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Musikschulen: Zentren kultureller Bildung

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Ein Beitrag zur Standortbestimmung der bayerischen Musikschulen
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„Die Schulen sollen nicht nur Wissen und Können vermitteln, sondern auch Herz und Charakter bilden“ – das fordert die bayerische Verfassung in Art. 131 und stößt damit während des Reformprozesses von Bildungssystemen die Diskussion um Wertevermittlung in der Schule neu an. Für die bayerischen Musikschulen ist die Forderung der Gesetzgeber längst ein Wesensmerkmal ihrer Arbeit und es verwundert nicht, dass sie besonders dort gut erfüllt wird, wo die Musikschulen in der kommunalen Bildungslandschaft mit Kindertagesstätten, Schulen und Musikvereinen zusammenarbeiten. Wie selbstverständlich beziehen die Musikschulen stets auch die Familien in den Bildungsprozess ein und nehmen die Eltern auf dem Bildungsweg ihrer Kinder mit. Die Beteiligten selbst sind die Bindeglieder in diesem Prozess, den sie mit allen Sinnen erleben können und durch den sie ein wachsendes Gefühl der Selbstwirksamkeit entdecken.

Es wäre zu kurz gegriffen, Musikschulen nur dem Bildungsbereich Musik und hier wiederum der außerschulischen Bildung zuzuordnen. Mitten in der Bildungsreform entwickeln sich die Musikschulen zu kommunalen Zentren der kulturellen Bildung. Dazu einige Thesen:

Kulturelle Bildung prägt den Menschen

Der Mensch ist der Mittelpunkt in der kulturellen Bildung, sie bewegt seine Persönlichkeit. Ein Wesenszug kultureller Bildungsprozesse ist das gemeinsame Handeln, aus dem sich Werte herausbilden, die ohne erhobenen Zeigefinger für den Menschen erfahrbar werden. Besonders junge Leute möchten mit allen Sinnen entdecken, erleben, begreifen und erfassen. Den nötigen Freiraum dazu finden sie in der kulturellen Bildung. Sie löst einen Motivationsschalter in den Köpfen aus und stärkt den Willen, selbst etwas bewegen zu wollen.

Wie ein Motor für die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen funktioniert kulturelle Bildung, kann eine kraftvolle Lenkerin durch die Schullaufbahn sein und begleitet uns alle bei gesellschaftlichen Veränderungen. Kulturelle Bildung verbindet Tradition und Innovation, indem sie Respekt vor den überlieferten Werten vermittelt und im Vertrauen darauf Vision und Kreativität hervorbringt.

Immer wieder kommt es dabei zu einem einzigartigen Zusammenspiel von Emotion und Intellekt, zum Gleichklang von Herz, Hand und Verstand. Das beflügelt den Verständigungsprozess zwischen den Menschen über das, was gut für die Gemeinschaft ist.

Musik im Zentrum der kulturellen Bildung

Musik ist keine singuläre Disziplin, sie strahlt in alle kulturellen Bereiche aus. Ohne Musik wäre Tanz und Theater kaum denkbar, audiovisuelle Medien wären unvollständig. Musik ist offen für das Zusammenspiel mit bildender Kunst und Literatur. Viele bayerische Musikschulen sind in diesem Sinne bereits auf dem besten Wege, „Kulturschule“ zu sein. Schon im Bereich der frühkindlichen Bildung steht Musik nicht allein für sich. Vielmehr stellen die drei Bildungsbereiche Musik, Sprache und Bewegung eine Querschnittsaufgabe dar, die das gesamte frühpädagogische Konzept durchdringen kann. Die Fachkräfte für Elementare Musikpädagogik an den öffentlichen Musikschulen sind speziell für diese Querschnittsaufgabe ausgebildet und ergänzen bereits vielerorts die Arbeit der Kindergärten.

Kunst und Pädagogik

Musikalische Aktion ist Kunst und als solche von eigenem Wert. Zweckfreie Erfahrungen müssen im Mittelpunkt stehen. Wer erwünschte „Nebenwirkungen“ wie zum Beispiel die Persönlichkeitsbildung oder einen Zugewinn an Sozialkompetenz in den Vordergrund stellt, verdeckt die ursprüngliche Kraft der Kunst. Dennoch: Kunst genügt sich nicht selbst. Die musikalische Bildung folgt zunächst elementarpädagogischen Prinzipien, sie stellt den heranwachsenden Menschen und seine Entwicklung in den Mittelpunkt. Jedes Kind eignet sich die Welt auf evolutionär erprobten Wegen an. Es beginnt mit dem Wahrnehmen, geht über zum Entdecken, fängt schon früh an, sich auf seine Mitwelt zu beziehen und definiert sich schließlich selbst im „Erschaffen“.

Dabei ist das Gelingen des ersten Schrittes außerordentlich bedeutsam. Denn wahrnehmen können Kinder nur das, was wahr ist – im Sinne von unmittelbar und authentisch. Aus dieser Erkenntnis leitet sich die Idee ab, pädagogisch versierte Künstler und kulturell orientierte Pädagogen das Feld der kulturellen Bildung im Tandem bestellen zu lassen – also Musikschullehrkräfte in Zusammenarbeit mit den pädagogischen Fachkräften an KiTas oder den Lehrkräften der allgemein bildenden Schulen. Dadurch wird außerdem die fachliche Begleitung über die strukturellen Schnittstellen des Bildungssystems hinweg gewährleistet.

Kulturelle Bildung stiftet Identität

Vor allem Kinder und Jugendliche wollen mit allen Sinnen erleben, wie sich der Wirkungskreislauf von Bildung und Kultur schließt. Dort, wo Kinder mit Migrationshintergrund oder aus sozialen Randmilieus und Menschen mit Behinderung aktiv in diesen Prozess eingebunden werden können, gelingt nachhaltig Integration. Auf dem musikalischen Bildungsweg wächst bei den Kindern mit jedem Schritt ihre Lust, sich einzusetzen und etwas fertig zu bringen. Denn das Üben mit Instrument und Stimme ist mit Anstrengung verbunden, die regelmäßig belohnt wird, nicht zuletzt im musikalischen Gemeinschaftserlebnis. So können aus der Breitenarbeit heraus ganz besondere musikalische Leistungen entstehen.

Forderungen an die Politik

Die öffentlichen Musikschulen in Bayern fordern die Landespolitik und die Ministerialbehörden auf, in die Zukunft zu denken und danach zu handeln. Sie vertreten die Auffassung, dass der Leuchttürme genug sind. Pionierarbeit ist getan, vielfach mit hohem Qualitätsanspruch und beflügelt von großer Begeisterung.

Die Modellprojekte sind gut dokumentiert. Was jetzt folgen muss, ist eine Umsetzung in die Fläche. Dazu ist nicht nur der Fachdiskurs stetig weiter zu führen, sondern es bedarf guter, verlässlicher und permanenter Strukturen auch bei der Finanzierung.

Komplementär zum Bildungssystem gehen jede Menge von Projekten ganz eigene Wege. Das kann auf Dauer nicht dem Zufall überlassen bleiben. Solche Maßnahmen müssen regelmäßig mit dem Bildungssystem verknüpft werden, sie müssen zu Bestandteilen des Bildungssystems werden.

Eine große Aufgabe der kommenden Jahre ist also die Vernetzung. Es gilt, vorhandene Potentiale sowie eine Fülle von Know-how zu verknüpfen und die Ressourcen so zu bündeln, dass die Menschen im Land möglichst stark von den Wirkungen kultureller Bildung profitieren können. Die jahrzehntelangen Anstrengungen der bayerischen Kommunen, die sich als Träger von öffentlichen Musikschulen bewährt haben, sind bei der Veränderung des staatlichen Bildungssystems aufzugreifen. Diese Herausforderung nehmen die bayerischen Musikschulen an, vertreten durch ihren Verband Bayerischer Sing- und Musikschulen und Seite an Seite mit dem Bayerischen Musikrat. Die Fachkräfte müssen eingebunden werden, um ein dringend erforderliches, gemeinsames Arbeitsgremium der Ministerien für Arbeit und Soziales, für Unterricht und Kultus sowie für Wissenschaft, Forschung und Kunst unter Einbeziehung des Finanzministeriums inhaltlich zu unterstützen.

Qualität erzeugt nachhaltige Wirkung

Die Stärke der öffentlichen Musikschulen liegt nicht nur in ihrer Professionalität, in ihrer Zugänglichkeit und im fachlichen Aufbau der Unterrichtsangebote.

Diese Qualitätsmerkmale sind in Bayern auf bewährte Weise durch die Sing- und Musikschulverordnung sichergestellt.

Die Stärke der Musikschulen ist ihre Kontinuität. Sie sind Zentren, „Vernetzer“ und fachliche Begleiter von kultureller Bildung durch alle Lebensphasen.

Dabei verstehen sie über eine lange Zeit die Eltern als den wichtigsten Bildungspartner und verorten musikalische Bildung so nahe wie möglich am Alltag der Kinder – erfolgreich auch in der Partnerschaft mit KiTas, Schulen und kulturell orientierten Vereinen.

Bezogen auf das lebensnahe Gelingen von kultureller Bildung sind Musikschulen das zweckmäßige und sinnvoll einsetzbare Bindeglied in der kommunalen Bildungslandschaft.

Eine Übertragbarkeit der Bildungsangebote in die Fläche sowie die gleichberechtigte Teilhabe sind grundlegende Ziele des öffentlichen Musikschulwesens in Bayern.

„Jedem Kind seine Musikschule!“ ist ein Leitsatz des Verbandes Bayerischer Sing- und Musikschulen, der die Beweggründe auf den Punkt bringt.

An Bedeutung gewinnt er, weil alle Mitgliedsschulen des Verbandes in kommunaler Trägerschaft sind oder maßgeblich von der Kommune gefördert werden. „Jedem Kind seine Musikschule!“ – dieses Erfolgsmodell gilt es auszubauen.

Peter Pfaff, Bildungsreferent in der Beratungsstelle für das Musikschulwesen in Bayern

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