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Kinderoper zwischen Kunst und Pädagogik

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Zu einer ästhetisch salonfähig gewordenen Gattung
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Isolde Schmid-Reiter (Hg.): Kinderoper. Ästhetische Herausforderung und pädagogische Verpflichtung (Schriften der Europäischen Musiktheater-Akademie, Bd. 6), 324 S., , Regensburg 2004, € 25,00, ISBN 3-932581-64-4

„Ein Autor kann aus der Gosse kommen, aus dem Gefängnis und woher auch immer, aber er wird nie aus der Kinderwelt den Weg in den Salon der Literatur schaffen.“ So skizziert Michael Ende die Schwierigkeiten eines Künstlers, der für Kinder schreiben möchte. Auf dem Feld der Kinderoper sind ähnliche Töne zu vernehmen: Komponisten und Librettisten klagen darüber, dass sie nicht ernst genommen werden. Die Ignorierung oder Abwertung des „Pädagogischen“ gilt als schick, Kritiker rümpfen pikiert die Nase über die „ästhetische Minderwertigkeit“ von Produktionen für Kinder. Gibt es Wege, ästhetische Qualität und pädagogische Verpflichtung zu vereinbaren? Mit dieser Frage beschäftigt sich der Sammelband „Kinderoper“ in über 30 Einzelbeiträgen, die zuvor auf einem Symposion der Europäischen Theaterakademie vorgetragen worden sind.

Beim Durchblättern des Buches fällt zunächst zweierlei auf: Erstens bleibt die Perspektive nicht auf den deutschsprachigen Raum beschränkt. Ein Blick ins Ausland, vorwiegend nach Osteuropa, relativiert den landeseigenen Jammerton. Zweitens sind fast alle Beiträge von Praktikern des Metiers geschrieben, während eine wissenschaftliche Forschung zum Bereich der Kinderoper bisher kaum stattgefunden hat. Der Gliederung zufolge präsentiert sich der Band als ein Sammelsurium von Erfahrungen, die unter Etiketten wie „Spielformen“, „Themen“ oder „Chancen“ lose zusammengefasst werden. Dabei kommen höchst unterschiedliche Konzeptionen zur Sprache: Adaptionen „großer Werke“ der Opernliteratur werden ebenso vorgestellt wie eigene Neuproduktionen für Kinder und mit Kindern. Bei den Autoren des Bandes herrscht Einigkeit darüber, dass Kinder ein sehr anspruchsvolles Theaterpublikum darstellen, das (im Gegensatz zu Erwachsenen) nicht leicht durch große Namen oder äußerliche Effekte zu blenden ist. „Wenn man für Kinder Theater spielen will, muss man genauso wie für Erwachsene, nur besser spielen“, sagt Stanislawsky.

Der zu Recht am Anfang platzierte Beitrag von Gunter Reiß gibt einen historischen Abriss der Ideologie von Kinderopern in Deutschland. Reiß belegt die Entwicklungen anhand der Titelblätter von Partituren und leistet dadurch einen längst überfälligen Beitrag zum stiefmütterlich behandelten Gebiet der musikpädagogischen Ikonographie.

Der anschließende Grundlagenbeitrag von Ingolf Huhn ist polemisch und polarisierend gehalten. Huhn fordert für die Kinderoper „naive Unmittelbarkeit“ und das Ausscheiden jeglicher reflektierender Elemente wie etwa Einführungen oder Illusionsbrüche. Seine Position mutet esoterisch an: Kinderoper sei eine „kommunikative Einbahnstraße“, sie solle Heimat schaffen, beruhigen und schützen, ihre Stoffe dürften nichts mit dem Alltag zu tun haben. Dies alles begründet Huhn mit kontextfreien Zitaten von Wagner und Goethe. Damit begibt er sich jedoch in Widerspruch zu seiner eigenen Forderung, dass sich Kinderoper an den Maßstäben der Erwachsenenoper orientieren solle, die sich inzwischen doch wohl weiterentwickelt hat.

Dietrich Helms schreibt über die lebendigen Traditionen der Kinderoper in England. Dort kommt dieser Gattung ein ganz anderer Stellenwert zu als in Deutschland, denn fast jeder berühmte englische Komponist schrieb ein Frühwerk für Kinderoper, wie beispielsweise Benjamin Britten.
Von den neueren Konzepten der Kinderoper im deutschsprachigen Raum werden die Zeltbühne in Köln, deren Nachahmung an der Wiener Staatsoper sowie das Konzept der szenischen Interpretation in Stuttgart näher vorgestellt. Im letzteren Fall wird auch eine Brücke zu gegenwärtigen operndidaktischen Konzeptionen geschlagen.

Die Beiträge von Kinderoper-Produzenten aus Osteuropa wirken trotz schwierigerer Arbeitsbedingungen ungebrochener und konservativer als die ihrer deutschen Kollegen. Die unter kommunistischer Herrschaft erzwungene künstlerische Normierung wird zum Teil nach der Wende unter anderen Vorzeichen fortgesetzt: so bekennt sich der bulgarische Komponist Neykov inzwischen offen zu seiner Orientierung an Andrew Lloyd Webber.

Kritisch ist anzumerken, dass der Band viel Redundanz enthält. Insbesondere einige Beiträge österreichischer Provenienz belegen lediglich die Präsenz ihrer Autoren auf dem vorangegangenen Symposion. Dem Leser werden Worthülsen wie „dislogische Formatierung“ zugemutet, man erfährt aber nur wenig über die Frage nach einer angemessenen musikalischen Ausgestaltung von Kinderopern. Umstrittene musikpädagogische Auffassungen, zum Beispiel dass Musik klüger mache, werden unreflektiert nachgebetet (Kammersänger Bernd Weikl).

Fazit: Kinderopern werden zum Glück allmählich ästhetisch salonfähig. Dringend erforderlich ist eine wissenschaftliche Aufarbeitung des Gebiets, um nicht bei Einzelerfahrungen stehen zu bleiben.

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