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Schuberts Psychodrama der Liebe

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Eine Einführung in seine Liederzyklen, echte und vermeintliche
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Elmar Budde: Schuberts Liederzyklen. Ein musikalischer Werkführer, Verlag C.H.Beck (Reihe Wissen – Musik) 2003, 123 S., Notenbeispiele, € 7,90, ISBN 3-406-44807-0

Die Modernität von Schuberts Liederzyklen scheint unendlich. Neben der „Schönen Müllerin“, der „Winterreise“ und dem „Schwanengesang“ gehören längst auch instrumentale und szenische Adaptionen zum Repertoire. Dabei scheint das Geheimnis der enormen Wirkungsgeschichte dieser Werke noch nicht einmal gelüftet. Der Berliner Musikhistoriker Elmar Budde hat jedenfalls eine „Inkongruenz“ von Popularität und analytischem Wissen beobachtet und diese nun mit einem kleinformatigen „Werkführer“ weitgehend beseitigt.

Das Büchlein bietet auf knappem Raum detaillierte Informationen zu Entstehung und Aufbau von Schuberts berühmten Liederzyklen und führt dabei über die Grenzen eines „Musikführers“ hinaus. Allerdings erreicht Budde sein Ziel, das heißt, über die Bedeutung von Schuberts Musiksprache aufzuklären, auf durchaus schon beschrittenen Pfaden: Ausgehend von der klassisch-romantischen Tonarten-Charakteristik sowie von der Semantik harmonisch-rhythmischer Figuren erschließt Budde nicht nur die lyrische, sondern auch die epische und existentielle Qualität von Schuberts Musik. Im Motiv des Wanderns habe dieser nicht nur eine romantische Metapher für die menschliche Existenz für sich entdeckt, sondern auch eine musikalische Chiffre für den ungesicherten, ziellosen Aufbruch in neue Dimensionen des Lebens und der Kunst. In Wilhelm Müllers Gedichtzyklen dagegen scheint Budde eher biedermeierliche Romanzen als grenzenlose Albträume erblicken zu wollen.

Bemerkenswert ist Buddes Plädoyer für eine kritische Revision der Konzertprogramme: Die seit jeher berechtigten Zweifel, ob der „Schwanengesang“ wirklich ein Zyklus sei, werden einmal mehr erhärtet. Budde sieht darin zwei erweiterbare „Zyklusfragmente“ verborgen (die Rellstab- beziehungsweise die Heine-Lieder). Darüber hinaus wird mit wünschenswerter Deutlichkeit aufgezeigt, wie durch einschlägige „Sammlungen“ viele Schubert-Lieder aus ihrem ursprünglichen Kontext gerissen wurden. Würde man sich stattdessen anhand der Opusnummern an den „Liederheften“ orientieren, die Schubert für den Druck bestimmte, könnte man erkennen, dass Schubert nicht nur zwei oder drei große Zyklen geschrieben hat, sondern weitere zyklische Miniaturen komponierte. Wie Budde zu zeigen vermag, lassen diese das Psychodrama der Liebe ebenso im „Offenen“ münden, wie dies die großen Liederkreise tun.

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