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Problemerfahrung und Lösungsansatz

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Zur wirtschaftlichen Situation der Diplom-Musikpädagogen · Von Helmar Kilian, Thüringen
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Wie ist es denn tat- sächlich um den Diplom-Musikpädago- gen (DMP) bestellt? Wird auch hier auf hohem Niveau gejammert oder geht es tatsächlich um die nackte Existenz?

Letztens habe ich – es war gerade noch  Ärztestreik – ein Interview im Radio  verfolgt: ein Zahnarzt hat sich lautstark darüber beschwert, dass er im  vergangenen Jahr lediglich 50.000 Euro  Gewinn erzielt habe. Man könne ihm  doch unmöglich zumuten, davon leben  zu müssen. Er müsse davon schließlich  auch noch seine Krankenkassenbeiträge bezahlen. Auch meine erwerbstätigen Musikschüler –  darunter sind Berufe vertreten wie Richter, Vermögensberater, Fondberater oder Ingenieur –  haben schon des Öfteren eine kritische   Meinung zum eigenen Verdienst geäußert. Und hier wurde über Gehaltsvorstellungen von monatlich weit jenseits 5.000 Euro diskutiert. Man müsse  dies im europäischen Vergleich sehen.  Wie viel man also tatsächlich benötigt,  um zufrieden davon leben zu können,  scheint eine sehr subjektive Angelegenheit zu sein. Wie ist es denn tatsächlich um den Diplom-Musikpädagogen (DMP) bestellt? Wird auch hier auf  hohem Niveau gejammert oder geht  es tatsächlich um die nackte Existenz?

Der angestellte DMP an einer öffentlichen Musikschule in Thüringen wird in der Regel nach  TVöD-Entgeltgruppe 9 bezahlt,  in kleineren Städten auch nach E8. Voraussetzung: natürlich ein abgeschlossenes Hochschulstudium. Allerdings ist  TVöD E8 eigentlich die Bezahlung im  öffentlichen Dienst für jene mit einer  abgeschlossenen Lehre. E9-12 für solche mit einem Fachhochschulstudium.  Hochschulabsolventen werden normalerweise in E13-15 eingruppiert. Der  aufmerksame DMP wird hier stutzig  und denkt sich, dass sich das anspruchsvolle Hochschulstudium an dieser Stelle anscheinend nicht wirklich  auszahlt. Eine volle Stelle beinhaltet 30  Schulstunden Unterricht pro Woche,  viele Musikschulen rechnen noch den  Ferienüberhang dazu, also kein Unterricht in den Ferien, dafür aber bis zu 36  Wochenstunden Unterricht. Dazu kommen die Nebentätigkeiten: die Vorbereitung des Unterrichts, die Durchführung von Schülervorspielen und Konzerten, Orchesterfreizeiten oder Band-Camps, die Fahrt zu Wettbewerben, der  Besuch von Lehrerkonferenzen, etcetera. Ein Blick über den Tellerrand: ein  Kollege an der Berufsschule, der beispielsweise Instrumentalunterricht für  zukünftige Erzieher erteilt, muss 24  Stunden pro Woche unterrichten. Und  landet in der Regel in Besoldungsgruppe A12 oder A13. Auch der Musiklehrer  am Gymnasium unterrichtet 24 Stunden in der Woche und ist in der Regel  verbeamtet. Der Verdienstunterschied  ist erheblich.

Kein gleicher Lohn  für gleiche Arbeit

An den öffentlichen Musikschulen arbeiten neben den Angestellten auch  noch die sogenannten Honorarkräfte.  Das sind – so der ursprüngliche Gedanke – diejenigen Lehrkräfte, die sogenannte Nischenfächer unterrichten.  Also Instrumente, die in nicht ganz so  großem Umfang unterrichtet werden,  so zum Beispiel Harfe oder Fagott.  Dazu muss keine feste Stelle eingerichtet werden, die wenigen Stunden  könnte etwa der Kollege aus dem städtischen Orchester nebenher übernehmen. Er hat schon ein festes Einkommen und kann stundenweise nur für  den Unterricht vorbeischauen. Die Nebentätigkeiten, abgesehen von der Unterrichtsvorbereitung, fallen für ihn  weg. Ein kurzer Blick in die letzte Umfrage von ver.di unter Musiklehrern  ergibt aber: Tatsächlich unterrichten  Honorarkräfte nicht nur Nischenfächer, an vielen Musikschulen arbeiten  inzwischen schon fast gar keine Festangestellten mehr. Aber wer kümmert  sich denn dann um den ordnungsgemäßen Ablauf des Musikschulalltags,  wer organisiert die Konzerte, macht  die Stundenpläne, fährt mit den Schülern zu Wettbewerben? Hier kann ich  aus eigener Erfahrung berichten: zum  einen werden Honorarkräfte – und  diese Feststellung wird den einen  oder anderen selbständig Tätigen in  der freien Wirtschaft in Erstaunen versetzen – tatsächlich schlechter bezahlt  als ihre angestellten Kollegen. Obwohl  sie wesentlich höhere Ausgaben, zum  Beispiel für Versicherungen, haben.  Laut ver.di müsste eine Honorarkraft,  rechnet man die schon relativ schlechte Bezahlung bei einer Festanstellung  in Honorarstunden um, in Thüringen  bei 37,27 Euro pro Unterrichtsstunde  liegen (mit Hochschulabschluss im 7.  Berufsjahr). In Thüringen erhält man  aber lediglich zwischen 11 und 19 Euro  Honorar, das Durchschnittshonorar  beträgt rund 16 Euro. Zum anderen  werden Nebentätigkeiten, um den regulären Musikschulbetrieb überhaupt  aufrecht erhalten zu können, oft unentgeltlich abverlangt oder müssen  von den wenigen verbliebenen Angestellten alleine bewältigt werden. Im  schlimmsten Fall bedeutet dies für  den Freiberufler: bei 30 Unterrichtsstunden pro Woche – an mehreren Einrichtungen, (Stichwort: Scheinselbständigkeit) und somit einem Mehrfachen an Schülerkonzerten, Vorspielen,  Lehrerkonferenzen, Musikschulveranstaltungen etcetera oder alternativ dem Unmut des Auftraggebers –  und 11 Euro Stundensatz, abzüglich  berufsbedingter Ausgaben für Versicherungen, Instrument, Noten, Fahrtkosten, und so weiter (ich rechne hier  mit insgesamt 35 Prozent) ergibt dies  ein Bruttoeinkommen von monatlich  rund 700 Euro. Vorrausgesetzt man  wird nie krank und kann alle 39 Wochen pro Schuljahr unterrichten. Davon gehen dann – wir erinnern uns an  den empörten Zahnarzt – noch die Sozialversicherungsbeiträge ab. Dank  Künstlersozialkasse nur rund 20 Prozent, also ergibt sich ein monatliches  Nettoeinkommen von etwa 560 Euro.  Wird man durchschnittlich mit 16  Euro pro Stunde bezahlt, verdient man  immerhin schon rund 810 Euro abzüglich Steuern. Die Zahlen sind zwar nur  grob überschlagen, machen aber deutlich, dass es in Thüringen gar nicht so  einfach ist, als Honorarkraft an öffentlichen Musikschulen die Armutsgrenze zu überschreiten.

Öffentliche Hand (zer-)stört Marktwert

Kein Problem, denkt der findige DMP,  dann schaue ich mich eben auf dem  freien Markt um. Kundschaft kann  ja nicht so schwer zu finden sein, die  Nachfrage für Gesangs- und Instrumentalunterricht ist schließlich so  groß wie nie zuvor, die Wartelisten  der Musikschulen werden immer länger. Ein adäquater Stundensatz ist sicherlich schnell gefunden: Ein Musiktherapeut beispielsweise hat in der Regel auch studiert und hat ähnlich hohe  Ausgaben.

Nachfragen im Bekanntenkreis zeigen: Eine Musiktherapeutin in der Stadt  nimmt 50 Euro für 30 Minuten Einzeltherapie und 60 Euro für 45 Minuten  Dreier-Gruppentherapie. Meine Frau,  ausgebildete Ergotherapeutin, bestätigt mir ähnlich hohe Abrechnungen  ihrer Therapiestunden über die Krankenkassen. Natürlich weiß ich, dass die  örtliche Musikschule wesentlich niedrigere Gebühren nimmt.

Der Unterschied zwischen subventionierter Gebühr und angemessenem  Honorar (Tariflohn) wird bei Musikunterricht nicht verstanden. Aber das sind  ja Gebühren, wie etwa für einen Personalausweis oder ein Nummernschild  im Bürgerbüro. Die sollten nichts mit  dem eigentlichen Verdienst des jeweiligen Sachbearbeiters zu tun haben.  Ein Blick auf die Preislisten der hier  ansässigen Privatmusikschulen zeigt  aber: Die Preise dort sind den Gebühren der Öffentlichen recht ähnlich. Und   das bei geringer bis gar keiner öffentlichen Förderung. Die Musiklehrer dort  verdienen also noch weniger als Honorarkräfte an den öffentlichen Einrichtungen.

Nachfragen bei meinen Privatschülern ergaben: der Unterschied zwischen einer Gebühr und einem Honorar  ist vielen egal. Dass die Wartezeiten auf  einen Unterrichtsplatz an städtischen  Musikschulen immer länger werden,  auch. Sie finden meine neuen Preisvorstellungen unverschämt.

Die Musikpädagogik steckt also in  einem Teufelskreis fest:

•  Öffentliche  Musikschulen  werden subventioniert und spiegeln den  Marktwert der Dienstleistung „Musikunterricht“ nicht in ihren Gebühren  wider.

• Das drückt die Preise der freien Musikschulen.

• Was auch Privatlehrer zwingt, ihre  Dienstleistung weit unter Marktwert  anzubieten.

• Was den öffentlichen Musikschulen  ermöglicht, diese Privatlehrer als Honorarkraft günstig einzukaufen.

• Was wiederum sehr günstige Musikschulgebühren ermöglicht.

Subvention nach Gießkannenprinzip ist ungerecht

Warum sind die Musikschulgebühren  denn eigentlich so niedrig? Nachfragen bei Musikschulleitern ergibt: Musikschulen sind so günstig, damit sich  möglichst viele den Unterricht leisten  können. Wenn aber (fast) alle gleich  wenig für den Unterricht bezahlen, ist  das dann nicht ungerecht? Geringverdiener bezahlen ja dann einen wesentlich höheren Anteil ihres Einkommens  für den Unterricht als Gutverdiener.  Wieder ein Blick über den Tellerrand  zeigt: für die Ausbildung an anderen  Schulen, auch privaten Einrichtungen,  kann für die Schüler BAföG beantragt  werden, einkommensabhängig und somit gerechter.

Was würde denn passieren, wenn  Musikschulgebühren das widerspiegeln würden, was Instrumentalunterricht auf dem freien Markt tatsächlich  wert ist? Man könnte sich hier wieder am Therapeutenberuf orientieren, oder etwa an Fahrschulen (diese würden es bestimmt auch nicht lustig finden, würde die Stadt plötzlich öffentliche Einrichtungen einführen, an denen man den Führerschein zu „sozial  verträglichen“ Preisen machen kann,  zugänglich für alle, unabhängig vom  Einkommen). Oder einfach schauen,  was auf dem freien Markt möglich ist.  Die Fördergelder könnten dann den  einkommensschwachen Schülern beziehungsweise deren Eltern zufließen,  damit sie sich den Unterricht nach wie  vor leisten können. Wer sich den Unterricht gar nicht leisten kann, sollte  auch nichts bezahlen müssen. Und  wenn ich mich unter meinen Schülern  so umschaue, so wirklich viele sind das  gar nicht. Eigentlich gibt es auch gar  keinen Grund, warum nur Schüler, die  sich in öffentlichen Musikschulen anmelden, gefördert werden sollen. Ich  habe zumindest nicht den Eindruck,  dass sich bedürftige Schüler derzeit  ausschließlich an öffentlichen Einrichtungen anmelden.

Lösung: Marktpreise für  Gutverdiener, Staatsgeld für  Bedürftige – anbieterneutral

Ich spinne meine Gedanken noch weiter: Was, wenn dies wirklich eingeführt würde? Die Gebühren spiegelten den Marktwert wider, trotzdem  könnten sich durch die öffentliche  Förderung aber immer noch alle den  Unterricht leisten. Und das wäre theoretisch ohne höhere Subventionen  möglich. Die freien Musikschulen und  Privatlehrer könnten endlich marktübliche Preise für ihre Tätigkeit verlangen. Der Beruf des DMP würde in  wirtschaftlicher Hinsicht gesunden. Natürlich bedeutet das nicht, dass  sich alle so einen teuren Unterricht  auch leisten wollen, beispielsweise weil es „nur ein Hobby“ ist: diese  könnten sich an andere, günstigere Anbieter wenden, etwa Musikvereine oder  ehemalige Musikschüler.

Klingt eigentlich verlockend. Wo ist  der Haken? Nun, die Verteilung der  Fördergelder ist ein Problem. Es wäre  naheliegend, dies den BAföG-Ämtern  zu überlassen. Viele förderungswürdige  Schüler werden dort früher oder später  sowieso einen Antrag stellen. Die Erhöhung der Gebühren wird man über  einen sehr langen Zeitraum strecken  müssen und die Aufklärungsarbeit, warum dies geschieht, wäre sehr umfangreich. Komplizierter wird es werden,  kommunale Gelder und Förderungen  von Land und Bund unter einen Hut zu  bringen. Aber diese Probleme erscheinen mir nicht unlösbar. Und letztendlich würden diejenigen von dieser Regelung profitieren, um die es bei der  Betrachtung eigentlich geht: Die bedürftigen Lehrer und deren bedürftige  Schüler. Leider profitieren davon keine Richter, Vermögensberater, Fondberater oder Ingenieure. Und auch keine Zahnärzte, sollten sie sich Musikunterricht wünschen. Aber diese werden  es verkraften, da bin ich mir sicher.

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