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Into Bonn

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Krisenhafte Perioden bringen – so lassen wir uns dieser Tage gerne beschwichtigen – immer auch Positives hervor. Klar, in wenigen Monaten nur werden Banken- und Wirtschaftssystem komplett umgestaltet sein, die Kredite werden wieder üppig sprudeln, aus den Tankdeckeln abgewrackter Luxuslimousinen werden Sonnenblumen sprießen und alle werden wir dazu gelernt haben: aus Schaden nachhaltig erklugt. Nun gilt es, diesen Effekt möglichst effizient in den verschiedenen Bereichen der Gesellschaft wirken zu lassen.

Wenig Sorgen muss man sich dabei im Falle der so genannten Kreativindustrie machen. Ihr auf den menschlichen Geist und damit höchst prekär rückversichertes Kapital ist längst in die größte virtuelle Bad Bank ausgelagert: ins Internet. Hier tummelt sich jenes verantwortungslose Künstlergesocks, das der schädlichen Ideologie von Open Source und Kollektivwissen nachhängt. Doch bald – so atmen die wahrhaft kreativ, nämlich auch pekuniär wirksam Tätigen erleichtert auf – wird sich die ökonomische Grund­erkenntnis wieder durchsetzen, die da lautet: Was nix kostet, taugt nix. Und all die visionären Geschäftsmodelle, vom digitalen Wasserzeichen bis hin zur abspiel-, pardon, kopiergeschützten Limited Deluxe Enhanced CD Edition werden krisengestärkt ihren verdienten Siegeszug antreten.

Eine Randgruppe wird freilich nicht aus eigener Kraft unter den globalen Verwerfungen hervorkriechen können: unsere Komponisten – womit selbstredend die emphatische Wortbedeutung und nicht jene gemeint ist, die das Verfertigen von Pop, Filmmusik, Gamesounds oder Klingeltönen miteinschließt. Den Tonsetzern Neuer Musik also wird wohl oder übel unter die Arme zu greifen sein, wobei nur ein sorgsam geschnürtes Maßnahmenpaket Erfolg verspricht: eine Kombination aus akustischer Umweltprämie, Bad Bank of Music und Erlebnispädagogik. Komponisten, die glaubhaft nachweisen können, dass ein Werk bisher nur bei seiner Uraufführung oder gar nicht vor Publikum erklungen ist, können dieses bei der „Zentrale für die Verbreitung schwer vermittelbarer Kompositionen“ abliefern. Diese kümmert sich dann um zielgruppengerechte Entsorgung, wobei sich bisher vor allem das Sandwichverfahren und das Gesprächskonzert als geeignet erwiesen haben. Nach diesem auch unter dem Aspekt der Selbstreinigung heilsamen Prozess werden die teilnehmenden Komponisten in deutsche Metropolen geschickt, wo sie, inspiriert von deren elektrisierender Urbanität, „Auftragswerke hart am Puls der Zeit und nahe an den Hörbedürfnissen einer Gesellschaft im Aufbruch“ (so der Ausschreibungstext) komponieren sollen. Die erste Uraufführungsserie steht – eine Verbeugung vor 60 Jahren Bundesrepublik – unter dem Motto „into Bonn“.

Spannende Entwicklungen also allerorten, Entwicklungen, die nach liebevoll-kritischer Begleitung rufen. Die neue musikzeitung möchte diese Aufgabe nicht nur in gedruckter Form wahrnehmen, sondern natürlich auch im Netz. Für Ausgewogenheit und Reflexionsniveau bürgt allein schon der Name: Bad Blog of Music. Ab Anfang Mai unter www.nmz.de

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