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Philharmonie Paris. Foto: William Beaucardet
Philharmonie Paris. Foto: William Beaucardet
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Sinfonieorchester ohne festen Wohnsitz

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Konzertsaaldebatten in Paris, München und anderswo · Von Andreas Kolb
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Atemberaubend sieht sie aus, die neue Pariser Philharmonie des Architekten Jean Nouvel. Die Musikmetropole Paris wird sich durch sie verändern – falsch, sie verändert sich bereits, denn in Paris ist ein Kampf ums Publikum entbrannt, der darin gipfelt, dass in der Salle Pleyel klassische Konzerte ab sofort verboten sind. Wie ein neuer Konzertsaal das musikalische Gefüge einer Stadt durcheinanderwirbeln kann, ist nicht nur in Paris zu beobachten.

Nach Alexander Dobrindts Mautplänen und Ilse Aigners Stromtrassen-Formel „2 minus x“ erreichte uns fast zeitgleich zur Eröffnung in Paris eine weitere irritierende Nachricht aus Bayern, dieses Mal aus dem Sektor Kultur. Der den Münchnern qua Regierungserklärung versprochene neue Konzertsaal entpuppt sich nach Horst Seehofers Basta-Entscheidung als Luftnummer. In parteiübergreifender Einmütigkeit haben der bayrische Ministerpräsident und der SPD-Oberbürgermeister Dieter Reiter beschlossen, dass Freistaat und Landeshauptstadt den „neuen“ Konzertsaal nachträglich anstelle der für ihre Akustik oft kritisierten Philharmonie ins Kulturzentrum Gasteig einbauen lassen. Die entkernte Philharmonie wäre dann zusammen mit dem renovierten Herkulessaal zukünftig die Heimstatt für zwei Orchester, die städtischen Münchner Philharmoniker und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks. Pläne für zwingend nötige alternative Spiel- und Probestätten während der jahrelangen Umbauzeit wurden nicht vorgelegt. Vergessen wurde auch, dass außerdem das Münchener Kammerorchester, die Hofkapelle, das Münchner Rundfunkorchester und die Münchner Symphoniker dringend untergebracht werden müssten. Auch Münchens Konzertveranstalter würden gerne noch mehr Solisten und Ensembles in die Stadt bringen, ohne dass wie in der Philharmonie gleich 2.500 Karten verkauft werden müssen oder nur 1.400 verkauft werden können wie im Herkulessaal.

Die neue schwarz-rote Kulturpolitik hat Münchens Image als Musikmetropole schlagartig an Leuchtkraft verlieren lassen. Der öffentlich-mediale Aufschrei war enorm und zeigte Wirkung: Ministerpräsident Seehofer weckte auf seiner Rede zum Aschermittwoch bereits wieder Hoffnungen, die Entscheidung gegen einen neuen Konzertsaal in München sei doch noch nicht endgültig. Im Zentrum der Debatte steht das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks, dessen Dirigent Mariss Jansons seit zehn Jahren nicht ohne Grund einen eigenen Konzertsaal für sein Orchester fordert und dem Verein Konzertsaal e.V. auch schon mal 250.000 Euro seines Siemens-Preisgeldes gespendet hat. Zuständiger Ansprechpartner dafür ist aber nicht die Stadt München, sondern der Bayerische Rundfunk und der Freistaat. Jansons und BR-Intendant Ulrich Wilhelm haben auf das Wort von Regierungschef Seehofer und auf Zusagen aus dem Kulturministerium vertraut und sehen sich nun getäuscht. „Wir wurden zum Narren gehalten“, sagte Jansons.

Die Münchner Philharmoniker verhalten sich in der ganzen Diskussion recht still. Das ist nicht erstaunlich, denn sie haben mit der Philharmonie im Gasteig eine vertraute Heimat. Erbaut wurde das Gasteig-Kulturzentrum 1985 in einer Zeit als das Wort Hilmar Hoffmanns „Kultur für alle“ die Kulturpolitik prägte. Als Mehrzweckkonzertsaal mit „toleranter Akustik“ hat sich der Gasteig bewährt, heute ist er ein funktionierendes Kulturzentrum, das täglich 10.000 Menschen besuchen. Der Wunsch des BR-Symphonieorchesters nach einem eigenen Konzertsaal bleibt dennoch nachvollziehbar.

Was tun? Ein Blick nach Bochum lohnt sich, wo man beim Konzerthausbau knapp unter 34 Millionen Euro bleiben will. Für eines der viel diskutierten Metropolen-Bauvorhaben (München 300 Millionen, Elbphilharmonie 789 Millionen und Paris 380 Millionen) bekäme man demnach mindestens zehn Bochumer Konzertsäle. Ebenso erstaunlich ist, dass von dieser Summe 14,6 Millionen Euro von privaten Spendern bezahlt werden. Dieses gewaltige Bürgerengagement fehlt in München: Hätte München einen dritten Saal, müssten zudem täglich mehr Menschen ein Konzert besuchen wollen als in Wien. Eine Herausforderung für Münchens Konzertgänger, aber auch fürs Tourismusamt.

„Eine Musikmetropole braucht einen Konzertsaal.“ Dies schrieb Gerhard Rohde in dieser Zeitung als 2005 die Münchner Diskussion erstmals aufflammte. Aber er wies auch darauf hin, dass es zu kurz gedacht sei, nur an Repräsentationskultur zu denken. Ein moderner Konzertsaal müsse auch für die Musik der Gegenwart ausgelegt sein, gewissermaßen ein modularer Saal. Ein weiteres Argument für einen eigenes Konzerthaus des Rundfunkorchesters, es ist schließlich das Hausorchester der renommierten Konzertreihe musica viva.

Jansons’ Wunsch allein genügt nicht zur politischen Willensbildung in einer Großstadt wie München und einem Flächenstaat wie Bayern. Bis Stadtrat und Land endgültig über Neubau oder Modernisierung entscheiden, kann BR-Intendant Wilhelm neue Allianzen schmieden. Bis zur nächsten Intendantenwahl 2016 bliebe ihm noch Zeit dafür, denn Jansons wird sich mit der von seinem Intendanten in Aussicht gestellten Digital Concert Hall nicht zufrieden geben. Hätte Wilhelm zu den bisher 25.000 Unterstützern der online-Petition „Errichtung eines Konzert- und Kulturzentrums in München“ die über 60.000  Unterzeichner der Petition „BR-Klassik muss bleiben“ samt der darin vertretenen Lobbyisten auf seiner Seite, hätte er dabei noch ganz andere Möglichkeiten. Doch die vergraulte er durch die UKW-Abschaltung von BR-Klassik nachhaltig. Und wenn man in München nirgends bauen darf, etwa weil der als Bauplatz favorisierte Finanzgarten im Wahlkreis von Kulturminister Ludwig Spaenle liegt und dort eine Bürgerinitiative den Bau verhindern will, warum dann nicht nach Nürnberg oder Augsburg gehen? Ein BR-Orchester, das sich sein Top-Ranking doch vor allem durch internationale Auftritte erspielt hat, muss nicht in einer Metropole residieren. Die Bamberger Symphoniker oder das SWR Sinfonieorchester Baden-Baden/Freiburg haben es vorgemacht. Bald werden die Karten in der Münchener Konzertsaaldebatte neu gemischt werden und bis dahin heißt es in Anlehnung an Aigners legendäre Stromtrassen-Formel „2 Konzertsäle plus x“.

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