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Pluspunkte für Pierrot

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Arnold Schönberg: Pierrot Lunaire plus Jazz. Luciano Berio: Folk Songs. Stella Doufexis, Mezzosopran, opus21musikplus. Ltg.: Konstantia Gourzi.
Neos 10709

Für Konstantia Gourzi, die aus Griechenland stammende Komponistin, Dirigentin und umtriebige Leiterin gleich mehrerer Ensembles für Musik der Moderne, gehört der atmosphärische Rahmen eines Werkes und seiner Aufführung untrennbar zu ihrer Arbeit: „Ich suche die ergänzenden Teile in einem Mosaik, das sich erst im Zusammenspiel zu einem Gesamtbild fügt und der Musik einen neuen Raum gibt.“ Ihre jüngste CD, die bei NEOS Music in Koproduktion mit dem Bayerischen Rundfunk erschienen ist, löst diesen Anspruch mit dem frisch gegründeten Ensemble „opus21musikplus“ auf wohltuend unkonventionelle Weise ein. Arnold Schönbergs Melodram „Pierrot lunaire“ op. 21 aus dem Jahr 1912 etwa mischt Gourzi mit Jazz-Zwischenspielen, abschließend, gleichsam als Antwort und Fortsetzung, lässt sie Luciano Berios Melodiensammlung der elf „Folk Songs“ von 1964 folgen. In diesem ungewöhnlichen Umfeld erscheinen die Kompositionen in neuem Licht – und erhalten den angestrebten „neuen Raum“ zum Atmen.

Für ihr visionäres Musizieren fand Konstantia Gourzi in der deutsch-griechischen Mezzosopranistin Stella Doufexis und der Berliner Pianistin Maria Baptist gleichgesinnte Mitstreiterinnen. Mit fulminanter Intensität lässt Doufexis’ Sprechgesang die einundzwanzig Miniaturen des mondtrunkenen Schönberg-Pierrots lebendig werden. Hellwach reagiert ihre wendige Stimme auf kleinste Veränderungen der Tongebung, vorzüglich ist die Textverständlichkeit, mitunter entsteht aus Einzelworten ein ganzer Kosmos. Stella Doufexis erzählt kokett oder raunt geheimnisvoll, ist sinnlich-somnambul, morbide oder sehnsüchtig, spielerisch oder tiefsinnig. Binnen Sekunden entsteht eine andere Szene, und das hellhörige Ensemble „opus21musikplus“ verleiht der dichten Sprachperformance sensibel eigene Klangfarben. Nach der siebten Miniatur – unterteilt ist der „Pierrot lunaire“ in drei Teile à 7 Miniaturen – trägt das erste von zwei je rund vier Minuten dauernden „Jazz Interludes“ mit Maria Baptist den Hörer weiter und lässt den gehörten „Pierrot“-Teil nachwirken. Die Basis dieser feinsinnigen Klavierimprovisationen bilden Schönbergs Pierrot-Akkorde, die, langsam gespielt, „deutlich an Jazz-Akkorde erinnerten“, so Konstantia Gourzi, und eine innere Sammlung für das Kommende ermöglichen. So ergibt Schönberg plus Jazz eine andere Wahrnehmung des „Pierrot lunaire“.

Am Ende dieses neuen musikalischen Spannungsbogens stehen die Berio-„Folk Songs“, die mit zeitloser Qualität und melancholischem Märchenton mühelos an das letzte Pierrot-Stück anschließen. Nun überzeugt Stella Doufexis’ warm timbrierter Mezzo mit betörenden Lyrismen in vielen Sprachen und Dialekten – aus den USA, Armenien, Frankreich, Italien und Aserbaidschan stammen die Volkslieder, deren Texte in deutscher Übersetzung das Booklet leider unterschlägt. Aber dies ist auch das einzige Minus in einer Neueinspielung vieler Pluspunkte.

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