Hauptbild
Wir bleiben Freunde: Wolfgang Rihm(li.) und Klaus Lauer in Bad Reichenhall. Foto: Charlotte Oswald
Wir bleiben Freunde: Wolfgang Rihm(li.) und Klaus Lauer in Bad Reichenhall. Foto: Charlotte Oswald
Hauptrubrik
Banner Full-Size

Nachschlag 2012/12

Untertitel
Festivalsterben
Publikationsdatum
Body

Klappe! Aus! Wie bei Filmarbeiten! Besorgte Musikfreunde hatten es schon erwartet: Klaus Lauers „Alpenklassik“-Festival in Bad Reichenhall fand in diesem Herbst zum letzten Mal statt. Der Besuch ließ in fünf Jahren, in denen Lauer die „Alpenklassik“ gestaltete, zu wünschen übrig. Grund: Das Niveau der Programme und Interpreten war wohl zu hoch, um auch Reichenhalls Musikbürger anzulocken.

Dafür kamen immer wieder treue Musikbürger aus Badenweiler zu Besuch, die Lauers Arbeit aus vergangenen Römerbad-Zeiten zu schätzen wussten – aber es waren letztlich doch zu wenige, um den wunderschönen, für Kammermusik ideal geeigneten Saal im Alten königlichen Kurhaus in Reichenhall zu füllen und damit zugleich die schmale Stadtkasse. Da genügte das ungeduldige Murren einiger Stadtpolitiker, um Klaus Lauers Visionen zu zerstören. Denn Lauer ist ein Mensch, für den Musik existenzielle Bedeutung hat. Sein Kunstverständnis ist gepaart mit reichem Wissen, mit einem untrüglichen Gespür für künstlerische Qualität und großer Liebe für die Werke und deren Schöpfer – und für die Interpreten, die die Schöpfungen adäquat zu klingendem Leben erwecken können. 

Dass das alles bei vielen, vor allem bei Politikern, nicht mehr viel gilt, muss man zur Kenntnis nehmen, ohne es zu billigen. Das Niveau sinkt beständig.

Das letzte Lauer-Programm für Reichenhall präsentierte noch einmal dessen umfassenden musikalischen Horizont, der sich zugleich an hochqualifizierten interpretatorischen Standards orientiert: Das Quarteto Casals konfrontierte Franz Schubert mit Dmitri Schostakowitsch, die Sopranistin Claire Booth und der Pianist Florent Boffard ließen Werke von Gabriel Fauré, Maurice Ravel und Claude Debussy in vier Lieder von Richard Strauss münden. Der Pianist Alexander Melnikow setzte zwischen die Fantasien op. 116 von Johannes Brahms und die Prädudien und Fugen op. 87 von Schostakowitsch die „Intermezzi für Klavier“ (2010) von Jörg Widmann. Dessen Schwester, die Geigerin Carolin Widmann, widmete sich dem Melodiker Wolfgang Rihm in dem Solostück „Über die Linie“. Und Widmann selbst schonte sich nicht, trotz der gleichzeitigen Uraufführung seiner „Babylon“-Oper in München, Klaus Lauer noch einmal die Ehre zu erweisen: in Mozarts Klarinettenquintett A-Dur KV 581 und Rihms „Vier Studien“ für dieselbe Besetzung, gemeinsam mit dem belgischen Quatuor Danel.

Zarte Melancholie überstrahlte die beiden Schlusskonzerte dieses letzten „Alpenklassik-Festivals“. Der Tenor Christoph Prégardien, von Siegfried Mauser am Klavier kongenial begleitet, äußerst präsent, beredt und plastisch in der Tongebung, gestaltete Rihms „Ende der Handschrift“ nach Heiner Müllers Texten sowie Gustav Mahlers „Lieder eines fahrenden Gesellen“ und Robert Schumanns Eichendorff-Liederkreis op. 30 mit atemraubender Intensität und subtilen Nuancierungen, bei geistiger Durchdringung der Texte: Das ist Liedgesang auf bestem Fischer-Dieskau-Niveau. Als Zugabe sang er, als Hommage an Klaus Lauer, Gustav Mahlers „Ich bin der Welt abhanden gekommen“. Rührung, Ergriffenheit überall im Saal. Tags darauf glitt der Pianist Nicolas Hodges nahtlos aus einer Auswahl der Bachschen Inventionen BWV 772 ff. über in Rihms „Zwei Linien“, ein Werk in progress schon seit dem Jahr 2000 für die Freunde Annette und Klaus Lauer, hier als Uraufführung deklariert. Rihm greift die Bach-Vorlage in harmonischen und linearen Anverwandlungen geradezu virtuos und res­pektvoll zugleich auf. Mit Blick auf die Widmungsträger könnte man sagen: Es ist so etwas wie die Wiedergeburt der einstigen Gesellschaftsmusik als Huldigungsadresse.

Eine wuchtige Darstellung von Rihms Klavierstück Nr. 7 stand am Ende des Finales, von Nicolas Hodges so eruptiv-explosiv gespielt, dass es noch in Schuberts „Wanderer- Fantasie“ hineinwirkte. Ein aufregender Schlussakkord für diese allzu kurze Lauer-Ära in Reichenhall! Wie sagt es der Herzog in Shakespeares „Was ihr wollt“: „Wenn die Musik der Liebe Nahrung ist, spielt weiter.“ Hoffen wir, dass Klaus Lauer bald ein neues Illyrien findet.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!