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Katharina Wagner
Katharina Wagner
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Lust auf eine Uraufführung

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Die Regisseurin Katharina Wagner
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Plötzlich ist da diese frühe Erinnerung: Als hätte er sich aus einem anderen Jahrhundert herverirrt, starrte der riesige Drache mit zornigen, vielleicht ein wenig hilflosen Augen über den Bretterboden von Bayreuth… Ein Mädchen, das vorüberkam, fand ihn abstoßend, wollte fortlaufen – aber ihr Vater, der seit Menschengedenken jeden Wurzelstock, jede Falle und jeden Abgrund im Bühnenwald kennt, meinte, man müsse sich vor dem Wurm Fafner nicht fürchten; und als er die Misstrauische hinführte, staunte sie, dass das Monstrum hohl und inwendig mit Zeitungspapier ausgekleidet war. Was groß und drohend daherkommt, muss man von innen kennen, um die Scheu abzustreifen: Das war die erste Lehre aus dem Theaterbetrieb. Im Fluidum szenischer Gegenwart, im allmählich zu enträtselnden Spiel von Farbe, Bewegung und Klang, im Gefüge von Interpretation und Organisation kann man so aufwachsen, wie man atmen, gehen, schwimmen lernt – bis man herausgefunden hat, was diese Welt für’s eigene Leben bedeutet.

Als sie achtzehn wird, entscheidet sich Katharina Wagner dafür, am Theater zu arbeiten. Sie weiß, was sie will: Menschen auf die Bühne stellen, Regie führen. Von der Pike auf erwirbt sie sich ein Rüstzeug von Fertigkeiten, schult ihr Auge für sprechende Zeichen und nichtfixierbare, im Fluss befindliche Proportionen; es macht ihr Spaß, Kräfte zu bündeln und Menschen zu motivieren. Um sich weiter auszubilden, übersiedelt sie in eine Theatermetropole voller Kontraste – sie erlebt die Freundlichkeit und die Haifischblicke von Berlin, den freien Geist und die Zerrbilder des Extremismus; Zirkusgrellheit sieht sie, buntbemalte Schattenschluchten und mittendrin die fruchtbare Konkurrenz und den Überlebenskampf der Opernhäuser. Polarisierenden Fragen weicht man hier nicht aus: „Angesichts von immer geringeren Sozialleistungen mag es musisch nicht so interessierten Leuten nahezu dekadent vorkommen, Kultur zu subventionieren. Nur: Sie ist Teil der Bildung, und wohin führt es, wenn dieser Teil vernachlässigt wird?“ Auch dafür kann Regie die Augen öffnen.

Liest man unverhofft in Gesichtern und Straßenszenen, was Menschen bei vollem Bewusstsein einander antun, dann brechen Assoziationen wie Wunden auf und Geschichten, die man mit sich trägt und zu kennen glaubte, reagieren unwillkürlich, indem sie – als veränderliche Lebewesen – ihre schlimmstmögliche Wendung durchspielen. Manchmal entlädt sich das wie ein Schrei. In ihrer ersten eigenen Produktion, dem „Fliegenden Holländer“ in Würzburg, zog die Regisseurin Katharina Wagner unerwartete Konsequenzen aus einem romantischen Widerstreit: Die Leute des Holländers kommen als Davidsbündler daher und werden, ehe sie gegen die Philister aufbegehren können, mit Knüppeln erschlagen. In den Lüften singt etwas unerklärt anderes – aber die sichtbare Gespensterbrut wohnt mitten unter uns.

Die Wahl des ersten Stückes war wohlüberlegt: „Es gab mehrere Anfragen, bevor ich den ,Holländer‘ inszeniert habe; aber ich lehnte sie ab, da mir die Ideen, die ich für die angebotenen Werke hatte, noch nicht reif erschienen… Ich muss mich im Spiegel ansehen und mir sagen können, dass ich von meinem Konzept hundertprozentig überzeugt bin und dem Publikum keine halbherzige Lösung präsentiere.“ Deshalb nimmt sie sich Zeit und ist im Interpretieren hartnäckig. Unbeteiligte Nebenfiguren kennt sie ebensowenig wie lendenlahme Schüchternheit beim Befragen von Charakteren und Motiven; sie ist sich auch nicht zu schade, spöttisch grobe Konturen ins Kampf-Tableau von Adam und Eva einzuzeichnen: „Jedes Geschlecht hat so genannte typische Verhaltensweisen, die manchmal auf den ersten Blick dumm erscheinen mögen, aber sich beim zweiten Blick als Raffinesse entpuppen können… Oft wird so etwas angedeutet, aber nicht bis ins Letzte gezeigt. Das ist für mich keine Lösung – entweder ich bediene mich bewusst in der Klischeekiste, weil ich etwas aussagen will, oder ich bin konsequent und lasse es gleich sein. Man kann natürlich als Frau leichter mit diesen Dingen spielen, ohne gleich die Rüge der Frauenfeindlichkeit einzustecken…“

Daraus resultierte in ihrem Debüt ein Moment ironischer Selbstverteidigung. Sie führte das voreilige Bild, das man sich von ihr gemacht hatte, auf der Bühne ad absurdum und mancher Invektivenritter, der Richard Wagners jüngster Urenkelin eine schillernde Prominenz, aber kein Künstlertum gönnte, war düpiert. Indem sie in ein Wespennest von Erwartungen stieß, legte sie ihre Fragen zum Stück überhaupt erst frei – doch vielleicht wird man sich im Mai 2004, wenn ihre Inszenierung des „Lohengrin“ in Budapest Premiere hat, rascher, unmittelbarer auf die Rätsel einlassen, über die sie jetzt mit dem Finger fährt, um Spalten und Risse zu ertasten: Was bedeutet das Helle, Gute innerhalb der Grausamkeit des Märchens? Was ist das: dieses Flirren, diese gleißende Kälte um Lohengrin, die ihn zum begehrten, einsamen Menschen macht? Wo lösen sich Grautöne vom Rabenschwarz der Gegenspieler? Welche Erkenntnis bietet Ortruds schneidender Witz? Und was für ein Mensch war Telramund, ehe er diese Heidin traf?

Katharina Wagner notiert Gedankensplitter, verändert sie stetig; sie bilden ein Muster und natürlich reicht die Beschäftigung weit zurück. „Bei manchem Werk ist ein Konzept sozusagen schon inszenierungsreif, es wartet nur auf eine Anfrage“, sagt sie mit einem Augenzwinkern, das die Sorge, sie könne sich mit einem Abhaken von Plänen begnügen, zerstreut. Was sie vorhat, ist lebendig, beweglich, vielfältig. Gewiss will sie ihre Haut mit Lesarten von Werken der Vergangenheit zu Markte tragen und geduldig alle Belehrungen über nichtnachprüfbare Autor-Intentionen anhören – aber zum wachen Leben in der Gegenwart gehört für sie auch der Wunsch, eines Tages eine Uraufführung zu inszenieren: „Dies ist eine der reizvollsten Vorstellungen überhaupt. Heute wird so oft über den Begriff der Werktreue diskutiert und spekuliert… In solch einem Fall aber könnten sich alle Beteiligten an einen Tisch setzen und sich mit vielleicht sehr unterschiedlichen Sehweisen überraschen. Die Diskussion über die Werktreue fiele vollkommen weg, da alle Beteiligten lebendig über das Werk sprechen.“ Wenn man gemeinsam eine Geschichte erzählt, dann ist Regietheater zugleich Autorentheater und Komponistentheater. Und es besteht ja kein Zwang, sich auf Bayreuth als Uraufführungsort zu kaprizieren – plausibler ist es, die anderen Theater an ihre Pflicht zu erinnern. Man kann mit Katharina Wagner nur hoffen, dass es weiterhin genug Freiräume für aufwändige, alle Kräfte eines Hauses bindende neue Projekte gibt: nicht nur im separierten Studio, sondern unbedingt auch auf der großen Bühne, deren Wirkungskraft von jeder Generation vorurteilslos erprobt werden muss – angesichts enormer, teils brachliegender Talente unter jungen Komponisten stünden gegenwärtig die Aussichten dafür gar nicht schlecht.

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