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Klopfzeichen an die Kerkerwand

Untertitel
Wie es gerade um die Musik und das Unterrichten bestellt ist – zwei Erfahrungsberichte
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Man hat ja als Musiker neben anderem Verdruss mehr Zeit in der Coronazeit, weil außer dem bisschen Unterricht ja nichts stattfindet und üben und spazierengehen nach über einem Jahr Zwangspause zwar immer noch gut und richtig, aber nicht immer reizvoll sind. Die Steuererklärung, Renovieren und Vorgarten waren auch schon dran. Dutzende Bücher sind neu gelesen, verschenkt oder aussortiert worden, hunderte CDs neu durchgehört, archiviert oder mit schlechtem Gewissen entsorgt, das Unterrichtsmaterial ist endlich sortiert und gescannt, die Notensatzdateien korrigiert oder beendet.

Was also tut der Mensch als denkendes Wesen? Theater im Fernsehen angucken, das haben wir versucht, aber es hat natürlich nicht die Faszination einer echten Aufführung. Konzerte im Internet, ja, das ist möglich, aber mir geht es so, wie auch alle meine Schüler ihren Online-Unterricht beschreiben: die Gedanken schweifen ab, man folgt dem Gebotenen nicht, man kann sich auch nichts merken, bekommt Hunger oder Durst oder checkt heimlich beim Zuhören die Whatsapp-Nachrichten. Bücher lesen, ja das geht natürlich gut. Unsere Buchkäufe haben sich verdreifacht. Aber das Lesen strengt auch an…

Ich surfe seit Monaten viel zu viel im Internet, wundere mich über den Unsinn, der da überall zu finden ist und freue mich über Fund-Stücke: Anregungen, schräge Zustandsbeschreibungen oder kühne Gedanken. Einige der Autoren kriegen Post von mir, fast alle ant­worten, wie zum Beispeil Fabien Levy, der in der letzten nmz den lesenswerten Artikel „Wenn das kulturelle Erbe zum Fetisch wird“ veröffentlicht hat. Oder Max Doehlemann, der schon am nächsten Artikel für diese Zeitung sitzt, beides Komponisten. Bei manchen entwickelt sich ein Dialog, der Unverhofftes zu Tage bringt oder Gedanken, die man selbst schon so oder so ähnlich hatte oder eigene, ganz andere anstößt.  Der Zustand ist sonderbar: man ist mit allen und allem verbunden, womit man verbunden sein möchte; die Nachrichten fliegen her und hin in Sekunden, und doch ist es vom inneren Gefühl her immer noch so, als wenn man Klopfzeichen an der Wand einer Gefängniszelle macht und hofft, daß der Nachbar den code kennt und antwortet. Ganz frei und gleichzeitig komplett eingegrenzt und in den Handlungsmöglichkeiten vollkommen limitiert sein: dieses Gefühl tut mir nicht gut. Es tut niemandem gut.

Ich fand am 18. Januar auf der Facebookseite „Gitarrenlehrer“ einen Hilferuf, der gleichzeitig eine schräge Ka­barettszene beschreibt, die die jetzige Situation aller Lehrkräfte vermutlich gut einfängt, aber meine Abneigungen gegen das Surragat des Digitalen nur noch enorm weiter verstärkt hat. Ich schrieb den Autor an, den ich nicht kannte und erbat die Abdruckgenehmigung für den Text und ein paar biografische Angaben. Er antwortete Messenger-wendend: „Ich, Jörg Richter, Baujahr 1985, wurde in der Lausitz (DDR) im schönen Bad Muskau, an der Grenze zu Polen geboren. Von den Ereignissen in der DDR bekam ich noch nicht viel mit, wurde aber dennoch durch die Erfahrungen der Großeltern und Eltern geprägt. Ich hatte immer ein sehr musikalisches Umfeld und liebte es schon als kleines Kind, der Gitarre spielenden Kindergärtnerin zu lauschen, freute mich am Abend, wenn mir Oma am Bett ein Schlaflied sang, oder Papa mit der Geige spielte.

Meine eigene musikalische Reise begann mit etwa 10 Jahren als mir mein Onkel (Keyboarder, Komponist und Tonmeister in Berlin) eine Werkmeis­ter-Orgel ins Zimmer stellte. Kurz später lernte ich Akkordeon, ein Jahr später Gitarre und irgendwann auch noch Schlagzeug (danke an die geduldigen Nachbarn).

Mit 15 trat ich als Bassist meiner ers­ten Metalband bei, mit 17 gewann ich diverse Preise, trat mit der Jugendband „Die Banjoos“ beim Tigerentenclub auf, und begann auch eigene Aufnahmen zu machen. Wer mit mir in Kontakt treten, oder einfach mehr über mich erfahren möchte, findet mich in den sozialen Medien als „Instrumentenfreak“. (JR) Dieser Text soll die allgemeine Stimmung ein bisschen aufhellen, denn wir alle sind in der gleichen misslichen Lage und wir haben alle nicht genug Macht, um diese Lage selbst beenden zu können. Wir alle sind abhängig von Entscheidern ganz weit da droben, die für ihr eigenes Dasein nichts zu befürchten haben und die für nichts zur Rechenschaft gezogen werden können, außer, wenn sie vielleicht bei der Provision für Maskengeschäfte zu dreist zugelangt haben.  Der Text soll aber auch darauf hinweisen, dass die Digitalisierung der Welt, vor allem aber die Digitalisierung der Musik nicht der Weisheit letzter Schluss ist, weil die Musik als die sozialste aller Künste, ihre Wirkung nicht aus bits und bytes bezieht, sondern aus der realen Beziehung zwischen Menschen: Lehrer-Schüler; Musiker-Musiker; Musiker-Publikum. Dieser Aspekt vor allen anderen muss immerzu behauptet und verteidigt werden. Sonst werden wir alle zu Kopien von Fidelio: jeder allein für sich in seiner Zelle, Klopfzeichen gebend…

Thomas Heyn


Teamwork zu Coronazeiten

Ich hatte heute das erste Mal fast einen Nervenzusammenbruch während einer Unterrichtsstunde. Normalerweise gebe ich Einzelunterricht (Gitarre, Keyboard, E-Drums) und das klappt online weitestgehend. Heute habe ich mich das erste Mal an Gruppenunterricht per Zoom versucht. Zielgruppe war eine Schülerband (4 beginnende Pubertiere), die einige Wochen pausiert hat, weil nie klar war, ob und wie es bald weiter geht. Da keine Lockerungen in Sicht sind, musste das Ganze jetzt online stattfinden.

Mein Plan war: Wir besprechen, welche Lieder wir als nächstes machen wollen und verschaffen uns einen ers­ten Überblick über das ausgewählte Lied.

Und so lief der Unterricht dann ab: Zoom gestartet, keine Verbindung. Neu installiert, Login-Daten rausgesucht, angemeldet, Meeting erstellt, Links versendet, Audio/Video eingestellt. 2/4 Schülern mittlerweile im Meeting, aber ohne Video/Ton. Fieberhafte Fehlersuche, irgendwann funktionierte es. Dritter Schüler fragt per WhatsApp nach ID und Passwort (braucht man eigentlich nicht, wenn man nur auf den Link klickt). Okay, kurz gegoogelt wie man das rausfindet, gefunden und weitergegeben. ...10 Minuten später meldete sich der letzte Schüler in der Gruppe an. Audio und Video scheinen zu gehen, er reagiert aber sehr zögerlich wenn ich ihn anspreche; Video hat er nach einer Minute wieder deaktiviert.

Die Tonqualität von allen Schülern ist ziemlich mies und anstrengend. Ich habe ein professionelles Setup – hoffentlich wurde das gut an die Schüler übertragen… (die äußerst detaillierte Rückmeldung war: „joa, geht“). Wir einigen uns auf „Blinding Lights – The Weekend“. Ich teile den Papierkram dafür aus, zwei Schüler fliegen aus dem Meeting, als sie den Link zum PDF anklicken, einer hat keinen Drucker.

Als sie wieder online waren, beendet Zoom das Meeting, weil 40 Minuten vorbei sind (mit Gruppen länger üben dürfen kostet Geld). Meine Nerven sind mittlerweile absolut am Boden, meine Geduld am Ende...aber Stunde ist noch nicht rum. Also ein neues Meeting erstellen, Einladungen versendet, ID und PW per WhatsApp, 3/4 erscheinen, vom letzten kam gar keine Rückmeldung mehr.

Mit letzter Kraft versuche ich noch zu vermitteln, in welcher Lage die 2 Keyboarder am besten spielen sollten und was für Sounds eventuell gut klingen. Der junge Gitarrist kann keine Barre-Griffe, daher braucht er ein Kapo und andere Akkorde (seufz). Den Beat für die Drums kann ich zu Hause nur per Cajon zeigen; das habe ich gemacht, es kam aber keine Rückmeldung, außer einem kurzen „ok“. Auf meine Aufforderung, das eben Erklärte noch mal wiederzugeben und vorzuspielen, hat nur einer der Schüler nach direkter Aufforderung reagiert.

Ich habe dann die Stunde beendet und bin bis jetzt absolut schockiert wie das lief. Von den 60 Minuten, die im Präsenzunterricht meist super laufen und Spaß machen, gingen 50 Prozent für die Lösung technischer Probleme drauf und 45 Prozent der Zeit waren ein unkommentierter Monolog.
Für sowas würde ich als Elternteil kein Geld bezahlen wollen …

Jörg Richter

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