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Langsam zurück ins Leben?

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Was bedeutet diese Frage für die Existenz der Musik und die Lebensauffassung derer, die Musik lieben und praktizieren?
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Es gibt hier zwei Gruppen zu unterscheiden: Die Liebhaber und die Berufstätigen. „Zurück ins Leben“ oder in das „frühere“ Leben ist möglicherweise für die Rezipienten der Musik nicht die vordringlichste Frage, denn Musik war ohne Unterbrechung konsumierbar – nur nicht live. Unsere Tage sind jetzt bestimmt durch die Wahrnehmung eines pandemischen weltweiten Geschehens und auch durch die Politik und die entsprechenden Maßnahmen. Für die Gruppe der Berufstätigen ergibt sich dadurch ein ganz anderes alltägliches Leben.

Ist es denn ein neues oder unser altes Leben, dem wir uns gerade wieder annähern? Eines ist auf jeden Fall gewiss und erschließt sich uns bei oberflächlichem Nachdenken: Es gibt eine große und bisher unbekannte Spannung zwischen den in Aussicht stehenden Möglichkeiten und dem, was wir uns wünschen. Auf den ersten Blick kann man daraus schließen, dass die Rückkehr in ein früheres Leben – denn daraus stammen die Wünsche – nicht möglich ist und nicht sein wird. Die neuen Bedingungen haben leider auch etwas Problematisches an sich: Sie wechseln ihre Gesichter täglich. Wir müssen uns unentwegt in großer Kreativität und Zuversicht den sich ständig ändernden Bestimmungen stellen. Wir alle haben uns in den letzten Monaten mit der Situation arrangiert und sind auch manchmal erstaunlich neue Wege gegangen, die wir vorher nicht für möglich hielten. Wir haben uns an die seltsame Situation angepasst. Was für uns Berufsmusi­ker jedoch in die Unmöglichkeit ver­schwand, war die Live-Performance. Wo das Problem ist?

Aufführung als Ziel

Letztlich ist die Aufführung das eigentliche Ziel für den Berufsmusiker, denn fürs Üben bekommt man kein Gehalt, man muss das Erarbeitete so vorstellen, dass daraus ein Einkommen wird. Aus solchen Bedingungen heraus kann man sich als Berufsmusikerin nur die Rückkehr zu alten Zeiten wünschen.

In derselben Wunschwelt sind aber auch die Musikliebenden, die Rezipienten, die die Musik gerne und oft hören. Denn es ist schon seit ein paar Jahrhunderten so, dass die Freude am Musikhören einen geselligen Hintergrund voraussetzt. Man geht in die Oper, ins Theater, in die Kirche, ins Konzert und man ist dort möglichst nicht allein. Das gemeinsame Erleben einer Performance mit ihrer Energie, die von der Publikumsgruppe ausgeht, ist belebend für beide Seiten des Podiums. Das war schon immer so und wird sich schwerlich ändern. Aber zur Zeit ist dieses Erleben kaum möglich. Die Unbefangenheit ging verloren.

Ob 2G oder 3G ist im Grunde nicht entscheidend. Es ist eine Atmosphäre des Unbehagens im Saal. Das entspannte Miteinander hat den Schleier des Unerlaubten. Denn ist es denn die richtige Zeit, mit so vielen Menschen in einem Raum zu sein? Unabhängig vom Gesundheits- und Vorsorgestatus wirkt es fast anachronistisch, einen fremden Menschen neben sich zwei Stunden lang sitzen zu haben. Früher war das keinen Gedanken wert. Im Gegenteil: Der kurze Austausch über das Geschehen auf der Bühne gehörte zum Erlebnis einer eingeschworenen Gemeinschaft, die genau wegen des gemeinsamen Erlebens an diesem Ort zusammenkam. Und das war eines der Erfolgskriterien der Abonnementskonzerte: Man freute sich darauf, (oder fürchtete) die Platznachbarn wiederzutreffen. Was bleibt denn übrig von dem Jahrhunderte alten Gemeinschaftserleben des Musikhörens, wenn rechts und links von einem statt eines Menschen ein rotweißes Absperrband klebt. Man denkt, man sei an einer Unfallstelle.

Die Unbefangenheit ist also weg. Das mag ein Grund sein, warum die meisten Säle nur zu einem Drittel besucht werden, selten vielleicht sogar zur Hälfte. Man traut sich nicht dahin – und ich kann es verstehen. Für die Veranstalter, die dritten im Bunde des Konzertgeschehens neben Publikum und Aufführenden, sind natürlich genauso herausgefordert. Einigermaßen objektiv zu kalkulieren ist derzeit fast nicht möglich. Eine der Lösungen ist, den Konzertsaal an die Künstler oder die Agenturen zu vermieten. Damit haben die Veranstalter einen Teil ihrer Planungssicherheit retten können. Für die Künstlerseite ist das natürlich keine gute Aussicht. Niemand weiß, wie und wohin sich unser sensibles Biotop der Konzertveranstaltungen entwicklen wird in der nächsten Zeit.

Mit Geduld zum Neuanfang

Wir Aufführenden müssen nun geduldig sein mit der Situation, mit unserem Publikum und auch mit uns selbst. Es wird dauern, bis sich die magische Atmosphäre eines „echten“, also voll besuchten Konzerts wieder einstellt.

An diesem Wochenende habe ich in schönen Sälen gespielt, die wahrlich nicht ausverkauft waren. Die Konzerte waren inspiriert, ich kann es nicht anders sagen, aber sie haben mich mehr Kraft gekostet als früher. Es ist schwer, vor vielen leeren Stühlen zu spielen, denn das Publikum ist immer Partner des Geschehens. Die Performance ist (im Idealfall) ein Dialog mit den Hörenden. Man spielt eben nicht für sich, sondern man teilt, was man zu sagen hat – in der Hoffnung auf Resonanz. Und diese Resonanz ist gewiss nicht nur der Endbeifall sondern findet in jedem Augenblick des Spiels statt.

Die Stille kann eine Stille der Aufmerksamkeit sein oder eine ganz andere: Es können Gefühle leichter Peinlichkeit auftreten, Gefühle von Verlorensein, von allgemeinem Unbehagen. Die Kraft aufzubringen, die Stille in eine entspannte Aufmerksamkeit oder möglicherweise in die Stille des Genusses zu verwandeln, ist nicht leicht. Aber es gibt oft und immer wieder Botschaften aus dem Publikum, die den Charakter einer Aura haben, die mich erreicht als ob ich es hörte. Eine Zustimmung, eine Begeisterung, alles ziemlich still – aber vorhanden. Es erklingt ein Rondothema und ich spüre, dass es vollkommen gehört worden ist. Und in diesem Augenblick sind wir uns sehr nah. Es entsteht diese existentielle Nähe, für die man als Konzertierende nur Dankbarkeit empfinden kann.

Ein Konzert gelingt nur dann, und das ist ja soweit bekannt, wenn das Fundament stimmt. Wenn man also gut vorbereitet ist – geübt hat. Die Performance ist eben nur ein kleiner Teil des Musikerlebens. In meiner Dissertation habe ich unter anderem untersucht, warum man den Musikberuf überhaupt ergreift (in der Arbeit geht es dabei nur um Konzertpianistinnen und -pianisten). Und eines der Ergebnisse war, dass das Üben erfüllend und beglückend ist. Das habe ich schon in meinem Buch Glücks-Spiel formuliert, aber hier habe ich empirische Daten dazu gesammelt. Üben macht glücklich, und in der Übefreude vereinen wir Profis uns mit den Amateuren, denn für beide Gruppen gilt, dass sie ein konkretes Ziel haben. Ein Ziel, das die Persönlichkeit stabilisieren kann, weil es täglich erfüllbar ist: Besser zu werden durch das Üben. Es ist etwas scheinbar sehr schlichtes, das Üben. Der intime und vertraute Dialog zwischen einem selbst und der Partitur ist eine der intensivsten Gesprächsmöglichkeiten. Ich habe unendliche Fragen und bekomme Antworten – wo sonst geschieht das? Das Üben als Meditation stand und steht uns immer zur Verfügung, es ist eine erreichbare und gestaltbare Form des Glücklichseins, unabhängig davon, was „da draußen“ passiert.

Wenn wir unseren Beruf, unsere Berufung, so genau beschreiben in ihrer Täglichkeit, und dazu wissen, wie sehr es unsere Persönlichkeit ergreift, verändert und wachsen lässt, haben wir eine sehr beruhigende Schlussfolgerung: Sehnsucht nach vergangenen Zeiten brauchen wir eigentlich nicht. Es muss nicht werden „wie früher“, das ist eine Form der Nostalgie, die uns möglicherweise lähmt. Wir sind durchaus in der Lage, neue Wege zu gehen. Und das Element, das uns diese Sicherheit verleiht, ist so alt wie die Menschheit: den verordneten Lebensveränderungen, die man Einschränkungen nennen kann, keinen Zugriff auf die eben geschilderte Welt zu erlauben. Deshalb sollen wir weiter arbeiten, weiter nach Lösungen suchen, weiter um Nähe kämpfen. Und natürlich uneingeschränkt weiter üben. Soweit die Aufgaben der Künstlergruppe. Es obliegt der Gesellschaft und den Entscheidern, die Bedingungen dafür zu schaffen, dass unser singuläres Konzertbiotop neu und vielfältig wiedererstehen kann.

 

 

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