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Revenants
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„Revenants“, das sind Wesen aus dem Horror-Kosmos: Untote, Wiedergänger; Gespenster, die keine Ruhe geben können, weil es da noch etwas Unabgegoltenes gibt. Im Pop-Kontext spricht man gern, harmloser, von „Revival“. Aber Revivals sind etwas anderes: Dinge, die niemand braucht; außer denen vielleicht, die ihre Miete bezahlen müssen.

„Revenants“, das sind Wesen aus dem Horror-Kosmos: Untote, Wiedergänger; Gespenster, die keine Ruhe geben können, weil es da noch etwas Unabgegoltenes gibt. Im Pop-Kontext spricht man gern, harmloser, von „Revival“. Aber Revivals sind etwas anderes: Dinge, die niemand braucht; außer denen vielleicht, die ihre Miete bezahlen müssen.Marc Almond gehört nicht zu ihnen. Seit er mit seiner Band „Soft Cell“ vor fast zwanzig Jahren seinen Mega-Millionen-Seller all over the world „Tainted Love“ hatte, ist er aller irdischen Sorgen ledig – und zu einer Ikone mutiert. Öfter noch und entschiedener als David Bowie hat er die Identitäten und Masken gewechselt, mutiger und entschiedener auch, denn er hat nie nur die exotischsten Bedürfnisse des „mainstream“ bedient. Marc Almond wurde in seiner Post-„Soft Cell“-Periode zum Anwalt der Partial-Triebe und Perversionen und zur Kult-Figur der Schwulen-Szene und der Subkultur-Demimonde. Als abgründiger „Crooner“ demonstrierte er, dass die großen Gefühle und die kleinen Erfindungen am Rande sich der Differenz verdanken, dem Anders-Sein. Auf seinem 13., geradezu programmatisch „Stranger Things“ betitelten Album (bei Indigo) geht er über die TripHop- und Jazz-Experimente des exzellenten Vorgängers noch hinaus; was er schafft, ist eine Kunst-Welt inszenierter Triebe und Leidenschaft, voller Pathos, manchmal fast ein wenig zu „artsy“: pure, wegschwemmende und auslöschende Künstlichkeit. Auf dem Cover des Albums ist sein androgynes Gesicht von Diamanten übersät: ein Labyrinth der Lust. – Und: In diesem Jahr wird es auch noch ein „Soft Cell“-Reunion-Album geben; das sind dann die wahren Gespenster des Glücks.

Als ich kürzlich beim Gespräch mit Phi- lip Boa meine Enttäuschung über das neue Echo & the Bunnymen-Album äußerte, reagierte er nur mit einem: „Schade! Ich dachte, es ist gut.“ Vielleicht ist es das auch; an manche „revenants“ muss man sich erst gewöhnen. Ian McCulloch und Co. waren Anfang der 80er-Jahre Wave-Wiedergänger der Beatles, „Crocodiles“ (so der Titel des ersten Albums) des Mersey-Beats, die Revolte und Glamour ohne jede sichtbare Anstrengung verbanden. Spätestens Mitte der 80er- Jahre hätten sie ganz groß sein können. Aber es folgte, was sich im Retro-Look fast zu glatt liest: der Absturz aus dem schon fantasierten Superstardom – Paranoia, Kokain, Alkohol, missglückte Solokarrieren und allerlei persönliche Schicksalsschläge. Das ist der Stoff, aus dem die späten, die „revenant“-Karrieren sind. Die 97er-Reunion begrüßte der Melody Maker mit dem Statement: „Best Comeback In The World ... Ever!“ Nun ja, die Briten sind Meister der Übertreibung und des kurzen Gedächtnisses; aber tatsächlich „gewinnt“ das New Millennium-Album „Flowers“ (Cooking Vinyl/Indigo) bei wiederholtem Hören: melodischer Gitarren-Rock ohne Mätzchen, der zeitlos zu sein scheint.

Noch ein Zeitloser, ein „revenant“ der kürzesten Zeittakte: Brian Eno. Er war einst, Anfang der 70er-Jahre bei „Roxy Music“, der sichtbarste aller Pop-Superstars, eine Glamour-Ikone nämlich. Aber rasch wollte er nicht mehr das Bild sein, in das jeder sein Begehren projiziert. Er übte sich in der hohen Kunst des Verschwindens, des Unsichtbar-Werdens. Brian Eno wurde der innovativste Produzent des Pop-Kosmos, von Bowie bis Bono kreierte er, durch seine Erfindungen, Superstars am laufenden Band. Aber die im Dunkeln sieht man nicht? Das stimmt in seinem Fall nur halb. Zwar entzog sich Eno allen Blicken. Aber in gewisser Weise wurde er dadurch nur immer sichtbarer. Jede der raschen „Wiederkehren“ wurde zur Überraschung. Eno erfand den „dancefloor“ neu, ausgerechnet mit dem staksigen Stadtneurotiker David Byrne (Talking Heads), er wurde aber auch zu einem Avantgardisten der „Weltmusik“ und der „new electronica“. Sein neues Album „Drawn From Life“ (bei Virgin), zusammen mit dem eine Generation jüngeren Frankfurter Jazz-Aficionado Peter Schwalm aufgenommen, ist eine düster-faszinierende Reise ins Innere der neuen Klänge. Selten waren künstliche Sounds so suggestiv und so nah an den unausgesprochenen Wünschen, am Traum-Realen. Und, das gehört zum anonymen „Netzwerk“-Eno, sogar Laurie Anderson, die er auch schon produzierte, taucht auf einem „Song“ auf und leiht der wunderbar-verwunschenen Eno-Schwalm-Welt ihre somnambule Stimme.

Die faszinierendsten „revenants“ sind vielleicht die, die in Wahrheit nie verschwunden sind: Bob Dylan etwa, der in seiner 40-jährigen Karriere oft schneller, auch entschlossener war als seine konservativen Fans. Jetzt ist der alte Dylan seit vielen Jahren auf Never-ending-Tour. Ein Chamäleon von Tag zu Tag, ein Verwandlungskünstler aus dem Fundus seiner eigenen, reichen Geschichte. Wer ihm nicht ein Leben lang auf den Spuren bleiben konnte, der hat jetzt mit der Doppel-CD „The Ultimate Collection“ (Columbia/Sony) Gelegenheit, ihn „im Lauf der Zeit“ kennen zu lernen. Ein Sampler für viele Tage und Nächte.

Das gilt natürlich auch für „The Essential Miles Davis“ (ebenfalls eine Doppel-CD, ebenfalls Columbia/Sony). Der Maestro des herzzerreißend-gebrochenen Trompeten-Klangs, so (leider!) wahrhaft tot und so unleugbar lebendig, ist der unheimlichste „revenant“. Ein Wanderer zwischen allen Welten, der zuerst die Geschichte des Post-Swing-Jazz mit- und umgeschrieben hat und dann in den Pop einen neuen Ton einführte und so am Ende in seiner ganzen Bohème-Verlorenheit noch ein luxurierendes Leben führen konnte, das aber nur die Außenwelt einer Innenwelt war, die man sich betörender und widerborstiger kaum denken kann. Ein „must“ für alle Nachgeborenen, die erst am Beginn ihrer eigenen „revenant“-Karriere stehen.

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