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Rückblende 2015/09

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Vor 50 und vor 100 Jahren
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Vor 100 Jahren: Stuttgart. Die Klavierfabrik Schiedmayer hat ihr neu erbautes rein gestimmtes Harmonium vorgeführt. +++ In Zürich ist das neue Orgelwerk der Großmünster-Kirche seiner Bestimmung übergeben worden. +++ London. Die englischen Klavierfabrikanten haben es u.a. auf die Firma C. Bechstein abgesehen +++ Die englischen Sozialisten haben sich Beethovens „Freude schöner Götterfunken“ zu ihrer Hymne erkoren
Vor 50 Jahren: Lindner-Klavier

Vor 100 Jahren

Stuttgart. Die Klavierfabrik Schiedmayer hat ihr neu erbautes rein gestimmtes Harmonium vorgeführt. Diese Erfindung von G. Puhlmann gestattet ein Nebeneinanderstellen der temperierten und der Reinstimmung, das sich durch eine Umstelltaste auf ein und derselben Klaviatur bewirken lässt.

In Zürich ist das neue Orgelwerk der Großmünster-Kirche seiner Bestimmung übergeben worden. Erbauer ist Th. Kuhn in Männedorf. Das Werk umfasst 92 Register, d.h. 27 mehr als früher, und stellt sich als das größte und schönste der Schweiz dar.

London. Die englischen Klavierfabrikanten haben es u.a. auf die Firma C. Bechstein abgesehen, die ein blühendes Zweigeschäft in London unterhielt. Sie haben es durchgesetzt oder doch dazu geholfen, dass der Firma die Hoflieferantentitel genommen wurden (das sich ertragen ließe) und dass die weitere Erlaubnis zum Geschäftsbetriebe in England verweigert wurde. Bechsteins Pariser Zweiggeschäft ist von der französischen Regierung sequestriert worden.

Die englischen Sozialisten haben sich Beethovens „Freude schöner Götterfunken“ zu ihrer Hymne erkoren, nachdem sie Edward Carpenter zuerst in seine „Chants of labour“ (mit verändertem Text) aufgenommen hatte. Die Beethovensche Melodie hat die früher beliebte „The red flag“ vollständig verdrängt. Wenn Deutschland nun noch nicht stolz wird, ist ihm nicht zu helfen.

Neue Musik-Zeitung XXXVI. Jahrgang 1915, H. 21, S. 252

Vor 50 Jahren

Ankunft in Irland, in einer Stadt von Fabrikhallen. Shannon heißt dieser seltsame Platz. Die Regierung hat ihn geschickt als neues Industriegebiet erschlossen. Darunter eine Riesenhalle, Eingangsschrift: „Rippen“. Massen-Fabrikationsobjekt: Kleinklaviere. Bau auf modernst technischem Weg mit Fließband. Daher Kalkulationsmöglichkeiten verblüffender Art, nicht zuletzt auch durch Verlademöglichkeit vom Fabriktor ins Flugzeug. Klaviere im Flugzeug? 90 kg Gewicht und ein Mechanismus, der die sperrige Klaviatur hochklappen lässt, machen diese Klaviere flugtransportabel. Es muss einem auch der Mut angeboren sein, in vielem mit der Klavierbau-Tradition zu brechen, aus einem Handwerk einen Industrieprozess zu machen. Und es gehört mehr als Einfall und Mut dazu, Klaviere aus Plastik (Mechanik und Tasten) und Leichtmetall (Rahmen) zu bauen. Folge: keine Temperatur- und Klima-Einflüsse mehr. Nur der Stimmstock mit dem Resonanzboden sind noch aus Holz (und ein kleines Teilchen am Hammerstiel). Selbst die Tasten sind ganz aus Plastik und kein Gramm Blei mehr zur Balance. Revolutionäre Dinge am Klavierbau. Und wie klingt ein Lindner-Klavier (so heißen die in Shannon fabrizierten Instrumente)? Mit einem eigenen Timbre, etwas kühl, aber angenehm, auch unromantisch, was zeitgemäß wäre). Für Mozarts singende Allegri, Beethovens expansives Espressivo nicht das Gewohnte. Freilich der Anschlag ist verblüffend – wenn man ihn erst erprobt hat. Er scheint müheloser (gute Repetition). Das Tonformen oder das Modellieren mit dem Finger aber fehlt. Die Welt der Klavierbauer kann in Shannon lernen, viel lernen; man baut dort rationeller und billiger als anderswo, auch stabiler.

Musikalische Jugend XIV. Jahrgang  1965, Nr. 4, S. 3

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