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Ladenhüter

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Manche Dinge werden zu Ladenhütern, bevor der Laden überhaupt eröffnet wird. Zum Beispiel die Frage: Wohin wird sich Gerard Mortier wenden, wenn seine Salzburger Festspielzeit sich dem Ende zuneigt? Oder: Wer folgt Götz Friedrich als Generalintendant der Deutschen Oper Berlin nach? Womöglich Gerard Mortier? Oder: Wie regelt Wolfgang Wagner seine Nachfolge auf dem Grünen Hügel, sprich: bei den Bayreuther Wagner-Festspielen? Fragen, die die Nation bewegen, mehr als der Militäreinsatz im Kosovo oder die Scheinselbständigkeit. Eine Frage an die Zukunft scheint beantwortet: „Zur Rettung des in Finanznöte geratenen Festspielhauses in Baden-Baden stellen die Stadt und das Land Baden-Württemberg noch einmal 13 Millionen Mark zur Verfügung“ – das verkündete Baden-Württembergs Wirtschaftsminister Walter Döring (FDP) und fügte gleich hinzu, daß eine weitere Dauersubventionierung für das Land nicht in Betracht komme. Die Entscheidung für die Finanzhilfe sei gefallen, weil ein „schlüssiges und tragfähiges Konzept für eine bessere Zukunft“ vorliege. Eine „bessere Zukunft“ – was hieße das in diesem Fall? Einmal mehr Berliner oder Wiener Philharmoniker? Oder Anne-Sophie Mutter? Oder Gidon Kremer? Oder Alfred Brendel? Und oder: das Ensemble Modern Orchestra, damit das Alibi stimmt? Oder, weil man ja auch an die Zukunft denken muß, die Junge Deutsche Philharmonie oder das Gustav-Mahler-Jugendorchester? Der neue Intendant des Baden-Badener Festpielhauses, Andreas Mölich-Zebhauser, einstmals eine wichtige Person für die Arbeit des Frankfurter Ensemble Modern, plant und rechnet für das Baden-Badener Renommier-Unternehmen „wie verrückt“ und müßte sich doch eigentlich unentwegt die Frage vorlegen, warum er sich eigentlich alle diese Schwierigkeiten aufhalst. Gilt es den Wiener Musikverein zu retten oder das Amsterdamer Concertgebouw? Oder die Metropolitan Opera oder die Berliner Philharmonie? Nichts dergleichen: Ein paar wildgewordene Spekulanten, die glaubten, im Zeichen von Baden-Baden, Karajan, Salzburger Pfingstfestspiele und Eliette an den Ufern der kleinen Oos ein Musik-Mahagonny zu gründen, sind, wie von fast allen halbwegs Wissenden prophezeit, gehörig auf die Nase gefallen, und nun sollen Stadt und Land und ein verbissen ehrgeiziger Kunstmanager das Desaster richten. Niemand scheint sich die Frage zu stellen, was dieser überdimensionale Kulturbunker mit seinen 2.500 Plätzen im kleinen Städtchen Baden-Baden eigentlich zu suchen hat. Nur Kulturbetrieb um jeden Preis? Ein ziemlich teurer Kulturbetrieb wäre das, ein Ladenhüter, der Millionen verschlingt und doch nur konfektionierte Musikware bietet, für ein Publikum, dessen Erscheinen nicht einmal sicher ist. Die ganze Debatte um die Zukunft des Baden-Badener Festspielhauses mutet irgendwie vorsintflutlich an. Ein Kulturdampfer ist aus dem Dock geradewegs auf Sand gelaufen. Der Rest hat Schrottwert. Die verpulverten Millionen hätte man besser den von sinnlosen Kürzungen bedrohten Orchestern und Musiktheatern der neuen Länder zukommen lassen. Für Ladenhüter zahlt man ungern.

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