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Musikschulen sind keine Franchise-Betriebe

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Ein Interview mit Stefan Theßenvitz, Plenums-Redner beim Musikschulkongress 2011
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Stefan Theßenvitz ist Inhaber eines Beratungsunternehmens mit den Schwerpunkten Marketing und Qualität für Dienstleister. Er arbeitet vorwiegend in den Bereichen Bildung und Kultur. Für den Musikschulverband wie für einzelne Musikschulen ist Stefan Theßenvitz seit einigen Jahren tätig und beschäftigt sich unter anderem mit Fragen des Veränderungsmanagements in Musikschulen. Zu diesem Thema wird er auch beim Musikschulkongress 2011 sprechen, der vom 20. bis 22. Mai in Mainz stattfindet. Die nmz sprach mit ihm über die Notwendigkeit von Veränderungen in der Musikschularbeit.

nmz: Als Berater unter anderem von Musikschulen betrachten Sie das Sys-tem Musikschule nicht als Musikpädagoge, sondern aus einer Außenperspektive. Sie ziehen sicher Vergleiche mit anderen Systemen. Was fällt Ihnen dabei auf?

Theßenvitz: Was Musikschulen mit anderen Bildungseinrichtungen eint, ist der Wille zur Sinnhaftigkeit, zu Autonomie und zu Partizipation. Die Mitarbeiter sind sehr stark davon geprägt, etwas zu tun, das einen Wert schafft für ihre Kunden – und zwar unabhängig davon, wie viel Geld sie damit verdienen.
Partizipation heißt: Man kann nicht am grünen Tisch eine Siegerstrategie entwickeln und davon ausgehen, dass alle sie begeistert mitmachen. Man muss jeden einzelnen Lehrer einladen, ihn überzeugen und auf den Weg mitnehmen. Diese partizipative Organisation hat große Stärken, weil man jedes Wissen einbringen kann, impliziert aber die Notwendigkeit, Entscheidungen gemeinsam vorzubereiten und so zu argumentieren, dass sie jeder versteht und gerne mitgeht. Das ist eben kein Industriebetrieb.

nmz: Das dritte Stichwort, das Sie genannt haben, war die Autonomie.

Theßenvitz: Die spezifischen Bedingungen vor Ort führen dazu, dass sich jede Musikschule ganz stark als einzigartig empfindet und eigene Strategien entwickelt, die regionale Milieus und das Umfeld berücksichtigen. Es gibt zwar gemeinsame Herausforderungen in einer politischen Landschaft der dauerhaften Mittelkürzungen, aber die Bedingungslagen vor Ort erfordern, dass jede Musikschule selbst nachdenkt.

nmz: … also die Bedingungen des sozialen Umfelds und der spezifischen Klientel berücksichtigt?

Theßenvitz: Richtig. Im Frankfurter Norden zum Beispiel, im Speckgürtel einer der reichsten Städte Deutschlands, sieht eine Musikschulstrategie anders aus als in der Uckermark oder in Oberfranken.

nmz: Das heißt: Beratungsangebote für Musikschulen müssen individuell gestaltet sein?

Theßenvitz: Auf jeden Fall. Dabei spielt auch die psychologische Verfassung dieser Einrichtungen eine Rolle. Musikschulen sind keine Franchise-Betriebe, sondern lebendige und dynamische Bildungsorganisationen. Gewisse Dinge sind allerdings von zentraler Bedeutung. In Mainz will ich die Kongress-Teilnehmer einladen, gemeinsam über Dinge nachzudenken, die alle betreffen: Über Megatrends, über den gesellschaftlichen Wandel...

nmz: Welche sind denn die Mega­trends, auf die sich Musikschulen einstellen müssen?

Theßenvitz: Wir haben viele Mega­trends, die unterschiedlich stark wirken. Ganz oben steht – das ist natürlich längst bekannt – der demografische Wandel. Das Hauptklientel der Musikschulen wächst nicht mehr. Dann haben wir die Differenzierung der Lebensentwürfe: Bestimmte Milieus – wenn man die Gesellschaft nach Sinus-Milieus differenziert – haben eine hohe Bildungs- und Kulturaffinität und geben viel Geld aus für diese Dinge. Andere Milieus, etwa ein Drittel der Bevölkerung, erreicht man überhaupt nicht mehr.

Ein weiterer Megatrend, der die Musikschulen betrifft, nennt sich „value for money“: Wert für Geld. Bürger neigen immer mehr dazu, einen unmittelbaren Nutzen zu fordern. Sie fragen: Was bringt das meinem Kind, meiner Stadt, meiner Region? Die Musikschule muss sich heute öffentlich darstellen und beweisbar machen. Es geht darum, Qualität zu liefern, die überprüft werden kann.

nmz: Für die Veränderung organisatorischer und struktureller Aspekte braucht man auch ein neues Instrumentarium. Gibt es bestimmte Methoden, die aus Ihrer Sicht noch fehlen, die noch nicht genügend ausgebaut sind? Zum Beispiel Management-Knowhow oder soziale Kompetenzen?

Theßenvitz: Die Musikschullehrer und auch -leiter haben ihre Ausbildung in dem Bereich gemacht, in dem sie Lust und Leidenschaft empfinden. Das ist gerade nicht das Management. Hilfreich ist es, sich diesen Themen unbefangen zu nähern und möglichst wenig Vorurteile zu haben. Was uns in Hessen, wo ich intensiv arbeite, hilft, ist, unterschiedliche Perspektiven einzunehmen. Wir betrachten die ganze Gesellschaft: Welche Milieus leben hier, welche Werthaltungen haben sie, welche sind die politischen Strömungen in diesem Land? Die nächste Frage ist dann: Wie gehe ich damit um?

nmz: Erleben Sie in Ihrer Beratungstätigkeit Offenheit oder eher Angst?

Theßenvitz: Angst erlebe ich deutlich weniger als in anderen Bildungs- und Kulturbereichen. Die Musikschulen verfolgen eine gute Strategie, indem sie handeln, solange sie noch handeln können. Da gibt es kluge Köpfe, die sich beizeiten die richtigen Fragen stellen.

nmz: Wie positionieren sich die Musikschulen im Kontext der zukünftigen Bildungslandschaft?

Theßenvitz: Wenn wir noch einmal auf die Megatrends sehen: Bildung, Kultur, soziale Kompetenzen, dann gehören die Musikschulen auf jeden Fall zu den Guten. Sie sind ja, um das Unwort des Jahres zu bemühen, alternativlos. Da sind sich auch alle Parteien einig. Wir müssen heute aufpassen, dass wir die Sekundäreffekte der Musik nicht zu weit in den Vordergrund rücken. Es muss im Kern immer um die Musik gehen. Diese Notwendigkeit, an der Identität zu arbeiten und sich auf den Kern der Leistungen zu beziehen, haben die Musikschulen erkannt.

nmz: Sie haben von den Milieus gesprochen. Man muss ja feststellen, dass sich die Musikschulen mit ihrer Schülerklientel bisher eher in der Mittelschicht bewegt haben. Glauben Sie, dass genug dafür getan wird, in andere Milieus vorzustoßen und sie zu packen?

Theßenvitz: Es ist richtig, was Sie sagen. Der Kern der Musikschulen sind Bildungsmilieus. Das sind Menschen, denen Bildung, Kultur und geistiges Wachstum wichtig sind und die Zeit und Geld dafür investieren. An andere Milieus, die „Bildungsverweigerer“, kommt man nur schwer heran. In der Regel fragt Bildung nach Bildung. Dieses Phänomen erleben wir auch bei den Musikschulen. Je mehr sich die Musikschulen heute allerdings differenzieren, also nicht nur die hehre Klassik betreiben, sondern auch Popularmusik, Jazz, Rock, Weltmusik und so weiter, je mehr sie diesen breiten Regenbogen der Möglichkeiten darstellen, umso breit gefächerter wird auch das Publikum. Das ist eine Frage des Angebots.

nmz: Sind die Musikschulen da auf einem guten Weg?

Theßenvitz: Unbedingt, und es gibt laute Aha-Erlebnisse bei der Erkenntnis, dass das Angebot die Nachfrage beeinflusst. Es geht dabei um Stilrichtungen, aber auch um Angebotsformen: Muss es immer der Unterricht einmal in der Woche sein? Gibt es nicht auch flexiblere Formen in einer sich flexibilisierenden Gesellschaft? Workshops, Sommer-Akademien zum Beispiel? Ich beobachte immer wieder, dass solche Initiativen und Projekte großen Erfolg haben. Was Musikschulen anbieten, wird auch nachgefragt. Der Markt ist noch lange nicht gesättigt.

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