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Kölner Hochschule eröffnet Europäische Akademie in Montepulciano
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Jahrhundertelang war das toskanische Hügelstädtchen Montepulciano Mittelpunkt eines geopolitischen Interessenkonflikts zwischen Siena und Florenz gewesen. Neben einer reichen Renaissance-Architektur blieb der Stadt aus dieser goldenen Zeit vor allem eine herausragende Weinbautradition erhalten. Auf den Hügeln rund um Montepulciano gedeiht noch heute einer der Spitzenweine Italiens, der vino nobile. Abgesehen davon war die ehemalige Heimatstadt des Dichters und Humanisten Angelo Ambrogini, genannt Poliziano, in Vergessenheit geraten – die jungen Leute zog es in die großen Städte. Bis 1976 Hans Werner Henze kam und dort zusammen mit Freunden und interessierten Bürgern den „Cantiere Internazionale dell’Arte“ gründete und damit den Versuch unternahm, seine Vision eines erweiterten Kunstbegriffs in die Realität umzusetzen.

Jahrhundertelang war das toskanische Hügelstädtchen Montepulciano Mittelpunkt eines geopolitischen Interessenkonflikts zwischen Siena und Florenz gewesen. Neben einer reichen Renaissance-Architektur blieb der Stadt aus dieser goldenen Zeit vor allem eine herausragende Weinbautradition erhalten. Auf den Hügeln rund um Montepulciano gedeiht noch heute einer der Spitzenweine Italiens, der vino nobile. Abgesehen davon war die ehemalige Heimatstadt des Dichters und Humanisten Angelo Ambrogini, genannt Poliziano, in Vergessenheit geraten – die jungen Leute zog es in die großen Städte. Bis 1976 Hans Werner Henze kam und dort zusammen mit Freunden und interessierten Bürgern den „Cantiere Internazionale dell’Arte“ gründete und damit den Versuch unternahm, seine Vision eines erweiterten Kunstbegriffs in die Realität umzusetzen.Letztlich holte ihn und seine Mitträumer die Realität auch im abgelegenen Montepulciano ein. Heute existiert der Cantiere nur mehr in einer Rumpfversion, die mit der ursprünglichen Idee einer Kulturwerkstatt für junge Musiker aus Europa, die sich gemeinsam mit der lokalen Bevölkerung an zeitgenössischen Musikprojekten versuchen, nicht mehr viel gemein hat.

Doch Henzes bildungspolitische Ideen wirken bis in die Gegenwart: Mit dem neu renovierten Palazzo Ricci, nur wenige Schritte vom historischen Zentrum Montepulcianos entfernt, ist die Kölner Hochschule die erste deutsche Musikhochschule mit einem Institut in Italien.

Zur Eröffnung der Europäischen Akademie im Juni 2001 empfingen Piero di Betto, Bürgermeister von Montepulciano, und Werner Lohmann, Rektor der Musikhochschule Köln, zahlreiche Ehrengäste, darunter Fritjof von Nordenskjöld, Botschafter der Bundesrepublik, und etliche der Sponsoren. Doch einer war nicht gekommen: Hans Werner Henze. Lohmann hatte seinen früheren Kölner Kollegen zwar vorab in Rom besucht und persönlich eingeladen. Doch Henze war auch bei dieser Einladung seinem Eid, nie mehr einen Fuß in die Stadt zu setzen, treu geblieben (Henze und die Poliziani, so nennen sich die Einwohner von Montepulciano selber, hatten sich schon vor Jahren im Zusammenhang mit Cantiere-Angelegenheiten überworfen).

Auch wenn Henze nicht persönlich anwesend war, so war er dennoch allgegenwärtig. Schließlich hatte ihn während eines Cantiere vor knapp zwanzig Jahren der damalige Rektor der Kölner Hochschule, Franz Müller-Heuser, für eine Professur für Komposition in Köln gewinnen können. Henze schließlich verdankten die Kölner Studenten, Professoren und Dozenten den engen Kontakt zum „Cantiere Internazionale dell’Arte“, lange Jahre eine (positive) Ausnahmeerscheinung unter den vielen Musikfestivals, die seit den 80er-Jahren allerorts aus dem Boden schossen.

Erste Ideen für eine Akademie in Montepulciano gehen noch auf diese Zeit mit Henze in Köln zurück. Als Lohmann 1997 Müller-Heuser als Rektor nachfolgte, gab es außer Plänen und Kontakten wenig Konkretes. Angeregt durch eine Arbeitsphase der Kölner Opernschule, die hier „Alcina“ probte und aufführte, bündelte Lohmann noch einmal die Kräfte. Vor allem gelang es ihm, Sponsoren zu finden. Denn Landesmittel aus Nordrhein-Westfalen konnten aus rechtlichen Gründen für Italien nicht gegeben werden. EU-Mittel im siebenstelligen Bereich waren zugesagt, fielen dann aber von heute auf morgen weg, als ein Erdbeben die Gegend um Assisi verwüstete und das Geld für Hilfe und Wiederaufbau umgeleitet wurde. Mit Hilfe von Stiftungen und privaten Geldgebern brachte Lohmann einen Etat von über zwei Millionen für die Renovierung des Palazzo zusammen. Im Gegenzug verlieh der Besitzer des Palazzo, die Stadt Montepulciano, der Kölner Hochschule ein Alleinnutzungsrecht für die Dauer von 30 Jahren. Die Dozenten für die „Europäischen Meisterkurse“ arbeiten bis heute kostenlos, angezogen von der Aura der Stadt, der Landschaft, vielleicht auch des Cantiere. „Die Meisterkurse sind ein Teil und niemals das Ganze“, betont Lohmann. „Einen Ort für Meisterkurse hätten wir einfacher haben können.“

Auch wenn sich Lohmann mit Henzes kulturpolitischen Ideen aus den Siebzigern nicht identifiziert, eine enge Verzahnung mit dem Cantiere, mit der örtlichen Musikschule und dem kulturellen Leben der Stadt zählt zum Konzept der Akadamie. „Wir wollen uns hier einbringen und nicht eine Insel sein, die völlig losgelöst ist von allem anderen hier.“ Doch damit hier eine lebendige Akademie entsteht, wird Austausch wichtig sein: nicht nur zwischen Montepulciano und Köln, sondern auch auf dem Level Europa: „Ab Herbst“, so Lohmann, „können praktisch alle europäischen Hochschulen als Einzelhochschule, als Verbund, als Klasse, als Ensemble, als Projekt hierher kommen, die Räume gegen einen Unkos-tenbeitrag in Anspruch nehmen und hier arbeiten. Die erste Institution wird das Mozarteum sein, dann will die Basler Hochschule hier arbeiten.“

In ein, zwei Jahren will die Akademie ein Ganzjahresbetrieb sein, bei dem Meisterkurse nur der Spezialfall unter vielen anderen Kulturprojekten sein soll. Dabei wird durchaus über den Bereich der Musik hinaus gedacht, wie angestrebte Kooperationen mit der Villa Romana in Florenz oder der Sprachuniversität in Siena zeigen. Vergleichbar der Villa Massimo in Rom sollen auch Stipendien vergeben werden. Der Europäischen Akademie Montepulciano bietet sich jetzt die Chance zu einer bedeutenden europäischen Musikwerkstatt zu werden. Institutionen und Netzwerke stehen zur Verfügung, wie der Deutsche Akademische Austauschdienst, das Sokrates/Erasmus-Programm und andere europäische Geldmittel.

Das Eröffnungsfestival selber hatte diesen europäischen Gedanken bereits verwirklicht und Studenten und Musiker aus verschiedenen EU-Ländern eingeladen. Vier Tage Konzerte im Teatro Poliziano, in der Kirche San Biagio, auf der Piazza, im Palazzo Ricci oder im Dom hinterließen jedoch einen zwiespältigen Eindruck. Einzelne Aufführungen zeigten das hohe Niveau der jungen Musiker wie zum Beispiel ein Kammermusikkonzert mit Haydns „Lerchenquartett“ und dem Sextett von Brahms in B-Dur. Oder auch eine etwas allzu „komödienhaft“ inszenierte, im Ambiente des kleinen Barocktheaters aber doch sehr wirkungsvoll aufgeführte „Così fan tutte“. Sinfonisches von Mozart, Weber oder Schubert war dagegen einfach Festmusik vor Renaissance-Kulisse. Es fehlte jede musikalische Reminiszenz an das Gastgeberland Italien – das ist schließlich nicht nur eine Frage der Höflichkeit, sondern auch des Konzepts. Italien durfte bestenfalls die folkloristisch-kulinarischen Ingredienzien zum Festival beisteuern, die Kunst kam aus Deutschland.

Noch auffallender aber war: Es fehlte das 20. Jahrhundert. Kein Scelsi, kein Dallapiccola, kein Nono, weder Berio noch Henze. Nicht einmal Klassiker der Moderne wie Schönberg, Strawinsky oder Britten waren bei der Programmierung in Betracht gezogen worden. Trotz dieser Rückwärtsgewandtheit lag Aufbruchstimmung in der Luft. Der Palast steht, die Finanzierung der Akademie scheint gesichert. Werner Lohmann, der als Rektor nicht wieder gewählt wurde und sein Amt noch in diesem Jahr an Josef Protschka abgibt, kann den Palazzo komplett renoviert und voll funktionstüchtig an die zukünftigen Nutzer übergeben. Die Inhalte der Akademiearbeit sind dagegen noch nicht festgelegt. Sie liegen in den Händen derer, die sich dort engagieren werden. Das ist gut so, auch wenn noch manche Frage offen bleibt. Zum Beispiel: Wer vergibt die Stipendien, wer wählt die Hochschulen aus, die zur Nutzung in Betracht kommen, wer hält letztlich Unterricht in Montepulciano?

Noch einmal Hans Werner Henze: Es war sicher besser, dass er nicht zum Festakt gekommen war, denn damit wäre der Akademie automatisch sein Stempel aufgedrückt worden. Ohne den Übervater als Schirmherr wird es der Europäischen Akademie leichter fallen, zu verdeutlichen, was sie Neues will.

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