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Thomas Rietschel. Foto: Hufner
Thomas Rietschel. Foto: Hufner
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Keller-Geist

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Theo Geißler wird 60. Es würde mich nicht wundern, wenn es schon 70 wären oder 80. Das hat nun nichts mit seiner äußeren Erscheinung zu tun. Es liegt an seiner Präsenz, die so stetig ist, dass man sich gar nicht vorstellen kann, es habe mal Zeiten ohne Theo Geißler gegeben.

Er ist immer da, er war schon immer da, und immer an der gleichen Stelle – nämlich nahe beim Fundament, im Untergeschoss der Villa „Deutsches Musikleben“, da treibt Theo sein Unwesen. In den lichten Salons der Eitelkeiten, im Obergeschoss der Mächtigen, im Foyer des Blitzlichtgewitters ist nicht sein Platz. Er haust im Keller. Dort wo die Stützpfeiler stehen und wo in jedem Haushalt das Eingemachte lagert.

Und wenn es ihm wieder mal langt, dann wird dem Oberhaus beim monatlichen nmz-Buffet  eine Portion angegammeltes Eingemachtes präsentiert. Die ewigen Bewohner der Obergeschosse, die seit Jahrzehnten dort oben wandeln, die schimpfen dann auf den Poltergeist im Keller, der einem schon wieder das schöne Buffet mit verschimmelter Marmelade versaut. Man diskutiert darüber, wie man den unangenehmen Geist loswerden könnte – dazu kommt es jedoch nie, denn ein wenig Angst und Respekt haben alle vor ihm –, und über aller Poltergeistverfluchung vergisst man am Ende die verschimmelte Marmelade…

Aber dann wird Theo ungnädig und rüttelt heftig an den faulenden Stützpfeilern, und auf einmal beginnt das ganze Haus zu wanken.

Im Oberschoss beginnt das Licht zu flackern, es wird richtig ungemütlich und erhebliche Unruhe macht sich breit. Alle erinnern sich daran, dass man es ja schon immer vor hatte, dringend an den Stützpfeilern etwas zu tun und den Keller auszumisten, und man müsse jetzt sofort damit beginnen. Bei den endlos gleichen Diskussionen über das „Wie?“ und das „Wer mit Wem?“ und schlimmer noch „Wer mit wem nicht?“ erinnert man sich am Ende dann auch immer wieder an den Fachmann aus dem Untergeschoss, und dann moderiert Theo Podiumsdiskussionen und wird zu den AGs im Obergeschoss an den Tisch gebeten. Er kennt sich nämlich aus, nicht nur im Untergeschoss, sondern vor allem draußen, außerhalb der Villa Musikleben. Und wenn alles gut geht, wird am Ende sogar wirklich repariert, wird ein wenig Keller ausgemistet, werden morsche Stützpfeiler geflickt.

Anschließend lehnt man sich befriedigt zurück, bis nach einiger Zeit vergammeltes Apfelkompott auf den Tisch kommt…

Lieber Theo, ohne Dich wäre die Villa Musikleben nicht das, was sie heute ist. Und hoffentlich können wir noch sehr lange mit Dir im Geißler-Keller zusammensitzen, ein wenig an den Fundamenten bohren und vor allem: ans Eingemachte gehen!

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