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Ist nie einer Kontroverse aus dem Weg gegangen: Dieter Zimmerschied.  Foto: Bernd Eßling
Ist nie einer Kontroverse aus dem Weg gegangen: Dieter Zimmerschied. Foto: Bernd Eßling
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Lust an der Musik und an der Musikvermittlung

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Zum Tod von Dieter Zimmerschied – ein Nachruf von Hans Bäßler
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Die Situation aus dem Jahre 1985 vergesse ich nicht: Nach meinem etwas giftigen Kommentar, ob der damalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker im Jahr der Musik eigentlich nur die Hochkultur im Auge habe, wenn er von musikalischer Bildung spricht, meldet sich aus dem vds-Bundesvorstand ironisch-irritiert Prof. Dr. Dieter Zimmerschied und fragt, ob dieser junge Kollege aus Lübeck überhaupt das Recht habe, den Bundespräsidenten zu kritisieren. Ich fand, dass es das Recht eines jeden Bürgers ist, sich auch mit dem Staatsoberhaupt in Fragen bundesweiter Bedeutung öffentlich zu streiten, nicht um des Streits, sondern um der Klarheit im politischen Diskurs willen. Nur am Rande: Auf den offenen Brief in „Musik und Bildung“ hat der Bundespräsident nie reagiert; man war halt nicht der richtige Gesprächspartner.

Diese Kontroverse zwischen Zimmerschied und mir bildete den Auftakt für unzählige Debatten und Gespräche, nicht nur über die Bildungs-, sondern auch über die Sozial- und Kulturpolitik. Dabei lernte ich einen Mann kennen und schätzen, der in manchem so ganz anders zu denken schien als ich, den ich immer mehr verstand in seinem Ansatz – und dabei musste ich bereits ganz früh feststellen: Ihm war der Dialog wichtig, das Ringen um das bessere Argument. Was mir bereits sehr schnell klar wurde, dass Dieter Zimmerschied für die Sache Musik eintrat, mit teilweise spitzer Feder und stets mit großer Leidenschaft. Sein leidenschaftliches Credo: Die musikalische Bildung von Kindern und Jugendlichen muss gesichert sein! Und dieses Absichern konnte nur in stabilen Strukturen verwirklicht werden. Die erwähnte Kontroverse 1985 nahm er als den fehlenden Respekt vor den Strukturen wahr, denn sie sind es aus seiner Sicht, die erst die musikalische Bildung ermöglichen.

Seine Strukturen: Das war für ihn der Verband Deutscher Schulmusiker, das war der Deutsche Musikrat, das war „Jugend Musiziert“, das war die „Gesellschaft der Freunde des Mainzer Theaters“ – und natürlich die Musikhochschule Stuttgart, später dann die Hochschule für Musik Franz Liszt in Weimar. Allein daran sehen wir schon: Hauptamtliches Arbeiten als Professor für Musikpädagogik und ehrenamtliche Tätigkeiten fanden zu einer ganz eigenen Mischung, die ihm die Möglichkeit gab, seine Lust an der Musik mit der Musikvermittlung zusammenzubinden. Die Lust an der Musik orientierte sich an der bürgerlichen Musikauffassung, und ganz sicher war das nicht die schlechteste Möglichkeit, um gerade in und mit der Musik zu einer Horizonterweiterung vieler Jugendlicher zu gelangen.

Ja, es stimmt, er liebte die Musik über alle Maßen. Der „Rosenkavalier“ von Richard Strauss, die späten Mozartopern, Schönbergs „Moses und Aron“ – das waren Werke, für die es zu leben und zu kämpfen lohnte, über die er schrieb, in die er auf den Salzburger Festspielen einführte. Für manche, so auch für mich, war es überraschend, dass er nicht seine höchst erfolgreiche Publikation „Perspektiven Neuer Musik“ aus den frühen siebziger Jahren fortsetzte, sondern – gerade, was die gegenwärtige Kunstmusik betraf – eher die Tradition der Moderne bevorzugte, Alban Bergs „Wozzek“ zum Beispiel. Doch das hatte für ihn einen tieferen Sinn: Neue Musik durfte nicht in eine klangliche Beliebigkeit abgleiten, vielleicht auch in Zufälligkeit. Das konnte dann seinen Zorn hervorrufen, auch die eine oder andere diskussionswürdige giftige Bemerkung.

Und doch konnte man diese Position nicht einfach beiseite wissen: Dahinter stand eine Musikauffassung, die sich an einer höchst diffizilen Balance von Scheitern und Gelingen orientierte; große Werke sind diejenigen, denen diese Balance gelungen ist, und nur sie haben es verdient, anderen weitergegeben zu werden.

Mit dieser Auffassung arbeitete Zimmerschied auch lange Jahre im Vorstand des Verbandes Deutscher Schulmusiker, von 1990 bis 1996 als Bundesvorsitzender. Es war ein Amt, zu dem man ihn, den Stellvertreter, drängen musste; in schwieriger Zeit unangenehmer Grabenkämpfe übernahm er es, und durch seine ganz umsichtige Amtsführung schaffte er es, dass innerverbandlich Ruhe einkehrte. Er schaffte, was dringend nötig war: eine neue Kultur des Dialogs – mit der Kultusministerkonferenz, mit dem Bundeselternrat, mit den Partnerverbänden, allen voran dem Verband Deutscher Musikschulen.
Was seine Arbeit für die Musikpädagogik in Deutschland betraf, so war er keinem der verschiedenen, teilweise sich auch bekämpfenden Lager zuzuordnen. Für die hermeneutische Schule war er zu handlungsorientiert (allein schon wegen seines Engagements für das Singen in der Schule), für die Handlungsorientierten war er zu gymnasial, für die Gymnasiallehrer war er zu wenig Philologe der alten Schule. Nein, Dieter Zimmerschied war auch hier immer Dieter Zimmerschied.

Als wir 1994 als Kongressthema den Lebensweltbegriff in das Zentrum stellten, erkannte er sehr früh die Chancen dieses Ansatzes, sah aber auch die Gefahr, dass sich das philosophische Modell der Phänomenologie vor das eigentliche Ziel, den Musikunterricht vor Ort, schob. Insofern blieb er immer der Praktiker des Vermittelns. Und dieser Praktiker gab dann auch noch einmal nebenbei ein kleines Liederbuch heraus, unabhängig von jeder Lager-Zuordnung.

Wenige kennen ihn als Lyriker, der mit unglaublichem Scharf- und Sprachsinn Pointen in Limmericks setzen konnte, wenige nur wissen, dass er weitere Aufgaben übernahm, die er dann geräuschlos ausführte. Dieser unendliche Fleiß, dieses Dienen und die große Spannbreite des Arbeitens waren es, die Zimmerschied in einer eher diffusen Szene unverwechselbar machten – er, der Konservative, der wusste, warum er sich so einbrachte: um der Kunst willen, die für alle da sein sollte, für Kinder wie für Erwachsene, für Musikaffine wie für Musikferne.

Dieter Zimmerschied fehlt uns schon jetzt, denn er gehört zu den Konservativen, an denen man sich reiben konnte und bereichert aus dem Gespräch ging. Denn er war mehr denn ein Konservativer: Er war ein Mensch, für den die Musik höchster Ausdruck von Menschlichkeit war! Jetzt ist Dieter Zimmerschied im Alter von 75 Jahren plötzlich gestorben.

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