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Probleme bleiben

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Ludwig van Beethoven: Leonore Hillevi Martinpelto (Leonore), Kirn Begley (Florestan), Matthew Best (Pizarro), Franz Hawlata (Rocco), Christiane Oelze (Marzelline), Michael Schade (Jaquino) u.a. The Monteverdi Choir, Orchestre Revolutionnaire et Romantique, Dirigent: John Eliot Gardiner.DG-Archiv 453 461-2 Daß Beethovens „Fidelio“ in der Spätfassung von 1814 ein Problem ist, hat der Komponist selber gewußt. Die vieldiskutierte Diskrepanz von biederer Singspielhaftigkeit der ersten Szenen und der oratorischen Überhöhung des Schlusses, von dramaturgischen Brüchen und humanistischem Verkündigungsethos, das alles macht gleichermaßen die Crux wie die Faszination dieses Werkes aus, das schließlich zu einer Art von Weihefestspiel hochstilisiert wurde, vor allem in Deutschland. Der Versuch, auf die „Leonore“, also die Erstfassung von 1804/05 Zweitfassung von 1806 zu rekurrieren, ist nicht neu, findet aber in den letzten Jahren mehr und mehr Interesse. Der umtriebige John Eliot Gardiner ließ von Nicholas McNair die im original verlorene Partitur von 1814 rekonstruieren, wobei er auch Einzelheiten aus der Fassung 1806 einbezog, und reiste mit dieser Version durch Europa und die USA. Die Dialoge ersetzte er durch einen von einem Sprecher vorgetragenen, den Gang der Handlung erzählenden Kommentar, der, wie die nun erschienene Einspielung des Projektes zeigt, keineswegs besser ist als Sonnleithners Text, ja stellenweise fast peinlich wirkt. Daß Beethoven für die Endfassung von 1814 kostbare Musik geopfert hat, so die Kürzung des Duetts „O namenlose Freude“, das nun nur noch ein Torso gegenüber dem Original ist, dürfte so unbestreitbar sein wie der Zuwachs an kostbarer Musik, so die Erweiterung der Florestan-Arie durch den visionären Schluß, der 1805 noch fehlte. Auch der nachkomponierte Gefangenenchor „Leb wohl, du warmes Sonnenlicht“ ist hier zu nennen. Glücklicher als das oratorische Schluß-Tableau unter freiem Himmel in der Endfassung ist der ursprüngliche Schluß, das Eindringen des Volkes in das Gefängnis, also dramatische Aktion und Zuspitzung gegenüber der vielmißbrauchten Festwiese-Feiern. Es wäre also müßig, darüber zu streiten, welche Fassung ,,besser“ ist. Die dramaturgischen Probleme löst auch die Erstfassung nicht. Gardiners Orchestre Revolutionnaire et Romantique spielt auf historischen Instrumenten, was dem Orchesterklang jene Schärfe und Schlankheit gibt, die auch für Gardiners Einspielung der Beethoven-Symphonien charakteristisch ist. Vor allem das helle Timbre der Bläser sorgt für diesen Zug von revolutionärem Elan. Ausgezeichnet agiert der Monteverdi Choir. Das instruktive Beiheft enthält nicht nur einen Beitrag Eliot Gardiners über die Fassungsprobleme des Werkes, sondern stellt neben das dreisprachig wiedergegebene Libretto eine tabellarische Übersicht über die einzelnen Abweichungen der drei Fassungen. Alles in allem eine qualitätvolle Produktion, die der Diskussion um Beethovens Schmerzenskind, seine einzige Oper, neue Impulse geben dürfte.

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