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Sägen am eigenen Ast

Untertitel
Der VdM und das Urteil des Landessozialgerichts NRW zur Festanstellung eines Gitarrenlehrers
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In der nmz-Ausgabe vom März 2017 erschienen in der Rubrik „Verbandspolitik“ auf der Seite des VdM drei bemerkenswerte Artikel von Matthias Pannes, Klaus-Jürgen Weber und Ulrich Rademacher, die in engem Bezug zu einem Urteil des Landessozialgerichts aus NRW stehen, aufgrund dessen einem Gitarrenlehrer aus Ahaus eine Festanstellung zugesprochen wurde. Bemerkenswert sind diese Artikel nicht nur, weil ein und derselbe Verband darin zwei widersprüchliche Positionen vertritt, sondern auch Argumente anführt, die für den Bestand des VdM selbst weitreichende Folgen haben könnten.

In seinem Beitrag „Richtiger Impuls auf falscher Basis!“ stellt Matthias Pannes unter anderem dar, dass zwei für die Urteilsbegründung maßgebliche Aspekte, nämlich die Bezugnahme auf die Verbindlichkeit der Rahmenlehrpläne des VdM sowie die Richtlinien für eine VdM-Mitgliedschaft, „kurzschlüssig-falsch und ohne sachgerechte Wahrnehmung von deren Ziel und Kontext“ seien, da sie nur eine Orientierungsgrundlage und „schülerbezogene Auftragslage“ darstellten. Ins gleiche Horn bläst Klaus-Jürgen Weber in seinem Artikel „Wichtiger Teil des Serviceangebots“, in dem er die Lehrpläne als „Serviceangebot“ für die Lehrkräfte bezeichnet, das ihnen lediglich Orientierung und Unterstützung bieten soll.

Unverbindlich verbindlich?

In den – übrigens qualitätsorientierten (!) – Richtlinien für die Bedingung einer VdM-Mitgliedschaft 1 ist allerdings nachzulesen, dass die Rahmenlehrpläne eine verbindliche Grundlage für den Unterricht bilden, und genau dieser Passus wurde auch zur Urteilsbegründung vom Landessozialgericht NRW herangezogen. Kann denn eine „Orientierungshilfe“ oder ein „Angebot“ überhaupt verbindlich sein? Den Richtlinien des VdM zufolge müssen Lehrkräfte an VdM-Schulen solche Hilfen und Angebote annehmen, da die Schule die Bedingungen für eine Mitgliedschaft sonst nicht erfüllt. Doch dann ist es kein „Angebot“ mehr, das man annehmen oder ablehnen kann, sondern eine Verpflichtung, also eine Identifikation mit den Zielen des VdM, auch wenn bezüglich der Ausgestaltung der Inhalte und Methoden genauso Entscheidungsfreiheit besteht wie für Lehrer/-innen an allgemein bildenden Schulen. Methodenfreiheit und inhaltliche Ausgestaltung sind also keineswegs als Indiz für Unverbindlichkeit zu betrachten, denn die Rahmenlehrpläne an allgemein bildenden Schulen sind als staatliche Vorgaben für die Lehrer/-innen durchaus bindend.

Doch ganz abgesehen von der mangelnden Logik der Argumentation des VdM, ist diese Argumentation zugleich ein Sägen am eigenen Ast, da der VdM durch die öffentliche Erklärung der Unverbindlichkeit seiner Richtlinie sich dem Status der privaten Musikschulen noch weiter annähert als bisher. Damit beraubt er sich eines seiner wichtigsten Qualitätskriterien und eines Großteils der Legitimation staatlicher Förderung beziehungsweise der Bevorzugung gegenüber privaten Anbietern.
Worin bestehen demnach eigentlich noch die Unterschiede zwischen privaten und VdM-Musikschulen? Sowohl an privaten als auch an einer großen Zahl öffentlicher Musikschulen (maßgeblich auch in Abhängigkeit vom Bundesland) arbeiten überwiegend nicht weisungsgebundene Honorarkräfte 2, sind die Lehrkräfte bestens ausgebildet beziehungsweise unterrichten auch nicht professionell ausgebildete Lehrkräfte 3, werden zusätzlich zum Instrumental- und Vokalunterricht Ergänzungsangebote gemacht und gibt es Sozialermäßigungen.

Private und öffentliche Musikschulen – (k)ein Unterschied?

Private Anbieter arbeiten auch ebenso wie VdM-Schulen mit Partnern wie Kitas, Schulen oder Seniorenheimen zusammen oder engagieren sich in der Flüchtlingsarbeit4.  Den Einsprüchen aus den Reihen des VdM nach, entfällt auch noch die Bindung an bestimmte im Lehrplan verankerte Inhalte und Lernziele als Unterscheidungskriterium, denn auch an privaten Musikschulen kann jeder unterrichten, was und wie er will. Damit bleiben als einziges Unterscheidungskriterium in der öffentlichen und damit auch politischen Wahrnehmung lediglich die Breite des Angebots und die Zahl der Unterrichtsstunden in bestimmten Fachbereichen übrig. Doch auch in diesem Bereich holen private Musikschulen zunehmend auf 5.

Mit der nun erklärten Unverbindlichkeit des Lehrplans stellt sich aber nicht nur die Frage nach der Sinnhaftigkeit der Existenz eines VdM-Lehrplans, sondern auch nach der Bedeutung aller anderen VdM-Richtlinien: Da sie offenbar schwammig ausgelegt bis ad hoc für unverbindlich erklärt werden können, versinken die Bedingungen für die Mitgliedschaft im VdM in der Bedeutungslosigkeit und könnten genauso gut auch gleich abgeschafft werden. Aufgrund der bereits jetzt real kaum noch vorhandenen Unterschiede zu privaten Musikschulen ist es dann auch vollkommen nachvollziehbar, wenn private Musikschulen eine Gleichbehandlung bei staatlichen Förderungen fordern.

Staatliches Interesse an öffentlichen Musikschulen gefährdet

Lange Zeit war das Förderkriterium für eine Musikschule durch den Staat die Mitgliedschaft im VdM. Die qualitätsorientierten Richtlinien waren damit ursprünglich das, was im staatlichen Interesse lag, da sie als Garanten der Qualität von guter Musikschularbeit galten. Wenn nun die VdM-Richtlinien lediglich optional statt bindend sind und Verstöße dagegen keinerlei Konsequenzen haben, folgt daraus sehr wahrscheinlich, dass der VdM in absehbarer Zeit nur noch ein Verband unter mehreren sein wird und nicht mehr wie bisher der Hauptverantwortliche für die außerschulische musikalische Bildung in Deutschland. Längst schon können sich auch Nicht-VdM-Schulen um staatliche Förderung bewerben. Der Unterricht auf der Basis eines Lehrplans ist dabei zumindest in einigen Bundesländern übrigens ein Förderkriterium6.  Die Aufweichung der VdM-Richtlinien kann als Folge also eine nicht mehr automatische staatliche Förderung von VdM-Mitgliedsschulen nach sich ziehen, da die VdM-Mitgliedschaft kein hinreichendes Qualitätskriterium und damit auch keine ausreichende Begründung für die Förderfähigkeit durch den Staat darstellt.

Fazit

Die Forderung, Musikschullehrer/-innen fest anzustellen, hängt nicht unmittelbar mit dem Urteil von Ahaus zusammen, aufgrund dessen sich zwar möglicherweise weitere Lehrkräfte in eine Festanstellung hineinklagen könnten. Dass Musikschullehrer/-innen vor Gericht um die Eingliederung in den Organismus einer Musikschule kämpfen müssen, ist ein bildungspolitisches Armutszeugnis, wie es auch für sämtliche andere öffentlichen Domänen zutrifft, in denen der Staat sich als Vorreiter für prekäre Beschäftigung geriert – gegen diejenigen, die doch seine Interessen vertreten. Die Forderung nach einer Eingliederung in den Musikschulbetrieb ist vielmehr sachlogisch begründet und sollte nicht an justiziablen Merkmalen von Weisungsgebundenheit festgemacht werden müssen, sondern einzig daran, dass eine Musikschule nur dann eine Schule im Sinne eines Lebensraumes für das Ermöglichen einer umfassenden musikalischen Bildung sein kann, wenn die Lehrkräfte sowohl miteinander als auch mit anderen Partnern der musikalischen Bildung vernetzt sind und die für das Erreichen der in den VdM-Lehrplänen formulierten Ziele notwendigen Zusammenhangstätigkeiten auch tatsächlich ausgeführt werden. Ein freier Mitarbeiter muss an keinem Konzert, keiner Konferenz, keiner Orchesterfahrt, keiner Veranstaltung, keiner Arbeitsgruppe, keinem Wettbewerb und keinem Elterngespräch et cetera teilnehmen, sämtliche sogenannten „Zusammen­hangstätigkeiten“ fallen weg.

Dass eine Eingliederung in den Betrieb nicht nur für das Erreichen fachlicher Ziele, sondern auch für die bestmögliche Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen notwendig ist, sieht auch Ulrich Rademacher in seinem Artikel „‚Geht doch!‘ gibt’s nicht!“ so, in dem er darlegt, dass die Kompetenz eines Teams mehr ist als die Summe der Kompetenzen individuell unterrichtender Lehrkräfte. Demzufolge fordert er eine Quote von 80 Prozent Festangestellten, die er als notwendige Bedingung guter Musikschularbeit betrachtet. Insofern kann der Anteil an Honorarkräften an einer Musikschule auch als Indikator für die Qualität von Musikschularbeit herangezogen werden.

Dass ein geringer Prozentsatz von Honorarkräften für eine gewisse Flexibilität an einigen Musikschulen notwendig ist, mag aus Sicht des VdM nachvollziehbar und berechtigt sein. Der ungeheure Missbrauch von Honorarbeschäftigung, die eigentlich für Ausnahmefälle gedacht ist, wie zum Beispiel kurzzeitige Beschäftigung in Projekten oder für die Möglichkeit, dass Orchestermusiker wenig nachgefragte Instrumente unterrichten, ist es hingegen nicht. 

Weitreichender Missbrauch von Honorarbeschäftigung

Politische Entscheidungsträger müssen verstehen lernen, was den Unterschied zwischen einer Musikschule und einem Unterrichtsvermittlungsinstitut ausmacht; erst dann können sie entscheiden, ob sie in ihrer Kommune ein staatliches Unterrichtsvermittlungsins­titut oder tatsächlich eine Musikschule unterhalten wollen. Hierfür ist weiterhin eine umfangreiche Aufklärungsarbeit notwendig. Doch nicht wenige Politiker haben durchaus Wünsche an eine hohe Qualität von Musikschularbeit und legen Wert auf die Sichtbarkeit der Musikschule im kulturellen Leben einer Kommune. Sie schmücken sich mit Preisträgern von „Jugend musiziert“, fordern Musikgruppen an, die bei öffentlichen Anlässen auf einem möglichst hohen Niveau musizieren sollen, und sind voller Stolz auf das Engagement ihrer Kommune für Geflüchtete. Das aber geht nur mit in den Betrieb eingebundenen Lehrkräften oder mit horrender (Selbst-)ausbeutung.

Zwischen Motivation und Selbstausbeutung

Musikschullehrer/-innen handeln in der Regel auf der Grundlage eines hohen Arbeitsethos. Sie wollen gute Arbeitsergebnisse erbringen − und genau das ist auch staatliches Interesse. „Gut“ kann dabei von musikpädagogischen bis zu sozialpädagogischen Zielen reichen. Musikschullehrkräfte wollen eben nicht Zimmer an Zimmer sitzen und allein vor sich hin unterrichten, denn dann würden sie überhaupt nicht an einer Musikschule arbeiten, sondern als Privatmusiklehrkräfte. Sie wollen Gelegenheiten zur fachlichen Kooperation und zum Austausch, zur Entwicklung gemeinsamer Perspektiven haben und nutzen, zu Fortbildung und kollegialer Beratung, die sämtlich auch die Basis für neue Entwicklungen darstellen. – Ein Aspekt, der in einer sich rasch verändernden Gesellschaft und vor dem Hintergrund immer neuer bildungspolitischer Anforderungen auch an Musikschullehrkräfte notwendiger denn je ist und maßgeblich zur Qualität musikalischer Bildung beiträgt.

Auch das liegt im Interesse des Staates. Insofern müssen auch die Musikschullehrer/-innen selbst zur Aufklärung politischer Entscheidungsträger beitragen, indem alle diejenigen, die als Honorarkräfte beschäftigt sind, nur das tun, wofür sie auch angemessen bezahlt werden.

Die zynische Bemerkung „Geht doch“ ist nur durch den nach wie vor vorhandenen gewaltigen Hang zur Selbstausbeutung möglich. Doch diese Haltung politischer Entscheidungsträger wird durch eben diese Selbstausbeutung zementiert; dem „Geht doch…“ wird damit in den Köpfen der Entscheidungsträger ein „…bestens, also weiter so“ hinzugefügt. Unterrichtsvermittlungsinstitute können aber das, was Musikschulen zu leisten imstande sind, ohne Ausbeutung nicht leisten. Nicht ohne Grund gibt es an VdM-Musikschulen, die real dem Status von Unterrichtsvermittlungsinstituten entsprechen, einen zunehmenden Fachkräftemangel. Insofern ist es mehr als befremdlich, dass sich der VdM nicht nur gegen einen Lehrer stellt, der in seinem Auftrag arbeitet und versucht, bestmögliche Rahmenbedingungen für seine Arbeit zu ermöglichen, sondern auch gegen einen Musikschulleiter, der als Verbandsmitglied auf die Einhaltung der VdM-Richtlinien bedacht ist. Dass nun die, wenn auch nicht durch politischen Willen, so doch wenigstens durch ein Gerichtsurteil entstandene Chance auf eine Annäherung an die von Ulrich Rademacher geforderte 80-Prozent-Quote von festangestellten Lehrkräften durch seinen eigenen Verband zunichte gemacht werden soll, gleicht einer Selbstamputation.

Für den Vorstand der FG Musik in ver.di Anja Bossen und Petra Stalz

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