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Meisner-Stück

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„Dort, wo die Kultur vom Kultus, von der Gottesverehrung abgekoppelt wird, erstarrt der Kult im Ritualismus und die Kultur entartet.“ Der Kölner Kardinal Meisner, eine der Speerspitzen eines konservativen (reaktionären) christlichen Glaubensverständnisses hat sich wieder einmal weit nach vorne, oder besser nach hinten, gelehnt.

Die von finsterster und unheilvoller deutscher Geschichte belastete Wortwahl ist fatal. Schlimmer noch aber ist ein zweiter, von der Gott sei Dank aufbrausenden Kritik eher vernachlässigter Aspekt. Meisners Satz mag eine gewisse Wahrheit fernab von der unseligen Formulierung beinhalten. Denn große Kunst in ihrer unbedingten Suche nach tiefer Wahrheit wird immer auch eine Nähe zu einem wie auch immer zu formulierenden Verständnis von Gott aufweisen.

Über sein Chorwerk „Consolation II“ (dem besagter Kardinal gewiss nur Anlehnung entgegen brächte) schrieb zum Beispiel einmal Helmut Lachenmann: „Ein geistliches Werk? Vielleicht, aber nicht von Schuld und Erlösung ist die Rede, sondern von jener Erfahrung, die jeglichem Denken zugrunde liegt: der Sterblichen Staunen.“ Solche Suche nach Wahrheit mag man auch in Max Ernsts ketzerischem und von Kirchenkreisen aufs Schärfste verfluchten Bild „Die Jungfrau Maria verhaut den Menschensohn vor drei Zeugen“ noch erkennen, wenn man sich die nötige Offenheit bewahrt und einer Kirche, die etwa bei Kriegen auf beiden Seiten gleichermaßen die gnade Gottes herbeifleht, misstraut.<br />

Das Schlimme an Meisners Äußerung ist die implizierte Unterstellung, dass er selbst darüber befinden könne, was die richtige Gottesverehrung ist (hier ist ein Schulterschluss zum verbal heraufbeschworenen Nationalsozialismus auszumachen, denn auch dieser hoffte mit seinen Entartungsthesen auf den Beifall der Masse; und er bekam ihn ja auch). Es ist einer der Kardinalfehler (im Sinne des Wortes und darüber hinaus) nicht nur unserer Zeit zu wissen vorzugeben, was der Gottes- und was der Teufelsweg sei. Der Jude war im Dritten Reich des Teufels, der Palästinenser ist es in diesen Tagen in den Augen von Israel (das Massaker im Libanon vor 25 Jahren in Sabra und Shatila, von Christen ausgeführt, von den Israelis wohlwollend geduldet, wirft wieder einmal ein beschämendes Schlaglicht darauf) und die von Bush so bezeichneten Schurkenstaaten und Terroristen fallen ebenso dem Verdikt anheim. Neue Kunst, so sie in Meisners Augen nicht gottgefällig ist, kann also auch nur Teufelswerk sein. Der Schematismus ist einfach: Stets erklärt man sich zum Besitzer des Guten und Wahren, aus dieser Warte wird dann das Kritische, das sich Widersetzende verdammt.

Wir aber, so wäre vorab zu konstatieren, sind nicht die Guten. (Wer überhaupt sind wir? Wer bestimmt die Gruppe? Meisner, Bush, der angeblich demokratisch ermittelte Volkswille?). Wir sind auch nicht die Schlechten. Denn so einfach wie im Märchen oder im Kasperltheater geht diese Trennung nicht. Differenzierung, Offenheit, Aufgeschlossenheit, Einfühlung in den Anderen ist nötig.

Das aber ist es, was große Kunst heute wie immer schon vorlebt: Es ist die Kunst des Differenzierens, der Verfeinerung von Sinn und Verstand. Da aber, und das ist das eigentlich Fatale, kann Kardinal Meisner nicht mit.

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