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Musik für Venedigs Markusdom gemeißelt

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Die Junge Deutsche Philharmonie mit Werken von Haydn, Wagner, Adams, Weill und Rihm
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Joseph Haydns Orchestermusiker litten unter dem verlängerten Aufenthalt auf Schloss Esterházy. Um seinem fürstlichen Arbeitgeber die Abreise aus der Sommerresidenz ans Herz zu legen, komponierte Haydn eine Sinfonie, in deren Finale die Musiker einer nach dem anderen ihren Platz verlassen. Das taten in der Alter Oper auf jeweils individuelle Weise nun auch die Musiker der Jungen Deutschen Philharmonie, einschließlich des Dirigenten Markus Stenz, und es wirkte bei aller Voraussehbarkeit ziemlich spontan.

Joseph Haydns Orchestermusiker litten unter dem verlängerten Aufenthalt auf Schloss Esterházy. Um seinem fürstlichen Arbeitgeber die Abreise aus der Sommerresidenz ans Herz zu legen, komponierte Haydn eine Sinfonie, in deren Finale die Musiker einer nach dem anderen ihren Platz verlassen. Das taten in der Alter Oper auf jeweils individuelle Weise nun auch die Musiker der Jungen Deutschen Philharmonie, einschließlich des Dirigenten Markus Stenz, und es wirkte bei aller Voraussehbarkeit ziemlich spontan. Bei aller Komik der Situation liegt dahinter ein tiefer Ernst. Zu vehement und zu unkonventionell kam in Stenz‘ klarer Interpretation die in der seltenen Tonart fis-Moll stehende „Abschiedssinfonie“ daher, als dass man sie als bloßen Witz goutieren könnte: Brüsk bricht das rasante Finale auf der Dominante ab und mündet in den langsamen Epilog. In diesem Effekt gipfelt ein an Vorahnungen reicher Gesamtverlauf, denn von Anfang an legen sich leidenschaftliche Akzente über die vorwärtstreibende Dynamik; abrupt schließen der erste und dritte Satz; unerwartet und beklemmend tritt plötzlich der pulsierende zweite Satz auf der Stelle. Und wenn dann am Ende ein Abgang dem nächsten folgt und der immer weiter ausgedünnte Rest des Orchesters den musikalischen Faden noch tapfer weiterspinnt, beginnt man sich vor der gähnenden Leere zu fürchten, die unweigerlich eintritt, wenn die beiden letzten Geigen die Bühne verlassen haben. Was der couragierte Haydn seinem Fürsten zeigte, gilt auch heute in dem vom kulturellen Exodus bedrohten Frankfurt: Die zerbrechliche Sache Musik wird von Menschen für Menschen gemacht.

Wagners Vorspiel zu „Tristan und Isolde“ imponierte durch ruhige und sichere Klangentfaltung, wirkte aber auch von vornherein auf Abschied gestimmt und ließ nur noch ganz dezent die gewaltig drängende Sehnsucht hineintönen. Stimmig war jedoch die Verklammerung zum Ende hin: Hier erklang das Ende von Tristan und Isolde, der Liebestod. Auch die erste Zugabe, Kurt Weills zupackend unheim- liche Ouvertüre zum „Silbersee“ passte. Das im Februar 1933 uraufgeführte „Wintermärchen“ wurde zum Vermächtnis des Komponisten vor seiner Flucht ins amerikanische Exil. Hintersinnig war auch die zweite Zugabe: John Adam´s rasantes „Short Ride on a Fast Machine“ nicht als Abschied, sondern als Ankunft.

Eine Orchesterkomposition Wolfgang Rihms aus dem Jahr 1995 war der Beitrag des Orchesters zum Komponistenportrait der Alten Oper. „In-Schrift“ beginnt mit einem heftigen Orchesterschlag, es folgt eine längere Passage flatternder und reibender Klanggeräusche der dreifach besetzten Flöte, in die zweimal Röhrenglocken krachend hineintönen. Erst danach melden sich mit vielen kurzen Einwürfen die tiefen Streicher und die übrigen Holzbläser zu Wort. Später erheben sich hinter ihnen gewaltige, melodische Anläufe des tiefen Blechs; Schlagzeug und Pauke sind mit sechs Spielern stark besetzt, Geigen und Bratschen fehlen ganz. „In-Schrift“, das provoziert Assoziationen. Die kurzen und geräuschhaften Impulse aus dem Orchester wirken, als ob jemand mit Hammer und Meißel eine Inschrift in Stein meißelt; und die choralartigen Blechbläserpassagen vermitteln den Anschein, als ob sich eine sinntragende Aussage herausschält. Rihms Stück entstand für den Markusdom in Venedig; ein sakraler Unterton schwingt in dieser sehr räumlich empfundenen Musik mit; von fern klingt Olivier Messiaens gewaltige Freiluft-Musik „Et expecto resurrectionem mortuorum“ heran.

„In-Schrift“ kann man aber auch verstehen als Anspielung auf den Prozess des Komponierens, den Wolfgang Rihm immer wieder als heikle Angelegenheit beschreibt. Wie erwächst mit Hilfe eines gespitzten Bleistifts auf leerem Papier Sinn? Und wie weit trägt dann eine Idee?
Der anwesende Komponist, der auf die Bühne geholt wurde, wirkte sichtlich glücklich über die Aufführung.

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