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Isabel Mundry ist auch eine beredte Gesprächspartnerin, die es versteht, ihre Musik einem neugierigen Publikum nahezubringen. Foto: Charlotte Oswald
Isabel Mundry ist auch eine beredte Gesprächspartnerin, die es versteht, ihre Musik einem neugierigen Publikum nahezubringen. Foto: Charlotte Oswald
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Klangwellen aus dem Garten

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Isabel Mundry bei den Tagen für Neue Musik in Weingarten
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Die sogenannte Neue Musik bedarf der Vermittlung, wenn sie einem breiteren Publikum nahegebracht werden soll. Wie aber findet man für diese Vermittlung den rechten Weg? Ein gelungenes Beispiel bieten die Internationalen Weingartener Tage für Neue Musik, die seit zwei Jahrzehnten jeweils einen Komponisten für ihr jährliches Festival einladen, damit dieser sich in Wort und Ton umfassender vorstellen kann. In diesem Jahr präsentierte sich die Komponistin Isabel Mundry in Weingarten: in einem Gesprächskonzert und mit Aufführungen ihrer Werke.
In einem Garten in Kyoto blickt Isabel Mundry auf eine Fläche von geharktem Kies – sie erkennt Wellenzeichnungen aus Stein. Kurz darauf entdeckt sie einen kleinen Wasserfall mit einem Teich – auch dort wieder: die Wellenstruktur. Diesmal aber in Bewegung versetzt durch das herabfallende Wasser, durch Windstöße und durch einen springenden Goldfisch. Mundry selbst spricht von der Irritation, die die-se Beobachtungen bei ihr auslösen. Sie beginnt, alle „künstlich stilisierten sowie naturhaft unberechenbar geformten Elemente als Zeichen zu lesen, die sich in ihrer graduellen Zeitlosigkeit oder Zeitgebundenheit gegenseitig bespiegeln und überlagern“.

Wer die Musik der 1963 geborenen Komponistin Isabel Mundry tiefer kennenlernen will, muss diese assoziativen Elemente ihres Komponierens in seine Hörerfahrung mit einbeziehen. Mundry ist keine Einfach-nur-so-Komponistin, die das Bedürfnis verspürt, ihren Gedanken und Emotionen freien Lauf zu lassen. Für sie bedeutet Musik ein „Phänomen“, das immer schon „da“ ist und dem sie „auf den Grund“ gehen will, indem sie selbst komponiert. Dabei ergeben sich die kompositorischen Fragestellungen quasi von allein: Wie kann die „Zeit“, der „Augenblick“ musikalisch gestaltet werden? Was ist ein „musikalischer Raum“?

Es sind dies keineswegs abstrakte Fragen, sie beziehen sich immer auf von außen eindringende Impressionen. Visuelle Eindrücke aus der bildenden Kunst, vom Tanz oder eben von einem japanischen Garten finden sich ebenso wie Literatur oder Musik. Mundry hat Gedichte von Thomas King oder García Lorca in Musik übertragen, sie greift auch auf musikalische Vorgaben zurück, wie in ihrer „Spiegel Bilder“-Komposition für Klarinette und Akkordeon (1996), die auf Chansons des französischen Komponisten Guillaume Dufay entstand. Etwas später hat Mundry drei Dufay-Bearbeitungen auch als Ensemblestück verkomponiert, 2004 vom Ensemble Recherche uraufgeführt. Es bildet nun den Schwerpunkt dieser CD-Einspielung, die außerdem auch noch die „Sandschleifen“ für Streichtrio, Schlagzeug und Klavier (2003/2006) enthält sowie die Kammermusik „Traces des Moments“ für Streichtrio, Klarinette und Akkordeon (2000), zu der die Beobachtungen im japanischen Garten Kyotos die strukturelle Idee geliefert haben: komponierte Reflexionen über Zeitlichkeit und Zeitlosigkeit, hineingestellt in einen dichten, differenziert und gestenreich auskomponierten Klangraum. Und das Ensemble Recherche mit dem Akkordeonspieler Teodoro Anzellotti als Gast erweist sich in allen Stücken als souveräner Gestalter.

Alle auf diesem Album enthaltenen Werke waren auch bei den diesjährigen Internationalen Weingartener Tagen für Neue Musik zu hören, allerdings nicht mit dem Ensemble Recherche, sondern mit dem von Christian Hommel angeführten Ensemble MinoTauros, das wie die Recherche-Mitglieder ebenfalls in Freiburg beheimatet ist. Und so wunderbar die Erfindung der Schallplatte auch ist – nichts ersetzt die lebendige Begegnung mit einem Komponisten und seinem Werk im Konzertsaal.

Die Weingartener Tage für Neue Musik, die alljährlich im November stattfinden, hatten diesmal Isabel Mundry eingeladen, die sich einfügte in eine inzwischen zwanzig Namen umfassende Reihe prominenter Komponistenkollegen, die seit zwei Jahrzehnten als composer in residence den Weingartener Musiktagen die individuelle Prägung verliehen: John Cage, Lachenmann, Schnebel, Rihm, Kagel, Stockhausen, Kurtág, Spahlinger, Klaus und Nicolaus A. Huber – sie alle folgten bereits der Einladung der unermüdlichen Rita Jans, der es mit bescheidenem Etat immer wieder gelingt, der Neuen Musik Gehör auch beim „normalen“, in Weingarten tatsächlich beispielhaft neugierigen Publikum zu sichern.

Im Konzertsaal spürt man die Räumlichkeit der Dufay-Adaptionen noch stärker, plastischer. Sie überwölben gleichsam die Zeiten, schaffen sich einen eigenen Klangraum, in dem sich die musikalischen Sphären verbinden. So wird Dufays Musik wie in einem teleskopartigen Zeitraffer in unsere Musiksprache förmlich hineingezogen: Die abendländische Musik zeigt sich in ihrer Geschichtlichkeit als Kontinuum.

Ein Vorzug des Weingartener Neue Musik-Festivals liegt in der Konzentration: drei Tage mit vier reichbestückten Konzerten, in denen ausschließlich Werke des jeweils eingeladenen Komponisten aufgeführt werden. Die Anwesenheit der Komponisten schafft eine vertrauliche Atmosphäre: Der sympathische Komponist zum Anfassen fördert das vorurteilsfreie Hören beim Publikum. Und Professor Mundry erwies sich, im Umgang mit Studierenden erfahren, als eine eloquente Dozentin, als sie Studentinnen des Vorarlberger Landeskonservatoriums die eigenen Werke erklärte und an den Interpretationen der beteiligten Musiker feilte.

Mit vokaler und stilistischer Sicherheit überzeugte die junge Sopranistin Silke Schwarz beim Vortrag von drei mundryschen Liedern auf Kafkatexte: „Wenn“, „Anagramm“ und „Wer?“. Akiko Okabe war ihre kompetente Klavierbegleiterin. Der Geiger Friedemann Treiber spielte fulminant das schwierige Solostück „Balancen“, ein Beleg dafür, dass sich Mundry derzeit besonders für Fragen komponierten Balancierens interessiert, für das Verhalten schwankender Gleichgewichte, ihr „Umkippen“ und ihre „Neukonstitution“.

Schließlich erklangen drei der insgesamt vier mundryschen Streichquartette. Die beiden ersten mit den Titeln „Linien“ und „Linien, Zeichnungen“ wurden vom Nomos-Quartett gespielt, das dritte „falten und fallen“, bei dem ein Hammerklavier hinzutritt, wiederum von MinoTauros-Musikern. Isabel Mundrys Komponieren nach einem Lyrikband Durs Grünbeins erreicht in diesem Werk mit einer sich fortschreibenden Variationstechnik besonders große Intensität und Innenspannung.

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