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Mal heiter, mal trocken

Untertitel
Alfred Brendel zum 70. Geburtstag
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Nicht erst seit dem runden Geburtstag steht fest: Alfred Brendel zählt zu den bedeutendsten Pianisten der Gegenwart. Die Veröffentlichungen der letzten Jahre beweisen das noch einmal nachhaltig und stellen Brendel in eine Linie mit Größen wie Edwin Fischer, Emil Gilels und Arthur Schnabel.

Nicht erst seit dem runden Geburtstag steht fest: Alfred Brendel zählt zu den bedeutendsten Pianisten der Gegenwart. Die Veröffentlichungen der letzten Jahre beweisen das noch einmal nachhaltig und stellen Brendel in eine Linie mit Größen wie Edwin Fischer, Emil Gilels und Arthur Schnabel.Aber beginnt so eine Pianisten-Karriere? Weder Russe noch Wunderkind, die Eltern unmusikalisch und das Blattlesen fiel ihm auch immer schwer. „Ich verstehe überhaupt nicht, warum ich Erfolg hatte“, bekennt Alfred Brendel gleich zu Beginn der Dokumentation „Man and Mask“, die anlässlich seines 70. Geburtstags von der BBC produziert wurde. Man muss nicht Brendel-Fan sein, um zu begreifen, dass derartige Aussagen nicht ganz ernst gemeint sind. Überhaupt zeigt Mark Kidels Porträt einen hoch gebildeten Künstler mit feinem Witz. Auch einen wohltuend uneitlen Pianisten, der sich gängigen Virtuosen-Klischees verweigert.

Das alles erfährt man beim Interview in Brendels Londoner Domizil, bei Gesprächen in Wien und Zagreb. Daneben gibt es viel Archivmaterial mit etlichen Bühnen- und TV-Auftritten. Etwa das herbe „Andante“ aus Schuberts B-Dur-Sonate, 1968 aufgenommen in einer sparsam eingerichteten Kammer, oder ein furioser Kopfsatz aus dem d-Moll-Konzert von Brahms (1986). Schade nur, dass die Aufnahmeorte nicht immer angegeben werden. Auf einer zweiten DVD findet sich dann ein Konzertprogramm, das einmal mehr zeigt, wie der Mensch Alfred Brendel, ist auch sein Klavierspiel: mal heiter-entspannt wie in Haydns vorletzter Es-Dur-Sonate, mal trocken wie in der c-Moll-Sonate von Mozart – aber immer kontrolliert und klar. Wie solche Interpretationen zustande kommen, erfährt man auch – bei Proben zur Gesamteinspielung von Beethovens Klavierkonzerten mit Simon Rattle. Ob den beiden damals klar war, dass hier eine regelrechte Neudeutung entstand, kommt bei den Aufnahmen nicht heraus. Das Ergebnis jedenfalls veranlasste auch gut sortierte Tasten-Freaks zum Neukauf. Das verblüfft insofern, als allein von Brendel drei Gesamtaufnahmen greifbar sind und die aktuellen Platten-Kataloge nicht gerade arm sind an guten Beethoven-Klavierkonzerten.

Wodurch aber unterscheiden sich Brendel und Rattle von all diesen? Spektakuläre Pianisten-Tricks wird man nicht erwarten dürfen. Dazu ist Brendel viel zu sehr am Werk interessiert. Die Zurschaustellung der eigenen Person kümmert ihn wenig. Womöglich ist aber genau das der Punkt: Weil Brendel akribisch die Partitur darstellt und nur sie, legt er neue Details frei. Deshalb gelingt das Ungeheuerliche: Auch nach dem x-ten Hören der fünf Konzerte findet man so nicht gehörte Einzelheiten. Allein das Finale im B-Dur-Konzert, wie Brendel da die Modulation nach G durch Gewichtung des unbetonten Taktteils subtil verschränkt mit ihrer Auflösung! Wie er im Kopfsatz des C-Dur-Konzerts die verqueren Rhythmen in linker und rechter Hand deutlich voneinander trennt! Unnütz zu betonen, dass die Wiener Philharmoniker unter Rattle solcher Präzision in nichts nachstehen. Schon die punktgenauen, ruckartigen Tutti-Einsätze sind eine Freude. Ganz zu schweigen von der spürbaren Kommunikation zwischen Orchester und Solist.

Die neueste Mozart-Aufnahme von Brendel und dem Scottish Chamber Orchestra unter Sir Charles Mackerras fasziniert durch anderes: Eine derartige Spieldisziplin ist in den späten Es- und B-Dur-Konzerten selten zu hören. Leistet das aber nicht einem sterilen Mozart-Bild Vorschub? Nivelliert es nicht auch die dramatische, die „erzählende“ Komponente, wie sie der Instrumentalmusik Mozarts immer anhaftet? Keine Frage, die auratische Wärme einer Mitsuko Uchida wird man vergeblich suchen. Dafür schwebt die Musik bei Brendel, entwickelt ihre Zielrichtung ganz von allein, ohne Zutun der Interpreten. Das hat damit zu tun, dass Brendels Anschlag ohnehin zum Unangestrengtesten zählt, was derzeit auf einem Steinway zu hören ist. Gerade weil Tasten-Shows vermieden werden, rückt die Komposition selbst ins Zentrum. Dadurch werden diskursive Strukturen umso klarer.

Verglichen mit solch sternenheller Objektivität wirkt Brendels Zusammenarbeit mit dem Alban Berg Quartett wie ein offener Schlagabtausch. Es mag verwundern, dass sich die fünf Künstler überhaupt zusammengetan haben. Denn das Wiener Quartett kultiviert gezähmten Überschwang und ekstatische Klangpoesie. Keine Spur von der Strenge eines Alfred Brendel. Freilich werden Mozarts Klavierquartett Nr. 2, noch mehr aber das Konzert A-Dur (KV 414 in der Fassung für Streichquartett) genau deshalb zu einer spannenden Sache. Weil man spürt, dass beide Teile Spass dabei hatten, den Klangvorstellungen des jeweils anderen etwas entgegenzusetzen.

So aufregend dies auch sein mag – wenn Alfred Brendel seinen 70. Geburtstag feiert, darf ein Solo-Recital nicht fehlen. Das jedenfalls meinten die Organisatoren der Salzburger Festspiele und präsentieren eine Compilation mit Live-Dokumenten aus den frühen 80er-Jahren. Aus dem Brendel-typischen Repertoire ragt für mich ein Werk heraus: Haydns Londoner C-Dur-Sonate. Weil der trockene Witz von Interpret und Komponist so wunderbar harmoniert. Und selbst wenn nicht jeder High-End-Freak zufrieden sein wird mit der klanglichen Abbildung der Mitschnitte – die herausragende künstlerische Qualität macht auf jeden Fall klar, warum Brendel Karriere gemacht hat. Und das ist keineswegs ironisch gemeint...

Diskografie

  • Beethoven: Klavierkonzerte Nr. 1–5, Klaviersonate op.57 „Appassionata“; Wiener Philharmoniker, Simon Rattle; Philips 468666-2 (3 CDs)
  • Mozart: Klavierkonzerte Nr. 22 (KV 482) und 27 (KV 595); Scottish Chamber Orchestra, Sir Charles Mackerras; Philips 468367-2 (CD)
  • Mozart: Klavierkonzert Nr. 12 (KV 414), Klavierquartett Nr. 2 (KV 493); Alban Berg Quartett; EMI 5569622 (live, CD)
  • Live in Salzburg: Haydn, Variationen f-Moll (Hob.XVII:6), Klaviersonate C-Dur (Hob.XVI:50); Schubert, Klaviersonaten in a-Moll (D 784) und C-Dur (D 840); Liszt, „Isoldes Liebestod“ (Slbg. Festspiele 1981–85); Philips 470023-2 (CD)
  • Alfred Brendel in Portrait, Dokumentation „Man and Mask“, Proben mit Simon Rattle, Gedichtlesung; Haydn, Klaviersonate Es-Dur (Hob.XVI:49); Mozart, Klaviersonate c-Moll (KV 457); Schubert, Impromptu Nr. 3 Ges-Dur (D 899); BBC OA0811D (2 DVDs)

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