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Kulturelle Bildung braucht Gesellschaftsbezug

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Stimmen zum Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ – Thema Kulturelle Bildung
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Die neue musikzeitung setzt ihre Serie mit Kommentaren zum Schlussbericht der Enquete-Kommission „Kultur in Deutschland“ mit dem Themenkomplex „Kulturelle Bildung“ fort. Auf den folgenden Seiten 14 und 15 sowie auf Seite 34 nehmen Fachleute aus betroffenen Verbänden und Akademien Stellung zu den auf Seite 14 abgedruckten Handlungsempfehlungen der Kommission. Zunächst werden sie hier von dem Musikpädagogen Christoph Gotthardt kommentiert:

Beim Umgang mit kultureller Bildung geht es um Kunst und Kultur, aber immer auch um die Menschen, die daran teilhaben, Zugang erhalten und Träger sein sollen. Angesichts der aktuellen deutschen Bildungsdiskussion ist grundlegend hervorzuheben, dass es dabei nicht um eine begrenzte, sondern um die Gesamtgesellschaft als Zielgruppe gehen kann, ja muss.

Der Auftrag „Kunst und Kultur für alle“ entspricht dem demokratischen Anspruch unseres Landes und muss als gesamtgesellschaftliche Aufgabe und in jeweils eigener Weise besonders von all jenen verstanden werden, die mit Kunst und Kultur beschäftigt sind. Es greift zu kurz, wenn kulturelle Einrichtungen diesen Auftrag nur in „Alibi-Aktionen“ nachkommen, die nicht genügend Breitenwirkung entfalten, und ihn stattdessen zu sehr dem schulischen Bildungssystem überlassen.

(zu I.) Eine Bundeszentrale für kulturelle Bildung ist – trotz des Faktums der Länderzuständigkeiten – insofern zu begrüßen, als sie diesem gesamtgesellschaftlichen Bezugsfeld entspricht und sich mit ihr eine Effizienzsteigerung von Forschung verbindet.  Inhaltlich grundlegend scheint, dass kulturelle Bildung dem historisch-geografischen Traditionsraum, in dem sie steht, in besonderer Weise verpflichtet sein, dass sie gleichzeitig aber die gesellschaftlichen Integrationsnotwendigkeiten anderer/fremder Kulturen in angemessener Offenheit einbeziehen muss.

(zu II. und III.) In der kulturellen Bildung werden schulische und außerschulische Bereiche unterschieden. Diese Unterscheidung trennte in der Vergangenheit und Gegenwart zu sehr. Mehr Zusammenwirken ist nötig; ja! Wie, das ist noch weitgehend die Frage. Der Ganztagsschulbetrieb steht erst am Anfang, und eine Bildungsorganisation, die Hauptfächer nicht per se wichtiger nimmt als „weiche Kultur(Neben)Fächer“ – und sei es nur planerisch im Ganztagesverlauf –, ist mehr Wunsch als Wirklichkeit. Es geht um die Entwicklung eines Bildungsgefüges, das Kulturfächer nicht an den Rand schiebt, sondern sie so stärkt, dass qualitativ hochwertige Bildungsarbeit insbesondere auch dann möglich ist, wenn sie von außerschulischen Partnern „auf Augenhöhe“ geleistet werden soll. Effizient funktionierende Kooperationen von Schulen mit Musikschulen und außerschulischen Kultureinrichtungen brauchen administrativ getragene Ressourcen, Räume und Zeiten. Unterschiede im Berufsprofil von Schulmusikern, Instrumentalpädagogen und Musikern der Kulturinstitutionen müssen gesehen, dürfen aber nicht über Gebühr zum Problem gemacht werden. Flexibilität und mehr Verständnis für den jeweils anderen Bereich ist gefordert, und das im jeweiligen öffentlichen Bildungsauftrag enthaltene gemeinsame Ziel kooperativer Vermittlung gemeinsamer Kulturgegenstände in die Gesellschaft muss leitender Gedanke werden. Dass Musikschulen als gleichwertige Partner gestärkt und finanziell gesichert werden müssen, steht ebenso außer Frage wie der Anspruch an ihre definierte Qualität.

Das Fach „Musikvermittlung“, das sich in der Musikkultur als Vermittlungs- und Kooperationsfeld zwischen den genannten Bereichen und im Gegenüber zur Gesellschaft zu etablieren beginnt, könnte – auch in seiner altersflexiblen Zielgruppendisposition von der Vorschule bis hin zur Erwachsenen- und Seniorenbildung – möglicherweise beispielhaft für andere Kulturbereiche sein und tragfähigere Brücken bauen zwischen den Welten. Dem Vermittlungsaspekt in der Aus- und Fortbildung kultureller Bildung mehr Bedeutung beizumessen ist folgerichtig und hilft dabei, im unzeitgemäß einseitig am Geniekult des 19. Jahrhunderts orientierten musikalischen Ausbildungsbetrieb die Verhältnisse zurecht zu rücken. Das wachsende Interesse vieler Orchester an der Musikvermittlungsarbeit ist ein Indikator dafür, dass im Kulturbetrieb ein Umdenken einsetzt und sich der enge Musikerbegriff zu weiten beginnt.

Mehr Musikpraxis ist richtig – kein Zweifel; und Singen liegt da sicher noch näher (weil einfacher und kostengünstiger?) als instrumentales Musizieren. Bedeutsam auch hier, mit welcher Entschiedenheit man Rahmenbedingung für schulische wie außerschulische Lehrkräfte schafft. Die für das Fach Musik und darüber hinaus äußerst wertvolle Schulchorarbeit etwa kann nicht auf der Basis von bloßem Engagement stattfinden.
Bei all der aktuellen JeKi-Euphorie ist sicher darauf zu achten, dass sich kulturelle Bildung nicht im bloßen Tun erschöpft, selbst wenn dies ein musikalisches ist. Mit Bildungsstandards und der Evaluation entsprechender Bildungsarbeit kann ein strategisch richtiger Fortschritt in der Bedeutungskonkurrenz der Fächer in der Post-PISA-Ära verknüpft sein. Die Frage allerdings, inwiefern der Erfolg kulturell-ästhetischer Bildungsarbeit durch vergleichbare Testverfahren überprüfbar ist, darf nicht außer Acht bleiben. Bildungsstandards für ein eigenes Fach „Kulturelle Bildung“ zu formulieren, ist bedenkenswert. Gleichwohl wäre zu prüfen, ob ein neues Fach nicht vorhandene „Kulturfächer“ schwächt und ob es nicht ausreicht, entsprechende Kompetenzbereiche in die Bildungsstandards herkömmlicher Fächer zu integrieren. 

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