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Störfaktor Beethoven. Foto: Martin Hufner
Störfaktor Beethoven. Foto: Martin Hufner
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Polizei contra Ode an die Freude

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Nachschlag 2015/12
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Singen kann strafbar sein. Klar, wenn man verfassungsfeindliches Material singt. Es gibt da Sachen, die sind verboten. Die „Ode an die Freude“ aus Beethovens 9. Sinfonie gehört jetzt auch dazu. Denn diese Ode hat man am Staatstheater Mainz öffentlich geprobt. Fenster auf. Das „Problem“: Draußen vor der Tür fand zur gleichen Zeit eine Versammlung der Partei AfD statt. Dummer Zufall aber auch. Diese Aktion brachte dem Staatstheater Mainz offenbar eine Anzeige seitens der Polizei ein, wie mehrere Zeitungen (Süddeutsche Zeitung, WELT) und der SWR berichten.

Das Grundgesetz ist ein hohes Gut, es garantiert Versammlungsfreiheit. Die Polizei kennt da keine Gnade. Man muss leider vieles auf diese Weise dulden, aber eine willkürliche politische Einschränkung wäre sicher ein schlimmeres Übel.

Nur: Darf man deswegen nicht singen? Demonstrationen werden auch mal gestört – mit Trillerpfeifen, Rasseln und anderen Dingen, die die akustische Verbreitung von Kundgebungen unterminieren sollen. Das ist fast überall so und es wird auch normalerweise nicht weiterverfolgt. Versammlung trifft auf Versammlung. Wenn aber ein Staatstheater zufälligerweise bei offenen Fenstern und Türen singt, dann wird offenbar eine verfassungswidrige Aktion ausgelöst. Es gehört sich nicht nur nicht, es ist geradezu verboten. Anzeige der Polizei und später auch des Veranstalters, also der AfD, folgte auf dem Fuße. Ob die Anzeigen nun verfolgt werden, sei dahingestellt, aber die Drohung steht im Raum.

Nach Paragraph 21 des Versammlungsgesetzes wird, wer „in der Absicht, nichtverbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen grobe Störungen verursacht, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.“ Und da haben wir den Casus knacktus. Es ist alles eine Frage der Interpretation: Wollten die Sänger des Staatstheaters die Versammlung verhindern?

Nein, die fand ja statt. Wollten die Sänger des Staatstheaters die Versammlung sprengen? Sprengen? SPRENGEN? Äääh … mit Gesang? Nein. Ist das Singen der „Ode an die Freude“ dann etwa eine grobe Störung? Nun, Beethoven hätte vermutlich geantwortet: Ja. Nämlich eine Störung von Unterdrückung und der Verbreitung von Dummheit. Der Aufruf zu Brüderlichkeit ist also eine grobe Störung. Ich denke, leider ist das so, an manchen Orten sogar sehr, aber jetzt eher ideell, nicht dem Rechte nach natürlich.
Geht‘s noch? Menschenfeindliches Kundgegebe ist also das höhere Gut, das vor humanistisch-orientierter Kunst geschützt werden muss? Da muss einem ja die Hutschnur hochgehen. Was Störung ist und was nicht, das entscheidet dann die Polizei vor Ort ad hoc? Die haben nur gesungen! Immerhin: Es ist ja nur eine Anzeige, die Sänger und Sängerinnen des Staatstheaters sind nicht gleich eingefahren.

Eigentlich müsste man dazu raten, dass die Anzeige wirklich verfolgt wird, die Sache vor Gericht geht, um eine gewisse Rechtssicherheit zu erlangen. Darf man sich das Singen verbieten lassen? Ist eine öffentliche Probe eines Staatstheaters eine grobe Störung? Wahrscheinlich lässt es sich jetzt nicht mehr verhindern, dass sämtliche Aufführungen der 9. Sinfonie von Beethoven zu Sylvester polizeilich verboten werden müssen.

Man muss jedenfalls dem Theater gratulieren, dass es zur richtigen Zeit die richtige Probe mit dem richtigen Stück abgehalten hat. Gut gemacht, Staatstheater Mainz. Es sollte viel mehr öffentlich geprobt und gesungen werden.

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