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„jedes ding hat einmal ein end ...“

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Das Münchner Rosamunde Quartett hört auf, die Aufnahmen bleiben
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Es sind zuweilen Redensarten, auf denen manch Artifizielles sich aufbaut, das jenseits der Floskeln als Kunst sich definiert. Der große Wortartist Ernst Jandl beispielsweise, Wiener und Provokateur, hat nach dem Motto „ottos mops trotzt“ in überschäumender Phantasie auch auf der Basis volkstümlicher Kommunikationsalltäglichkeiten Folgendes durchgeführt: „jedes ding hat einmal ein end nur die wurst hat zwei.“ Hat das etwas mit dem Rosamunde Quartett aus München zu tun?

Es sind zuweilen Redensarten, auf denen manch Artifizielles sich aufbaut, das jenseits der Floskeln als Kunst sich definiert. Der große Wortartist Ernst Jandl beispielsweise, Wiener und Provokateur, hat nach dem Motto „ottos mops trotzt“ in überschäumender Phantasie auch auf der Basis volkstümlicher Kommunikationsalltäglichkeiten Folgendes durchgeführt: „jedes ding hat einmal ein end nur die wurst hat zwei.“ Hat das etwas mit dem Rosamunde Quartett aus München zu tun?

Erst ein zweiter und dann genauerer Blick erschließt Geographisches und Mentales. Sind doch die Rosamunde-Leute wenigstens zu fünfzig Prozent innerlich oder äußerlich verwienert. Ist doch der Primarius gebürtig von dort. Und reist doch die britisch gewürzte zweite Geige immer an aus Österreichs Kapitale. Da mag ein Grund zu finden sein, warum Münchens einzigartiges Streichquartett aufhört. Das ewige Zueinanderreisen. Nicht das gemeinsame Unterwegssein. Das gehört professionell zum Quartettalltag, wenn eine Formation schon jenseits des eigenen Stadtbezirks etwas gelten will. Und die Geltung der Münchner hatte sich beachtlich nach oben hochgespielt, hat sich vorgearbeitet bis in den Vorgarten des Quartett-Olymps, hatte schon die Klinke der Türe in der Hand, die ins Innerste oder Höchste gar führt.

Ein Streichquartett ist wie jede musikalische Formation ein überaus sensibler Organismus, abhängig im Funktionieren von unendlich vielen Feinheiten der Aktion und der Interaktion. Es müssen gar keine Herzrhythmus-störungen sein – es reichen Störungen, die ein reisetechnischer Fahrplan auslöst, um das Gleichgewicht von vier Individuen zu (zer)stören. Nach dem vierten und zugleich letzten der innovativen Abende in der Aula von Münchens Akademie der Bildenden Künste, in deren Aura sich wahrhaft Außergewöhnliches ereignet hatte, ist Schluss: von Bach bis Pärt, von Joffe bis Mansurian, bis zu Gesprächen mit dem Publikum – das Rosamunde Quartett stellte sich den Fragen zu Stil und Stille, zu Abfolge und Aufbau und Offenheit und Introversion. Von tiefen Gedanken bis zu hohen Gefühlen, von Faktenvermittlung bis Abtauchen und Abheben spannten sich die Bögen.

Klar, Quartette werden weiter spielen in München, werden das, was die Agenten für profitträchtig halten, abliefern und die Konzertveranstalter halten den Klingelbeutel drunter. Dass die Leute an der Isar so blöd nicht sind und durchaus ungewöhnliche Programme lieben, erweist nicht zuletzt der Erfolg von Rosamundes Viererblock mit viermal öffentlichen Proben, viermal Konzert, viermal Gespräch und viermal ins Programmumfeld passendem Film. Es war eine tolle Idee, das Ganzheitliche von Kunst viermal immer wieder neu ins Bewusstsein zu rufen. Und das sollte ja Fortsetzungen finden, das Rosamunde Quartett wollte sich in der geographischen und mentalen Heimat mit einer eigenen Quartett-Reihe fester verwurzeln, so wie Kollegen das in Wien, London, New York und sonst noch wo praktizieren. Nun müsste es aktualisiert und Ernst Jandl paraphrasierend dann heißen „jedes ding hat einmal ein end – nur zwei currywürste (alternativ weißwürste oder wienerle) haben vier“ …

Wer wird jetzt in München und in Nordeuropa, in Armenien, im Rest von Europa die nordische Musik spielen, wer wird die Innovationen aus Georgien einbringen und einspielen bei ECM, wer wird mit solcher Hingabe und Musikalität und Intelligenz und Liebe vor allem derart begeistern?

Diese Nachricht also fürs Aus des Rosamunde Quartetts stimmt tatsächlich tief traurig. Und doch wohnt jedem (Neu)Anfang (der einem Ende folgen mag) unsäglicher Zauber inne. Alle vier sind in einer Jugendlichkeit, die neue Projekte und eigene noch dazu möglich macht. Das wollen alle angehen. Und da geht es dieser multinationalen Formation wie mancher Vorgängerinstitution auch schon. Da ergeht es den Rosamundes wie dem Baum in Jandls „dingfest“:

auch die harten schwarzen
knospen, auch die säumigen
knospen öffnet das licht.

auch die schönen weißen
blüten, auch die duftenden
blüten zerstreut der wind.

auch die schönen grünen
blätter, auch die sonnigen
blätter zerreibt der wind.

auch die alten großen
bäume, auch die beständigen
bäume bricht die zeit.

Und immer ist das auch im Bewusstsein, dass das Ende Humus für neue Anfänge sein kann. In diesem Sinn also bleibt die Freude, Tonträger kaufen zu können, auf denen das wahrhaft Unverwechselbare, weltweit Gepriesene der Rosamunde-Leute immer wieder neu gehört werden kann. Und dem einen oder der anderen werden wir da und dort neu begegnen, in neuen Zusammenhängen, in neuen Konstellationen, in neuen Herausforderungen an Geist und Fingerfertigkeit und Klugheit, an Offenheit und an Verknüpfen können. Ein Kapitel „Aus dem Quartettbuch“ geht zu Ende. Start frei für Neues.

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