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Im Film, im Lied war er unwiderstehlich

Untertitel
Jochen Voits Ernst-Busch-Biographie liest sich wie ein Drehbuch
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Dass Lebensbeschreibungen heute mit cineastischem Flair an die Öffentlichkeit treten, daran hat man sich ja inzwischen gewöhnt. Spätestens seitdem Medienkaspar Otto Waalkes raffiniert-treuherzig titelte „Otto – Der Film“, wussten sämtliche Biographen der Republik, vor allem aber deren Verleger, was die Stunde geschlagen hatte. Auch Jochen Voit konnte (oder wollte) dieser Versuchung nicht widerstehen. Dabei passt „Ernst Busch – Die Biographie“ in ihrer denkmalgleichen Erhabenheit und behaupteten Unfehlbarkeit ebenso wenig zum Inhalt dieses nachdenklich stimmenden Buches wie das bigotte Glaubensbekenntnis der Busch-Gemeinde: „Er rührte an den Schlaf der Welt.“

Mit beidem hat Jochen Voit nichts am Hut. Und – soviel zum Lob einer aus kritischer Distanz geschriebenen Busch-Biographie –: Beide Bestandteile dieser irreführenden, ärgerlichen Titelei zerfallen angesichts des Materials, das der Autor auffährt und mit großer Eloquenz entfaltet, zu Staub.

An einer weiteren Runde Heldenverehrung ist dem Autor schlichtweg nicht gelegen, schreibt seine Busch-Biographie im Gegenteil als „Geschichte einer Versteinerung“. Ein überaus passendes Wort, dessen fataler Sinn sich vollends erst auf den letzten Seiten erschließt. Dort begegnen wir einem „Staats­monument“, das sich auf seinem Weg in die Kunst (die für den Bühnen- und Filmschauspieler, für den Polit-Sänger Ernst Busch immer heroische Kunst gewesen ist) verirrt und zum Leben nicht mehr zurückgefunden hat. Erschreckend, zu erfahren, dass Busch in seinen letzten Jahren seinen Berliner Wohnort Niederschön­hausen ausgiebig zu beschallen pflegte, indem er seine eigenen Platten bei geöffneten Fenstern wieder und wieder laufen ließ. Narzissmus in Reinkultur, dem die Gekränktheit auf dem Fuße folgt. Noch bevor der Kampf gegen die Gewöhnlichkeit der Welt in reale Krankheit umschlägt (die allerletzen Jahre muss die „lebende Legende“ in der Psychiatrie verbringen), wird der mit der Staatspartei und der Welt grantelnde Heros (der ohne Scham vor anderen selbst die Lebens-partnerin herumkommandiert) noch einmal rabiat.

1972 wird im Dresdner Albertinum anlässlich der VII. Kunstausstellung der DDR ein Busch-Poträt des Malers und bekennenden Busch-Verehrers Ronald Paris gezeigt. Busch, daran gewöhnt, in Öl, Bronze, Marmor und Gips verewigt zu werden, sieht sich plötzlich vom Denkmal in einen Sessel versetzt: Ein alter Mann, der sich den Kopf kratzt. Der Porträtierte tobt, wähnt Verrat. Zwar wird „Ernst Busch II“ nicht wie gewünscht aus der Ausstellung entfernt, aber nach Ausstellungsende vom Kulturministerium angekauft und weggeschlossen. Bis heute, konstatiert Voit, ist das vermeintliche Skandalgemälde verschollen. „Ist Busch ein Ikonoklast?“, fragt der Autor und will nicht ausschließen, dass sich Busch oder die Busch-Familie als Bilderstürmer betätigt haben könnten: „Was der Sänger vom Zaun bricht, hat jedenfalls mit Eitelkeit nichts mehr zu tun. Busch leidet unter Verfolgungswahn.“

Überhaupt hat man als Leser den Eindruck, dass sich der Autor je mehr von seiner Figur distanziert, je länger er sie betrachtet, weswegen diese Biographie auch die Geschichte einer Entfremdung ist.

Da ist, ganz zum Schluss, der skurrile, mit Busch-Tonkonserven untermalte Busch-Trauerzug. Mit einem konsterniert-kommentierenden „Mein Gott“ lässt Voit seine Biographie enden, was auf eine nachhaltige Bestürzung des Biographen hindeutet. Dabei hatte sich dieser eigentlich vorgenommen, locker-feuilletonistisch zu erzählen, gern auch im nachempfundenen Berliner Proletenjargon der 20er-Jahre. („Mit der Fresse gehst du auf keine Bühne mehr.“ „Rin in die Pedale, Umziehen, Nachschminken, stimmt so.“) Diese lockere „Schreibe“, dazu der Umstand, dass Voit seine Busch-Vita wie ein Drehbuch für einen Kinofilm angelegt hat, hat die Rezensenten landauf landab begeistert. Doch der Preis dafür ist hoch. Nicht nur, dass das cineastische Muster den narrativen Fluss verwirbelt. Indem die Regie locker mit Vor- und Rückblenden hantiert, begegnen wir dem „Arbeiter­jungen aus Kiel“, dem kleinen „Ähnz“ erst auf Seite 289 fortfolgende. Was darauf folgt, „Liebesgrüße aus Russland“, ist schon das Schlusskapitel, wiederum einen Filmtitel variierend. Schwerer wiegt, dass Voit (der eine Magisterarbeit und eine Promotion über Ernst Busch verfasst hat) gut begründete Wissenschaftsstandards bewusst unterläuft, indem er auf Tonband mitgeschnittene Busch-Interviews aus den 70er-Jahren wie aus dem Off einfließen lässt.

Wer spricht?, fragt man sich als Leser nicht nur einmal. Im Roman wäre gegen das Suggestive dieser Technik nichts einzuwenden. Nicht so in der Biographie. Den kritischen Blick auf ihren Helden hätte man dieser Lebensbeschreibung gerade dort gewünscht, wo der Sog der bewegten Bilder auf ihre eigene Wissenschaftsprosa durchschlägt. Und zu bedauern ist ferner, dass diese dem Anspruch nach kritische Busch-Biographie darauf verzichtet hat, auf analytisch-musikologischem Weg zu ergründen, was die Faszination der Busch-Lieder und ihres Vortrags ausmachte respektive ausmacht. Denn dass der Bühnenstar, der Moritatensänger, der spanienkriegerprobte „Barrikaden-Tauber“ Ernst Busch auf seine Art tatsächlich den Welt-Schlaf „angerührt“ hat – im Film, im Lied – liegt auf der Hand. Nur wie – das hätte man gern erfahren.

Jochen Voit: Er rührte an den Schlaf der Welt. Ernst Busch – Die Biographie, Aufbau-Verlag, Berlin 2010, 360 S., € 24,95, ISBN 978-3-351-02716-2

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