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Konzerte, Kinderfest, Straßenmusik, Workshops

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Das Tanz- und Folkfest Rudolstadt feierte seinen 15./50. Geburtstag
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Das diesjährige Tanz- und Folkfest im thüringischen Rudolstadt, das größte und vielfältigste Weltmusikfestival Europas, verzeichnete am ersten Juliwochenende mit 65.000 Besuchern einen neuen Rekord. Die Zahl von 16.600 verkauften Dauerkarten belegt, dass der anhaltende Erfolg des Festes auch auf das Vertrauen der Besucher in die Künstlerwahl der Festivalleitung zurückzuführen ist. Obwohl in diesem Jahr mit dem Länderschwerpunkt Brasilien und dem „magischen Instrument“ E-Gitarre zwei massenwirksame Programmpunkte lockten, zeigte der Blick ins 175-seitige Programmheft, dass auf den zwanzig Bühnen der Stadt keineswegs „die üblichen Verdächtigen“ der „Szene“ zu erleben sein würden.

Die künstlerische Leitung hatte der Versuchung widerstanden, Brasilien nur als Heimat der Samba und der MPB zu präsentieren. Mit Silvério Pessoa stand der wenig bekannte nordbrasilianische Forro im Mittelpunkt des Interesses. Der Akkordeonspieler Renato Borghetti gewährte einen Einblick in die Tradition der südbrasilianischen Gauchos. Und wer partout im Samba-Rhythmus durch die Straßen der Stadt ziehen wollte, konnte sich der karnevalesken Banda Furiosa anschließen. Die Befürchtung, die neun E-Gitarren des „Magieprojekts“ würden das Festival zum Rock-Event umpolen, erwies sich als unbegründet. Auch regionale Musikstile, wie die kenianische Benga von Daniel Owino Misiani, bedienen sich schon seit den 50er-Jahren der Kraft des Wechselstroms, und ohne elektrische Verstärkung wäre die Chapman-Stick-Technik des Usbeken Enver Izmailov, mit der er alle zehn Finger über das Griffbrett führt, gar nicht hörbar gewesen.

Zum festen Programmbestandteil des TFF gehört inzwischen die Verleihung des deutschen Weltmusikpreises „RUTH“. Die Auszeichnung der „Biermösl Blosn“ aus Bayern war überfällig. Daneben begeisterten vor allem der in München lebende Libanese Rabih Abou-Khalil mit seiner Fusion aus arabischer Klassik und Folklore sowie Wolfgang Meyerings Band „Mallbrook“ mit ihren archaischen niederdeutschen Balladen das Publikum der Preisträgerkonzerte.

Erfahrene Festivalbesucher wissen, dass sie auf dem Tanz- und Folkfest nicht alle Künstler erleben können. Zu viele Konzerte laufen auf zu vielen Bühnen parallel. Dieses geplante Überangebot, das selbst profunde Kenner der Weltmusik zu angestrengtem Blättern im Programmheft zwingt, kann nur nutzen, wer sich aufs Flanieren versteht und den Mut aufbringt, etwas zu versäumen. Aber alle Besucher vertrauen der Auswahl und kommen nach Rudolstadt, um ihren Horizont zu erweitern. Gerade die unerwarteten Erlebnisse des Festivals prägen sich ein. Kinderfest, Straßenmusik, Workshops, Vorträge und die Angebote an den Ständen der Händler fügen sich mit dem eigentlichen Konzertangebot zu einem TFF-Gesamtkunstwerk, dessen Ganzheitlichkeit man sich aussetzen muss, ohne es jemals vollständig erfassen zu können.

Geschichtsbewusst besann sich das diesjährige Festival in Form eines Symposions zum sozialkritischen Lied auf den 1905 geborenen DDR-Volkskundler Wolfgang Steinitz und seine Wiederentdeckung der deutschen Volkslieder demokratischen Charakters. Historie wurde gewürdigt, doch die 1.052 mitwirkenden Künstler aus 32 Ländern zeigten sich den aktuellen Weltmusikstilen verpflichtet.

Gewiss bot die friedfertige Atmosphäre auch Gelegenheit zu naivem Eskapismus in eine wenig alltagstaugliche Multi-Kulti-Seligkeit. Die Programmgestalter einiger ARD-Anstalten scheinen das Festival deshalb nur für das Treffen einer weltfremden Minderheit zu halten. Seit 2004 ist die Beteiligung der deutschen öffentlich-rechtlichen Sender rückläufig, der NDR zog sich vollständig zurück, der WDR strich 80 Prozent seiner Mittel für das TFF. Sie übersehen dabei die eigentliche Bedeutsamkeit des bunten Rudolstädter Spektakels: Es beweist seit seiner Neubegründung 1990, dass Zehntausende in Rudolstadt und hunderttausende Radiohörer in Deutschland ihre Wissbegierde für fremde Kulturen befriedigen möchten.

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