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Politisches Musiktheater: In Volker Löschs Inszenierung von Verdis „Macbeth“ am Theater Magdeburg nahm der Laiensprechchor der Hexen auch die Landesregierung von Sachsen-Anhalt ins Visier.  Foto: Nilz Böhme
Politisches Musiktheater: In Volker Löschs Inszenierung von Verdis „Macbeth“ am Theater Magdeburg nahm der Laiensprechchor der Hexen auch die Landesregierung von Sachsen-Anhalt ins Visier. Foto: Nilz Böhme
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Keine Konzepte im Land der Frühaufsteher

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In Sachsen-Anhalt drohen Einschnitte in die kulturelle Substanz
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In Sachsen-Anhalt lebt die Kultur im Moment weniger von der Freude über Gelungenes, dem Ärger über Missglücktes oder dem produktiven Streit über eine ästhetische Herausforderung. Sie kämpft stattdessen vor allem ums pure Überleben. Wobei sich in diesem Bundesland mit der großen Musik- und Theatertradition und ihren immer noch imponierenden Erbstücken die Opernhäuser, Theater und Orchester nicht etwa hinter ihrem zuständigen Minister sammeln, um allzu forsche Kürzungsvorgaben aus dem Finanzministerium abzuwehren. In Sachsen-Anhalt sind sie fast völlig auf sich allein und ihr Publikum gestellt.

Für die Kultur ist die regierende große Koalition ein Desaster. Der CDU-Regierungschef fällt weder seinem Finanz-, noch seinem Kultusminister (beide SPD) bei ihren Angriffen auf die kulturelle Substanz des Landes in den Arm. So sind lautstarke Proteste der Betroffenen aus Dessau und Halle in der Landeshauptstadt an der Tagesordnung. Sollten die geplanten Einschnitte Ende November vom Parlament so beschlossen werden, sehen sich einige große Einrichtungen – vor allem in Dessau aber auch in Halle – am Rande der Spielfähigkeit. 

Diesmal lief die Spielzeit noch „normal“ an. In Magdeburg gab es einen ziemlich frechen „Macbeth“, bei dem der von Volker Lösch eingefügte Chor von Magdeburger Hexen auch die Landesregierung nicht schonte. In Dessau hob sich der Vorhang für „Norma“, und die Hallenser wagten mit „Sky Disc“ gar die Uraufführung einer Oper über die wahrzeichenverdächtige Himmelsscheibe. Die Ballett-Truppen aller drei Häuser meldeten sich ebenso lebendig zu Wort wie die Schauspielensembles und die Orchester.

Doch ob das so bleiben wird, steht in den Sternen. In Sachsen-Anhalt ist die Kulturpolitik zum bloßen Anhängsel der Finanzpolitik degeneriert. Natürlich muss jeder Finanzminister das ihm anvertraute Geld zusammenhalten. Und wenn es knapp wird, auch kürzen. Die Kunst besteht freilich darin, dennoch zu gestalten. Indem man auf die Stärken setzt, die man hat, beziehungsweise mit Aussicht auf Erfolg entwickeln kann. Was hier nur heißen kann: Kultur und Wissenschaft als harte Standortfaktoren zu akzeptieren und finanziell auch so zu behandeln. Mindestens so, wie es die Nachbarn in Sachsen und Thüringen versuchen.

In Magdeburg schaffen es solche Bekenntnisse nicht mal mehr in die Sonntagsreden. Um sieben Millionen Euro wollen Jens Bullerjahn (Finanzen) und Stephan Dorgerloh (Kultur) die Landeszuschüsse für die kommunalen Mehrspartenhäuser in Dessau und Halle kürzen. Das besonders fahrlässig in Kauf genommene komplette Aus für das Theater in Eisleben konnte durch einen Kraftakt vor Ort gerade noch abgewendet werden.

Das Theater in der Landeshauptstadt selbst trifft es nicht. Dort sind die Zuschüsse pro Einwohner am niedrigsten. Das soll in einer makabren Verballhornung des Terminus „Magdeburger Modell“ das Maß der Dinge für alle anderen sein.

Wozu braucht man dann eigentlich in Halle ein großes A-Orchester, wenn es woanders auch gute B-Orchester gibt? Eine „verkaufte Braut“ wird man schon noch hinkriegen. Dass hier zwei Orchester unter klaren Prämissen fusioniert wurden, ein Zusammenwachsen mit Personalabbau Zeit braucht, um die künstlerische Qualität zu sichern, aber auch, dass die Musiker seit Jahren im Rahmen von Haustarifverträgen einen erheblichen Anteil zur Finanzierung dieses Prozesses beisteuern – wen interessiert das schon? Hat man sich dann unter Druck gerade mal ein Bekenntnis zu einem A-Orchester abgerungen, werden vom Minister Zahlen über angeblich zu teure Musiker kolportiert, die eine zu recht genervte Richtigstellung des Orchestervorstandes nach sich ziehen. 

Und wozu ein Mehrspartenhaus in Dessau? Sollen doch die Dessauer nach Halle oder nach Berlin fahren, (und nicht wie bisher viele Berliner nach Dessau locken) wenn sie unbedingt Oper sehen wollen! Wozu überhaupt Verzicht, ja Selbstausbeutung der Künstler durch niedrigere Haustarife honorieren, wenn es Tarifverträge gibt, durch deren volle Anwendung sich der ganze aufmüpfige und dauernd nur nörgelnde Kulturbereich, bei gedeckelten beziehungsweise sinkenden Zuschüssen, sowieso über kurz oder lang von selbst erledigt …

Diskutiert wird in Sachsen-Anhalt mit den Betroffenen nicht. Es gab zwar einen groß aufgezogenen Kulturkonvent, bei dem sich alle Teilnehmer große Mühe gaben, die Perspektiven für das Kulturland aufzuzeigen. Aber welchen Politiker interessiert das schon!

Dem Zehn-Milliarden-Euro-Landeshaushalt „erspart“ der jetzt eingeschlagene kulturelle Crash-Kurs Ausgaben von ungefähr sieben Millionen Euro. An der Berechnung der Kosten für Abfindungen und die ziemlich komplexen Folgeschäden für die Attraktivität der Standorte versagt dann aber die Rechenkunst der Sparkommissare. Die reden sich mit Verschuldung und abnehmender Bevölkerung heraus. Und merken nicht, dass sie mit ihrem prozyklischen Kürzungsunsinn den Prozess verstärken, auf den sie angeblich reagieren wollen.

Für die längst heruntergesparten Theater aber stellt sich damit – zum ersten Mal tatsächlich – mittelfristig die Existenzfrage. Und kurzfristig, zumindest die der Spartenstruktur. Die Theater und Orchester GmbH in Halle könnte sich aus der mit der Zuschusskürzung zwangsläufig zuschnappenden Schuldenfalle nachhaltig nur durch die Aufgabe des Musiktheaters befreien. Das ist für die Händelstadt eine ebenso absurde Vorstellung, wie die, in Dessau eine imponierende und lebendige Operntradition in der 220. Spielzeit einfach abzubrechen. Erst sparen, koste es, was es wolle, und dann: Überleben sichern durch Selbstmord! Ein absurdes Theater. 

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