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Nur wenige trifft der Gnadenstrahl einer Solistenkarriere

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Johannes Göring und Johannes Hentschel von der Studierendenkonferenz der deutschen Musikhochschulen im Gespräch
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2010 und 2011 fanden, jeweils zeitgleich mit den Rektorenkonferenzen, erstmals Bundes-ASten-Konferenzen der deutschen Musikhochschulen statt. Nach einer organisatorisch bedingten Pause und der Umbenennung in „Studierendenkonferenz der deutschen Musikhochschulen“ (StuKoM) trafen sich die Studierendenvertreter heuer wieder und wählten aus ihren Reihen erstmals einen Sprecher und einen stellvertretenden Sprecher: Johannes Göring (Köln) und Johannes Hentschel (Freiburg). Mit den beiden Schulmusikstudenten sprach Juan Martin Koch über die hochschulpolitischen Positionen der StuKoM und die Lage in Baden-Württemberg nach dem dritten Symposium im Rahmen der „Zukunftskonferenz“.

neue musikzeitung: Als die ersten Bundes-ASten-Konferenzen der Musikhochschulen stattfanden, war Bologna ein wichtiges Thema. Nun „feiert“ die Reform ihren 15. Geburtstag. Wie fällt Ihr Fazit aus?

Johannes Hentschel: Aus meiner Erfahrung in Freiburg kann ich sagen, dass die Lehrpläne zwar einerseits sehr vollgestopft sind, dass das Studium aber trotzdem noch relativ frei gestaltet werden kann, vor allem was die zeitliche Abfolge der Veranstaltungen betrifft.

Johannes Göring: Die Wahrnehmung ist unterschiedlich. An einigen Hochschulen wird das modularisierte Studium als regelrechtes Korsett empfunden, an anderen gibt es in der Tat gegen Ende des Studiums mehr Freiheit.

Hentschel: Eine Veränderungsidee, die wir haben, ist folgende: Wir würden uns eine Art Grundstudium wünschen, das für alle Bachelor-Studierenden gleich ist und die entscheidenden Pflichtanteile enthält. Dazu müsste nach unserer Auffassung neben Fächern wie Gehörbildung auch Pädagogik gehören. Das Hauptstudium könnte dann flexibler gestaltbar sein. Hier sollten Studierende viel freier aus dem Angebot der Musikhochschule wählen können, um ihre Credits zu erreichen. Diese Forderung betrifft in erster Linie die künstlerischen Studiengänge.

Göring: Viele kommen an die Hochschule und können das Angebot noch gar nicht überblicken. Sie stürzen sich in den Hauptfachunterricht und nehmen gar nicht richtig wahr, was links und rechts passiert. Eine Professionalisierung in anderen Bereichen wird kaum angenommen, da sie nicht ausreichend kommuniziert wird. Die Lehramtsstudiengänge sind da per se schon breiter aufgestellt.

Hentschel: Die Modularisierung an sich widerspricht eigentlich dem Gedanken einer umfassenden Musikausbildung, in dem Sinne, dass Musizieren eine Tätigkeit ist, die sehr viele Dimensionen umfasst. Es ist eigentlich ein abwegiger Gedanke, die verschiedenen Fächer so stark voneinander zu trennen. „Vernetzung“ ist ja zurzeit eines der großen Schlüsselwörter bei der Diskussion über die Musikhochschulen, aber Modularisierung ist eigentlich das Gegenteil von Vernetzung. Bologna an sich lässt meines Erachtens den Hochschulen auch Freiheiten, das Konzept der Module aufzulösen. Diese starre Form ist in gewisser Weise auch ein Missverständnis bei der Umsetzung der Reform.

nmz: Die Vernetzung zwischen Fächern und Fachbereichen setzt aber auch Professoren und Dozenten voraus, die dazu willens und in der Lage sind …

Hentschel: Ganz bestimmt. Deshalb appellieren wir auch intensiv, solche gemeinsamen Veranstaltungen und Projekte zu initiieren. In Freiburg wird es zum Beispiel im Wintersemester 2015 ein Semestermotto geben: Anton Webern – als Themenstrang, an dem sich Lehrangebote und andere Veranstaltungen orientieren können, aber nicht müssen. In einem zweiten Schritt könnte man dahin kommen, die Studienpläne von vornherein kooperativer zu gestalten. Mit hinein spielt hier übrigens auch die nach wie vor problematische Situation der Lehrbeauftragten, die in der Regel gar keine Kapazitäten haben, sich über die maximale Stundenzahl, die sie unterrichten dürfen, in einer solchen Form einzubringen.

Göring: Es gibt natürlich auch noch die Professoren vom alten Schlag, die von der Meisterlehre geprägt sind. Bis hin zu übergreifenden Angeboten ist es da ein langer Weg. Das heißt im Umkehrschluss, dass man jetzt damit anfangen muss, damit zukünftige Lehrende das in ihrer Ausbildung schon erlebt haben und dann auch weitergeben können.

nmz: Verträgt sich diese Vorstellung, die ja vom Spezialistentum weg ein Stück weit auf den musikalischen „Generalisten“ zielt, mit der viel beschworenen „Exzellenz“ der Musikhochschulen?

Hentschel: Eine Quintessenz, die wir in letzter Zeit oft in den Medien hören, ist die, dass die Studierenden sich nicht ausreichend auf den Arbeitsmarkt vorbereitet fühlen. Ich sehe das als eine Folge der zu starken Spezialisierung. Wenn man Musikstudierende als Kulturbotschafter versteht, dann ist es ganz klar, dass die meisten mit einer guten pädagogischen Grundlage ausgebildet werden müssen. Der Typus des Generalisten wird in Zukunft eine größere Rolle spielen müssen. Die Spezialisten sind auch wichtig, aber das ist eine kleine Spitze, die vom Gnadenstrahl einer Solistenkarriere oder einer Orchesterstelle getroffen wird.

nmz: Im Fokus der Diskussion stehen derzeit die Musikhochschulen Baden-Württembergs. Herr Hentschel, Sie haben das letzte Symposium im Rahmen der vom Wissenschaftsministerium initiierten „Zukunftskonferenz“ verfolgt. Ist die Stimmung nach wie vor aufgeladen?

Hentschel: Die Atmosphäre war zwischenzeitlich schon sehr angespannt. Das ging bis hin zu Protestrufen, unter anderem auch aus Unzufriedenheit über die Moderation … Insgesamt ist es wohl so, dass die einen der Politik grundsätzlich misstrauen und das Ganze als Ablenkungsmanöver ansehen. Aber es gibt auch diejenigen, die inhaltlich kritisieren. Beim letzten Symposium stand die Schulmusik im Mittelpunkt, aber bei den Podien waren die Themen so allgemein formuliert, dass kaum mehr als ein Herumlavieren dabei herauskam. Man war größtenteils einer Meinung. Das Konfliktpotenzial wurde da keinesfalls ausgeschöpft.

nmz: Was hätte aus Ihrer Sicht thematisiert werden müssen?

Hentschel: Vor allem natürlich die Standortfrage, die alle Rektorate umtreibt: Welche Hochschule verzichtet auf welchen Bereich? Trossingen setzt sich stark dafür ein, dass die Schulmusik dort verbleibt. Das Pendeln wegen des Zweitfachs an der Universität, das als Hauptargument für die Streichung angebracht wird, sehen die Studierenden dort nicht als Problem an. Auch die Lehramtsreform, die nächstes Jahr durchgeführt wird, also die Umstellung auf Bachelor/Master, hätte unbedingt angesprochen werden müssen, vor allem weil es ja Gelegenheit gegeben hätte, der Ministerin Fragen zu stellen. Aber das kam viel zu kurz.

nmz: Bei der Landtagsanhörung in Stuttgart im vergangenen Herbst hatte man den Eindruck, dass Ministerin Theresia Bauer am Gespräch mit den Studierenden sehr interessiert war. Wurde diese Dialogbereitschaft in der Folge eingelöst?

Hentschel: Die Ministerin gibt sich immer gesprächsbereit, aber als wir sie baten, auch die Verfasste Studierendenschaft in den Informationsfluss des Ministeriums einzubeziehen, sagte sie, das wäre den Aufwand nicht wert, sie kommuniziere nur mit den Rektoraten und wir müssten uns die Informationen von dort beschaffen  … Immerhin scheint es aber jetzt im Ministerium eine Person zu geben, die sich für den Kontakt mit den Verfassten Studierendenschaften zuständig fühlt, sodass wir uns da für die Zukunft Besserung erhoffen.

nmz: Sie sprachen davon, beim Schulmusik-Symposium seien alle einer Meinung gewesen. Worüber besteht Konsens?

Hentschel: Auch hier war das Schlagwort wieder die Vernetzung, außerdem die Rolle der Pädagogik. Gerade in der Schulmusik ist es ja so, dass die Studierenden viel mehr Angebote wahrnehmen, als sie müssten, weil sie vom Typ her häufig interessierte Allrounder sind oder sein möchten. Hier gäbe es ein großes Potenzial in Sachen Vernetzung. Von hier könnten Impulse ausgehen, das Studium zu verändern. Das positivste Ergebnis war, dass der Politik klar gemacht werden konnte, dass Schulmusiker künstlerisch hervorragend ausgebildet werden müssen. Es gibt ja auch Stimmen, die sagen, man müsse die Pädagogik stärken und könne den teuren und zeitintensiven künstlerischen Bereich einschränken. Aber da haben alle die Fahne hochgehalten.

nmz: Welche Forderungen ergeben sich aus Ihrer Sicht daraus für die in Baden-Württemberg angestrebte Strukturreform, die ja für das Minis-terium eine sein soll, die alles besser und gleichzeitig billiger macht?

Hentschel: Im Zuge der Reform ist unsere Position, eine bessere Finanzausstattung zu fordern. Wenn Profil- und Exzellenzbereiche aufgestellt werden, müssen diese ihren Namen zu Recht tragen, auf der Basis einer hervorragenden personellen Ausstattung. In Kernbereichen des Musikstudiums muss Unterricht bei Lehrbeauftragten die Ausnahme sein. Die Hochschulen müssen also derart ausgestattet sein, dass in den entscheidenden Fächern eines Studiengangs Unterricht von Lehrkräften mit festem Vertrag geleistet wird und die Anstellung von Lehrbeauftragten sich auf das nötige Mindestmaß beschränken kann. Es muss klar werden, dass eine solche Reform erst einmal Geld kostet. Der Weg, um später zu Einsparungen zu kommen, führt zunächst über Investitionen.

nmz: Haben Sie grundsätzlich den Eindruck, dass die Argumente der Studierenden seit Gründung der bundesweiten ASten-Konferenz beziehungsweise nun der StuKoM mehr Gewicht haben?

Göring: Eher nicht. Das lag vielleicht auch an der Pause zwischen 2011 und 2014, wo auf dieser Ebene nichts passiert ist. Deshalb arbeiten wir daran, hier eine Kontinuität aufzubauen. Die Wahl eines Sprechers und eines Stellvertreters sowie ein neuer Modus bei der Wahl der Orte, wo die StuKoM jeweils im Vorfeld der Rektorenkonferenz zusammenkommen wird, sind Maßnahmen, die uns in Zukunft hoffentlich dabei helfen, dass unsere Stimme auch auf Bundesebene gehört wird.

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