gelegten Jupiter-Partie zu einer äußerst gesuchten Rarität geworden.

Das Monatsprogramm des ZDF-Theaterkanals stand im September ganz im Zeichen der Nibelungen. Der Bogen des Themas spannte sich dabei von Wagners „Ring“-Zyklus in der Bayreuther Inszenierung von Harry Kupfer bis zu Grillparzers „Des Meeres und der Liebe Wellen“, zu Hebbels „Gyges und sein Ring“ und Moritz Rinkes jüngster Nibelungen-Version der neu geschaffenen Nibelungen-Festspiele Worms. In dieser Reihe fehlte nur die andere Ring-Oper, Alexander Zemlinskys „König Kandaules“. Von dieser Produktion gibt es – im Gegensatz zu weit häufiger gespielten Werken des Musiktheaters – bereits zwei komplette Fernsehproduktionen, die der postumen Hamburger Uraufführung im Jahre 1996 bei Arte und die diesjährige Salzburger Festspielproduktion bei 3sat. Leider kommt es jedoch vorerst zu keiner CD- oder DVD-Veröffentlichung, was nicht nur angesichts der künstlerischen Leistungen Kent Naganos und der optischen Reize von Christine Mielitz’ praller Inszenierung bedauerlich ist, sondern insbesondere angesichts der Tatsache, dass diese Produktion – im Gegensatz zu der bei Capriccio erschienenen Uraufführung – ungekürzt war. Allerdings lassen die finanziellen Ansprüche des Dirigenten und seines Deutschen Symphonieorchesters die hierfür primär in Frage kommenden, kleineren Label vor einer Zweitverwertung derzeit zurückschrecken.

Gustav Kuhn hat sich im Jahr der Passionsspiele in dem von ihm zu seinem Festspielhaus für Wagners „Ring“ deklarierten Passionsspielhaus Erl mit seinen Tiroler Festspielen ins Umland begeben und in einem Kufsteiner Hotelsaal „Die Fledermaus“ herausgebracht, wieder in Personalunion von Dirigent und Regisseur, mit sehr beachtlichen Sänger- und überdurchschnittlichen Orchesterleistungen seines Festspielorchesters. Die Produktion erscheint, wie schon die Kuhn-Mitschnitte von Richard Strauss’ „Guntram“ und der Erler „Ring“ auf dem Label Arte Nova, obwohl dieses an BMG verkauft wurde. Kuhns legendäre Einspielung von Cornelius’ Oper „Der Cid“ ist, wie so viele Raritäten bei Koch/Schwann, durch den Verkauf dieses Unternehmens und die hierdurch erfolgte Einstellung des Klassik-Labels, derzeit nicht mehr verfügbar. Aber die bislang nicht erschienene und aufgrund ihres Umfangs auch im DeutschlandRadio nie komplett ausgestrahlte Ersteinspielung des „Don Quijote“ von Wilhelm Kienzl (Berlin 1999) erscheint im November dieses Jahres bei cpo (cpo 999 873-2; 3 CDs).
Mit der Uraufführung von Luciano Berios neuem Schluss der von Puccini unvollendet hinterlassenen „Turandot“ in Amsterdam, Los Angeles und nun bei den Salzburger Festspielen hat das von Alfredo Alfano angefügte Finale vorerst abgewirtschaftet. Gleichzeitig aber wurde Alfano als eigenständiger Komponist neu entdeckt. Die viel beachtete Kieler Produktion seiner Oper „Cyrano de Bergerac“ erscheint im nächsten Monat beim Label cpo und beweist den orchestralen Farbenreichtum des späten Veristen (cpo 999 909-2; 2 CDs).

Nach dem Thüringer Landestheater und den Thüringer Symphonikern, die durch mindestens eine CD-Koproduktion pro Spielzeit die Wirkung der eigenen Produktionen verbreiterten und verlängerten, beschritten diesen Weg der Koproduktionen in den vergangenen Jahren das Theater Hagen und das Opernhaus Kiel. Nach Schrekers „Flammen“ wird auch die diesjährige Schreker-Produktion „Christophorus – oder die Vision eine Oper“ und die kommende Wiederaufführung der Erstfassung von Schrekers „Das Spielwerk und die Prinzessin“ beim Raritätenlabel cpo erscheinen.

Der traditionelle „Götterdämmer-Schoppen“ der Deutschen Grammophon in Bayreuth fand in diesem Jahre erstmals nicht mehr statt. Zu dem wenigen, das Universal zum Thema Wagner veröffentlicht hat, gehört das frühe Melodram des betenden Gretchens, das Bayreuth-Besucher Hans-Jürgen Schatz auf einer Doppel-CD mit Konzertdramen der Romantik wie aus der Reflektion Mephistos rezitiert. Zu den echten Raritäten der in der Hörbuchreihe „Literatur“ erschienenen Edition, die deshalb den Klavierpart Holger Groschopps auch deutlich in den Hintergrund rückt, zählen Franz Liszts knapp viertelstündiges Melodram „Des toten Dichters Liebe“ und heitere Melodramen Carl Reineckes und Ferruccio Busonis (DG 471 792-2).

Wer den „Ring des Nibelungen“ aus Bayreuth auf seinem häuslichen Sofa im digitalen Rundumklang erleben will, braucht jetzt nun nur noch sieben Scheiben aufzulegen. Universal hat Patrice Chéreaus immer wieder in ihrer Intensität gefangen nehmende und in ihrer Radikalität kaum gealterte Inszenierung aus dem Jahre 1980 auf DVD herausgebracht (Philips DVD 070 407-9).

Großen Anteil an der andauernden Wirkung hat die Bildregie Brian Larges, die noch nichts von der später eingesetzten kalten Routine aufweist. Während die Einspielung klanglich durchaus fesselt, lässt die Bildauflösung Wünsche offen. Wer noch die Laser Discs dieser „Ring“-Einspielung besitzt, sollte diese nicht entsorgen, denn die Bildqualität auf den goldenen Scheiben in LP-Größe im PAL-System ist deutlich besser als die DVD-Version im amerikanischen NTSC-Format.

Eine rundum gelungene DVD-Neuerscheinung gilt einem Komponisten, dessen Opern geradezu nach dem Medium Film schreien. Erstmals ist eine Inszenierung von Erich Wolfgang Korngolds Erfolgs-Oper „Die tote Stadt“ in Bild und Ton zu erleben: Die spannende Produktion der Opéra National du Rhin aus dem Vorjahr ermöglicht unter der musikalischen Leitung von Jan Latham-Koenig zu einem Festspiel am häuslichen Bildschirm. Die eigenwillige Inszenierung von Inga Levant rückt die Ende des 19. Jahrhunderts in Brügge angesiedelte Geschichte radikal in die Gegenwart und verzichtet dabei auch auf die Auflösung der Traumebene in der Realität: Die Obsessionen der nekrophilen Hauptfigur dauern im Schlussakt an und führen – wie schon in Götz Friedrichs Inszenierung – unweigerlich zum Tod des Helden. Den singt und spielt Torsten Kerl, dass es eine Lust ist, ihm digital Sourround zuzuhören und im Format 16:9 zuzusehen, und auch Angela Denoke als Marietta bietet mehr als der Opernalltag erlaubt (Arthaus Music DVD 100 342).

Eine weitere Veröffentlichung von Korngold bringt bislang Ungehörtes: der Bariton Dietrich Henschel, am Klavier imponierend begleitet von Helmut Deutsch, mit einer schlichtweg hinreißenden Interpretation von 36 Liedern des musikalischen Wunderkindes (Harmonia Mundi HMC 197080). Zu den unveröffentlichten Piècen gehört Kurioses (Sonett für Wien; Die Gansleber im Hause Duschnitz), Frühes, was an Hugo Wolf gemahnt (Zwölf Lieder Opus 5: „So Gott und Papa will“) und Geniales (Drei Lieder auf Texte des „Heliane“-Librettisten Hans Kaltneker). Aufschlussreich ist Korngolds stark von der Gefühlswelt der bekannten Version Franz Schrekers (aus den Fünf Liedern für tiefe Stimme) abweichende Vertonung des Ronsperger-Gedichtes „Dies aber kann mein Sehnen nimmer fassen“. Im Eichendorff-Gedicht „Der Friedensbote“, das bereits in Pfitzners Vertonung äußerst problematisch über das Gedicht hinaus nationalistischen Gehalt transportiert, wird in der Version des jungen Korngold gar noch mit rasselndem Militär-Rhythmus an nationalem überboten, – so dass die zunächst verblüffende Mitteilung der Deutschen Oper Berlin, Christian Thielemann werde hier Korngolds wenig erfolgreiche Oper „Das Wunder der Heliane“ einstudieren, doch wieder sinnfällig erscheinen mag.

Diskografie

  • Franz Schreker: Die Gezeichneten. Salzburger Festspiele 1984, ORF Radio Symphonieorchester, Gerd Albrecht. Orfeo C 584 0221 (2 CDs)
  • Franz Schreker: Die Gezeichneten. Deutsches Symphonie Orchester Berlin, Lothar Zagrosek. Decca 444 442-2 (3 CDs)
  • Richard Strauss: Die Frau ohne Schatten. Salzburger Festspiele 1992, Wiener Philharmoniker, Sir Georg Solti. Decca 071 425-9 (3 DVDs).
  • Alexander Zemlinsky: Der König Kandaules. Hamburger Staatsoper, Gerd Albrecht. Capriccio 60 071-2 (2 CDs)
  • Wilhelm Kienzl: Don Quijote. Deutsches Symphonie Orchester Berlin, Gustav Kuhn. cpo 999 873-2 (3 CDs)
  • Alfredo Alfano: Cyrano de Bergerac. Oper Kiel.
    cpo 999 909-2 (2 CDs)
  • „Der Blumen Rache“. Konzertmelodramen der Romantik von Hiller, Flotow, Strauss, Liszt, Schumann, Wagner, Nietzsche, Reinecke und Busoni. Hans-Jürgen Schatz, Holger Groschopp. DG Literatur 471 792-2 (2 CDs).
  • Richard Wagner: Der Ring des Nibelungen. Bayreuther Festspiele 1980, Pierre Boulez. Philips DVD 070 407-9 (7 DVDs)
  • Erich Wolfgang Korngold: Die tote Stadt. Opéra National du Rhin, Jan Latham-Koenig. Arthaus Music DVD 100 342 (1 DVD)
  • Erich Wolfgang Korngold: Lieder. Dietrich Henschel, Helmut Deutsch. Harmonia Mundi HMC 197080 (1 CD).

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