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Schlagabtausch ebenbürtiger Gegner

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Video-DVDs mit Puccinis „Tosca“ im Vergleich
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Floria Tosca und Maria Callas – zwei Namen, die miteinander verbunden sind wie Hofstadters „endlos geflochtenes Band“. Im Pantheon diskografischer Sternstunden behauptet ihre 1953er-Aufnahme von Puccinis Oper seit einem halben Jahrhundert mehr oder weniger unangefochten die Vorreiterrolle. Zwei Jahre nach Einführung der silbernen Wunderscheibe liegt der Fall in Bezug auf Video-DVDs ähnlich. Mit ihren beiden Fernseh-Dokumenten hat die Callas ihren Rivalinnen die Latte sehr hoch gelegt.

Elisabeth Schwarzkopf besuchte 1952 eine Vorstellung in der Arena di Verona, gespielt wurde„La Traviata“. Schnell stand ihr Entschluss fest, nie wieder die Rolle der schwindsüchtigen Kurtisane zu übernehmen: „Welchen Sinn hätte es, sich an einer Partie zu versuchen, die von einer Kollegin so vollkommen dargeboten wird.“ Die „Kollegin“ war acht Jahre jünger als die Schwarzkopf – ihr Name: Maria Callas. Ganz ähnlich muss es vielen Sängerinnen ergangen sein, die die Callas als Tosca erlebten. Zum Glück waren nicht alle so konsequent wie Elisabeth Schwarzkopf. Selbst unter den momentan greifbaren Videos gelingt mancher Konkurrentin eine eigenständige Deutung jenseits der übermächtigen Griechin.

Zwei Fernsehaufzeichnungen gibt es mit ihr – zweimal den 2. Akt, zweimal mit dem unschlagbaren Scarpia von Tito Gobbi. Das eine wurde 1958 beim Paris-Debüt der Callas im Palais Garnier aufgezeichnet. Das andere stammt von 1964, als sie nach einer fast zweijährigen Pause wieder auf der Opernbühne stand. Rechtzeitig zum 25. Todestag der großen Griechin präsentierte die EMI beide Videos im Digitaltransfer: Jedes für sich genommen ist ein Dokument von unschätzbarem Wert, aber der Vorzug gebührt der Londoner Version. Nicht so sehr wegen der Inszenierungen von Luchino Visconti (Paris) und Franco Zefirelli (London), die recht ähnlich wirken, wobei ich Zefirelli als einen Tick ausgefeilter empfinde. Aber die beiden Dirigenten machen die Entscheidung einfach: Die lieblose Hand von Georges Sebastian zerteilt den durchkomponierten Fluss der Musik, etwa mit den schneidenden Bläserakkorden zu Beginn der Folterszene. Sebastian hält den Vergleich mit dem London-Video auch deshalb nicht stand, weil Carlo Felice Cillario am Pult der Covent Garden Opera durch natürlichere Tempi ein insgesamt schlüssigeres Bild hinterlässt.

Ohnehin harmoniert das Gespann Callas/Gobbi in London viel besser, was wohl daran liegt, dass die beiden in Paris zum ersten Mal als Tosca und Scarpia gemeinsam auf der Bühne standen. Sechs Jahre später wirkt manche Geste weniger kalkuliert: Die beiden liefern sich einen Schlagabtausch ebenbürtiger Gegner, der manch aktuelleres Video wie ein gefälliges Rührstück erscheinen lässt. Zudem geht Gobbi freier und spielerischer mit der Partie um. Das spannungsgeladene Katz-und-Maus-Spiel überschattet selbst Mankos wie den Cavaradossi von Renato Cioni. Im Hinblick auf die Tenöre sollte man sich in beiden Fällen kompromissbereit zeigen und weder mit ihm noch Albert Lance zu hart ins Gericht gehen. An der Seite der Callas wurden auch Sänger größeren Kalibers zur blassen Nebenfigur.

Oscar Bie beschrieb Puccinis „Tosca“ als „Schlächterarbeit im Kleid des Liebenswürdigen“ und in den frühen, vor Intensität brennenden Dokumenten wird immer verständlich, weshalb. Im Vergleich dazu lassen einen die beiden Verfilmungen an Originalschauplätzen eher kalt: In Gianfranco de Bosios Streifen von 1976 und der 16 Jahre später entstandenen Adaption durch Giuseppe Patroni Griffi (VHS) kommt Puccinis Gefühlsmaschinerie kaum in Fahrt: Weil ihr platter Realismus der Fantasie kaum Impulse liefert und auch, weil die beiden Titelheldinnen ihre Kollegin nur bedingt vergessen machen können. Obwohl Raina Kabaivanska (1976) und Catherine Malfitano (1992) der Callas in gewisser Weise sogar das Wasser reichen können: Sie liefern sich der Partie gnadenlos aus. Dabei spürt man bei Kabaivanska intuitiv, dass sie in ihrer Glanzzeit eine faszinierende Tosca gewesen sein muss. Darunter dürfte auch die Stimme gelitten haben: Ihre Töne wirken in der Höhe zunehmend klein und rau, was der „celebre cantante“ viel von ihrem jugendlichen Charme raubt. Dagegen kommen bei Malfitano auch die lyrischen Momente nicht zu kurz, wodurch ein stimmigeres Charakter-Bild entsteht. Doch weil ihre Tiefe nicht ganz so rund und fest ist, um eine schöne Legato-Linie verlässlich zu unterstützen, werden Spitzentöne unruhig, wie zu Beginn des 3. Akts. Hier lässt sich übrigens auch ihre Neigung zur darstellerischen Überzeichnung beobachten: Muss die heißblütige Floria wirklich an den Rand der augenrollenden Raserei geführt werden?

Das genaue Gegenteil ist Placido Domingo, der in beiden Fällen den Cavaradossi singt – mit heroischer Größe und vokalen Schattierungen, aber auch seltsam unspezifisch im Detail. Ähnlich verhält es sich mit Sherill Milnes, dem Scarpia von 1976: Sängerische Kultiviertheit macht aus dem sadistischen Polizei-Chef einen gutmütigen Schreibtisch-Täter. Noch gefahrloser wirkt Leo Nucci in einer Aufzeichnung der Mailänder Scala: Vergeblich sucht man hier die Autorität und das zweifelhafte Charisma des politischen Verführers. Ganz allgemein kann zu dieser Aufführung kaum guten Gewissens geraten werden – am ehesten noch wegen der warmherzigen Tosca von Maria Guleghina. Doch wer einmal die Callas gesehen hat, wird sich mit ihrer berechenbaren Darstellung ebenso schwer tun, wie mit dem lieblos gesungenen „pittore“ Salvatore Licitras. Wobei die beiden von Riccardo Muti nicht gerade zu Höchstleistungen angespornt werden: Wie beiläufig lässt er die Musik abspielen; Momente, die Gewicht und Aussage haben, sind an einer Hand abzuzählen. Auch bei Luca Ronconis auf Oberflächenglanz bedachter Inszenierung wurde mir bis zuletzt nicht ganz klar, welche Sicht auf das Stück er entwickelt hat.

Zurück zu Scarpia: Einzig Ruggero Raimondi kann es halbwegs mit Gobbi aufnehmen. Dabei ist sein Scarpia keineswegs perfekt: Er ist ein basso cantante und weniger ein dramatischer Bariton, wodurch sein Porträt oft die Tendenz zur Gutmütigkeit entwickelt – im Live-Film an der Seite von Malfitano ebenso wie in der acht Jahre später entstandenen Verfilmung von Benoît Jacquot, wo auch noch Probleme in der Höhe dazu kommen. Doch sobald zum akustischen auch der optische Eindruck tritt, werden diese Vorbehalte zur Nebensache: Nie bedient Raimondi die Schablone des Fieslings, sein Scarpia ist immer auch Mensch und deshalb umso gefährlicher, was im Rom-Film von Brian Larges sensibler Bildregie in schrägen Kamerafahrten eingefangen wird. Noch kunstvoller setzt Jacquot die ästhetischen Mittel des Films im bislang aktuellsten Streifen mit Angela Gheorghiu als Tosca ein. Drei bildästhetische Ebenen werden ineinander verschränkt: Bühnenelemente vor schwarzem Hintergrund, Bilder der Originalschauplätze und S/W-Sequenzen von den Audio-Takes in den Abbey Road Studios.

Ü berhaupt führt an diesem Film kein Weg vorbei. Allein schon im Hinblick auf die Dirigenten schlägt er alle anderen Videos um Längen: Bei Bruno Bartoletti ist in der Version mit Kabaivanska eine individuelle Handschrift kaum auszumachen. Zubin Mehta unterlegt den Expressionismus der Malfitano mit effektorientierten Orchesterdetails, die zuweilen Ausmaße eines Sinfoniekonzerts annehmen. Antonio Pappano als Begleiter der Gheorghiu hingegen beweist untrüglichen Theaterinstinkt, etwa wenn er Pausen als Spannungsträger setzt (vor „Or lasciami al lavoro“) oder Tempoanweisungen ausreizt, wie am Ende der zweiten Begegnung von Cavaradossi und Angelotti. Dabei strömt die Musik ebenso frei wie die Legato-Linien der Gheorghiu: Bruchlos verbinden sich sängerische Intelligenz mit Emotion und souveräner Überwindung technischer Hürden. Dafür ist Roberto Alagna als Cavaradossi für meine Begriffe sehr leicht besetzt, im 2. Akt wirkt er ein wenig überfordert. Der überragende Gesamteindruck des Films wird dadurch ebenso wenig geschmälert wie die heißblütige Titelheldin von Angela Gheorghiu. Nur mit ihr und dem Londoner Callas-Dokument geht es einem wie Tosca mit ihrem Mario: „Ecco un artista!“

Diskografie

(Besetzung in der Reihenfolge: Tosca, Cavaradossi, Scarpia, Angelotti, Sagrestano)

Callas, Lance, Gobbi u.a.; Orchestre du Théâtre National de l’Opéra Paris, Sebastian; Regie: Visconti (1958)
DVD EMI

Callas, Cioni, Gobbi u.a.; Orchester des Royal Opera House Covent Garden, Cillario; Regie: Zeffirelli (1964)
DVD EMI

Kabaivanska, Domingo, Milnes, Luccardi, Mariotti; New Philharmonia Orch., Bartoletti; Regie: de Bosio (1976)
DVD Decca/Universal

Malfitano, Domingo, Raimondi, Prestia, Gatti u.a.; Orchester der RAI, Mehta; Regie: Griffi (1992)
VHS Teldec/Warner

Guleghina, Licitra, Nucci, Parodi, Mariotti u.a.; Orchester der Mailänder Scala, Muti; Regie: Ronconi (2000)
DVD TDK/Naxos

Gheorghiu, Alagna, Raimondi, Muraro, Fissore u.a.; Orchester des Royal Opera House Covent Garden, Pappano; Regie: Jacquot (2000)
DVD Arthaus/Naxos

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