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Humor

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Ein Männerwitzchen gefällig? A sagt zu B: Von weitem sieht sie ja ganz gut aus, wenn man sie so reden sieht. Antwortet B: Da solltest du sie aber mal aus der Nähe sehen. So ähnlich klingen die Kostproben aus den Büttenreden des kommenden Karnevals, die von einigen führenden Witzbolden in einer Kölner Boulevardzeitung zum Besten gegeben worden sind. Es geht um Angela Merkel, die erste Bundeskanzlerin Deutschlands. Weitere Themen der kölschen Humorkanonen sind unter anderem die Kleidung und die Frisur von Frau Merkel.

Gewiss war man bisher von der Erscheinung des Kanzlers Schröder verwöhnt. Mit seinen perfekt sitzenden Maßanzügen und seiner Mallorca-Bräunung sah er stets aus wie ein Dressman aus dem Lifestile-Magazin. Und dann die sonore Stimme, die so überzeugend klang! In Sachen Performance hat die neue Kanzlerin zweifellos noch einen Rückstand aufzuholen.

Politiker und Politikerinnen als Zielscheibe des Spotts sind ein alltägliches Phänomen. Es ist aber schon erstaunlich, auf welche Aspekte man sich da eingeschossen hat. Wann wäre bei einem Mann das Aussehen je so stark ins Zentrum gerückt worden? Selbst bei Helmut Kohl, der sich dazu ja angeboten hätte, hielt sich das Persönliche in Grenzen, und wenn, dann standen die Anspielungen in einem politischen Kontext. Etwa die Birnen-Metapher der „Titanic“: Sie bezog sich auf ein genaues historisches Modell, den ebenso korpulenten Bürgerkönig Louis-Philippe. Oder die bizarre Trachten-Montur, mit der Edmund Stoiber im „Spiegel“ bevorzugt abgebildet wird: Sie stutzt den bayerischen Politiker ohne Worte auf seine regionale Bedeutung zurecht.

Dass das pure Aussehen der Kanzlerin, losgelöst von politischen Verweisen, zum Thema des Humors werden kann, verrät, dass es den karnevalistischen Büttenrednern nicht um politische Inhalte geht, sondern ganz banal und direkt um die Geschlechterrolle. Sie kommen nicht klar mit der Tatsache, dass plötzlich eine Frau die mächtigste Position im Land einnehmen soll. Und damit sind sie zweifellos nicht allein.

Ihr massentauglicher Humor sagt auch etwas über kollektive Mentalitäten aus. Diese artikulierten sich in den letzten Wochen mit großer Symbolkraft in den öffentlichen Handlungen mancher Politiker, und zwar parteiübergreifend. Dazu gehörten etwa die Herablassung, die der noch amtierende Bundeskanzler seiner Nachfolgerin zunächst entgegenbrachte, die demonstrativen Versuche der Bevormundung vor den Kameras durch Stoiber oder die Äußerungen von Spitzenleuten aus CSU und SPD, eine Kanzlerin Merkel hätte selbstverständlich kein Weisungsrecht im Kabinett. Hätten dieselben Leute auch gegenüber einem Kohl oder Schröder so aufzutrumpfen gewagt?

Angesichts solcher Reaktionen konnte man den Eindruck gewinnen, dass die Tatsache, von einer Frau regiert zu werden, manchen Meinungsträgern mindest ebenso viel Kopfzerbrechen bereitet wie die Frage der Staatsverschuldung. Interessanterweise spielen sich diese Reaktionen auf zwei verschiedenen Ebenen ab. Über Finanzen und alle andern politischen Sachthemen wird bis zum Umfallen geredet und wenig gehandelt. Über Fragen zur Geschlechterrolle wird dagegen wenig geredet, dafür umso mehr auf der symbolischen Ebene agiert.

Nur die kölschen Karnevalisten sind so frei, zu sagen, was viele denken und aus Gründen der politischen Correctness nicht auszusprechen wagen. Eine Frau im Bundeskanzleramt ist insofern auch ein Lackmustest für die versteckten Vorurteile in der Gesellschaft. Und zugleich eine zivilisatorische Chance.

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