Banner Full-Size

Musikermedizin im Fokus

Untertitel
Interdisziplinäre Musikerambulanz über Spielbeschwerden bei Geigern und Bratschern
Publikationsdatum
Body

Düsseldorf. Am 4. Mai begann im Rahmen der interdisziplinären Musikerambulanz am Universitätsklinikum Düsseldorf die Reihe „Tag des Instruments“. Den thematischen Auftakt bildeten die vielfältigen Spielbeschwerden sowie Therapiemöglichkeiten bei Geigern und Bratschern. Neben Fachärzten der Bereiche Neurologie, Orthopädie, Handchirurgie, HNO und Psychotherapie präsentierten Dozenten der Robert-Schumann-Hochschule (Prof. Michael Gaiser und Niklas Schwarz) sowie eine Physiotherapeutin und Geigenbaumeister Bernhard Zanders die verschiedenen Aspekte der Musikermedizin in Bezug auf die Violine und Viola. Ziel der Veranstaltung war ein interdisziplinärer Austausch von Informationen und Erfahrungen, in den das Publikum unter der Moderation von Dr. Wolfram Goertz (Koordinator der Musikerambulanz) miteinbezogen wurde.

Bereits im 19. Jahrhundert – im Zeitalter des Virtuosentums – häuften sich die Fälle von Spielbeschwerden. Ferdinand David und Robert Schumann waren prominente Beispiele. Die Musikermedizin, zu der neben der Diagnostik und Therapie auch die Prävention gehört, brauchte lange Zeit, um sich zu entwickeln. Dies ist nicht zuletzt auf die Tabuisierung der Probleme durch die Musiker selbst zurückzuführen. Während Hochleistungssportler schon lange von einem Team aus Fachärzten, Physiotherapeuten und Psychologen (bzw. Psychotherapeuten) betreut werden, scheuen sich Musiker, ihre Probleme zuzugeben und sich Hilfe zu holen. Obwohl sie dem Hochleistungssport ähnliche Anforderungen zu erfüllen haben, verstecken sie Schmerzen und Auftrittsangst, um nicht als „nicht belastbar“ zu gelten. Gerade dadurch verschärfen sich aber die Probleme – in einigen Fällen bis zur Berufsunfähigkeit. Perfektionismus und die häufige Kopplung von Selbstwert an die eigene Leistung verwandeln gesundes Lampenfieber nicht selten in Auftrittsangst bis hin zu Burnout und Depression. Wirksame Hilfe und Prävention bieten hierbei Psychotherapeuten mit der Verhaltenstherapie. Falsche Werte und Glaubenssätze werden hinterfragt und neu formuliert. Der Musiker lernt das differenzierte Bewerten der eigenen Leistung – nicht nur Negatives sondern auch Positives wird wahrgenommen. Gleichzeitig führen Entspannungstechniken (Autogenes Training und Progressive Muskelrelaxation) den meist stark erhöhten Muskeltonus auf ein gesundes Niveau zurück.
Neben dem Gebiet der Psychosomatik spielt vor allem die Orthopädie eine große Rolle bei violin- beziehungsweise violaspezifischen Spielbeschwerden. Überlastungserscheinungen der linken Hand treten häufig bei Bratschern mit kleinen Händen auf. Ein wirksames Mittel dagegen ist eine verkleinerte Mensur bei normalgroßem Instrumentenkorpus. Die Hand wird so von großen Streckungen entlastet, ohne dass Klangeinbußen in Kauf genommen werden müssen. Diese Möglichkeit sollten auch Geiger mit extrem kleinen Händen in Erwägung ziehen. Ein weiterer Grund von Überlastungen der linken Hand ist ein zu hoher Abstand von den Saiten zum Griffbrett. Ein Besuch beim Geigenbauer kann das Problem schnell beheben. Medizinisch werden Überlastungssyndrome in aller Regel nicht operativ, sondern mit den entsprechenden Übungen sowie mit Physiotherapie behandelt. Bei akuten Zuständen kann allerdings ein längeres Pausieren notwendig werden.
Auf dem Gebiet der Neurologie, bezogen auf Musiker, beherrscht das Thema „fokale Dystonie“ Forschung und Diskussion. Es handelt sich hierbei um ein krampfartiges Einrollen oder Abspreizen von einem oder mehreren Fingern, die sich feinmotorisch nicht mehr in gewünschter Weise vom Gehirn steuern lassen. Die Therapie besteht in diesem Fall aus „Retraining“ und Botulinumtoxin-Injektionen in die betroffenen Muskeln. Der Eingriff muss alle drei bis sechs Monate wiederholt werden und sollte nur von erfahrenen Spezialisten durchgeführt werden. Zusätzlich werden anticholinerge Medikamente eingesetzt. Die Therapie der fokalen Dystonie ist schwierig und die Erfolgsaussichten auf eine völlige Heilung mit der Wiederherstellung der Konzertfähigkeit betragen nur 20 Prozent. Trotzdem wird in mehr als der Hälfte der Fälle eine signifikante Verbesserung erreicht. Da psychische Faktoren wie extremer Perfektionismus bei der Entstehung und Aufrechterhaltung der Krankheit maßgeblich beteiligt sind, kann die Prävention hier wirksam ansetzen.
Eine große Rolle für Geiger und Bratscher spielt die Frage „Schulterstütze – ja oder nein?“ Naturgemäß hängt die Antwort von der Physiognomie des einzelnen Spielers ab. Geiger und Bratscher mit kurzem Hals brauchen keine Stütze (hier wäre sie eher schädlich), während Spieler mit stark herabhängenden Schultern und langem Hals davon profitieren. Ein weiterer Aspekt ist die notwendige Abstimmung von Kinnhalter und Stütze. Gerade bei sehr langem Hals ist ein höhenverstellbarer Kinnhalter unerlässlich. Hier wird die Distanz zwischen Kopf und Schlüsselbein überwiegend durch den Kinnhalter überbrückt. Andernfalls käme das Instrument zu hoch, so dass sich Überlastungserscheinungen in der rechten Schulter manifestieren können. Auch die Frage, ob der Kinnhalter links vom Saitenhalter oder mittig darüber zu positionieren ist, sollte individuell entschieden werden. Wichtigstes Kriterium ist hierfür die Armlänge.
Zur Prävention von Schmerzen gehört das Thema „richtiges Üben“. Prof. Gaiser und Niklas Schwarz bemerkten, dass dies nur individuell entwickelt werden könne. Wesentlich sei das „objektive Hören”, um überflüssige Wiederholungen zu vermeiden.
Zusammenfassend war der „Tag der Violine und Viola“ ein hoffnungsvoller Beginn der interdisziplinären Vernetzung. Informationen zum Thema „Musikermedizin“ bietet die „Deutsche Gesellschaft für Musikphysiologie und Musikermedizin“. Betroffene in Hamburg finden Adressen von Ärzten und Therapeuten auf folgender Website: www-musikermedizin-hamburg.de
 

Print-Rubriken
Unterrubrik
Musikgenre