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Sing mir sanft den November-Blues

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Corona-Hilfen für Musiker*innen – es bewegt sich etwas
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Es ist November. Es wird dunkler, kälter, unangenehmer und das liegt nicht nur an der Jahreszeit. Die „zweite Welle“ ist da und hat auch Deutschland mit voller Wucht getroffen. Ein noch dunklerer Winter droht. Trotz aller seit dem Frühjahr gemachten Erfahrungen und trotz der Erfolge bei der Erforschung des Virus und der Entwicklung von Impfstoffen/Medikamenten müssen wir weiter mit teils weitreichenden Einschränkungen des gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens umgehen. Der Corona-Lichtstreif am Horizont ist zwar vielleicht irgendwo schon zu erahnen, aber eben noch lange nicht greifbar.

Viele Branchen stehen derzeit am Abgrund – manche sind schon fast einen Schritt weiter, manche haben noch ein wenig Reserve. Zu den am härtesten betroffenen Branchen gehört aber ganz sicher die Kulturbranche. Das liegt in der Natur der Sache. Kunst und Kultur leben vom Kontakt zu und zwischen den Menschen, welcher derzeit aus virologischer Sicht aber genau das Problem darstellt. Es liegt auf der Hand, dass eine ansteckende Krankheit sinnvollerweise durch Einschränkung von Kontakten einzudämmen ist. Das weiß man in Europa eigentlich schon seit dem Mittelalter.

Es ist eine gesellschaftliche Errungenschaft, dass wir in dieser Krise über Verhältnismäßigkeiten von Maßnahmen gegen eine unkontrollierbare Ausbreitung einer Krankheit diskutieren können. Und ja, es ist auch normal, dass Fehler passieren, dass Handeln immer wieder hinterfragt wird und Maßnahmen korrigiert werden müssen. Das ist zutiefst menschlich und gilt sowohl für uns selbst, wie auch für die von uns gewählten politisch Verantwortlichen.

Die Bundesregierung und die Landesregierungen haben sich gleich zu Beginn des ersten Lockdowns entschlossen, nicht nur das medizinische Problem anzugehen, sondern auch die dadurch bedingten wirtschaftlichen Probleme. Nach und nach wurde klar, dass diese Aufgabe noch größer und komplexer wird, als gedacht. Das einfache Schnellkonzept oder auch Allheilmittel scheint es in einer so mannigfaltigen, vielfältig verflochtenen Gesellschaft und globalisierten Wirtschaft nicht zu geben, weder bei den gesamtgesellschaftlichen, noch den branchenspezifischen Herausforderungen. Die soloselbständigen Musiker*innen kämpfen, wie fast alle Kulturschaffenden, seit nunmehr über neun Monaten um ihre Existenzgrundlage, wirtschaftlich wie auch künstlerisch oder pädagogisch. Und dieser Kampf wirft Fragen auf: Fragen über die Zukunft, Fragen über den Sinn der eigenen Arbeit, Fragen über die gesellschaftliche Anerkennung und Wertschätzung einer ganzen „Branche“.

Pause machen?

Die längerfristig angelegte Arbeitsweise in der Musik (Konzerte und Projekte müssen teils über Monate durch die Veranstalter aber auch durch die Musiker*innen vorbereitet werden) treffen kurzfristig angesetzte Einschränkungen doppelt: Es können nicht nur keine Einnahmen generiert werden, sondern auch die bereits investierte Arbeit war vergeblich. Das verursacht auf Dauer nicht nur wirtschaftlich Schäden. Zudem sind Musiker*innen gezwungen, unabhängig von der Möglichkeit der Umsatzerzielung kontinuierlich weiter in den Erhalt beziehungsweise in die Weiterentwicklung ihrer Fähigkeiten zu investieren. Das „Herunterfahren“ des Kulturbetriebes bedeutet für Musiker*innen eben nicht einfach nur Pause machen …

Seit Beginn der Pandemie war es das erklärte Ziel der Politik, wirtschaftliche Schäden einzudämmen beziehungsweise abzufedern. Mit einem umfangreichen Bündel von Maßnahmen und einem historischen Einsatz von finanziellen Mitteln wurde und wird versucht, dieses Ziel zu erreichen. Von Anfang an waren auch die Soloselbständigen im Boot. Aber recht schnell wurde sichtbar, dass es DIE SOLOSELBSTÄNDIGEN als homogene Erwerbsgruppe nicht gibt, der Sonderfall quasi die Normalität ist und daher entsprechende Hilfen nicht ausreichend greifen konnten. Selbst die Grundsicherung als letztes Netz konnte in vielen Fällen dadurch nicht den erhofften Zweck erfüllen. Die Auswirkungen der Pandemieeindämmung haben, verursacht durch die vielfach hybriden Arbeitsrealitäten (vielfältige Tätigkeitsbereiche in unterschiedlichen Arbeitsformen und unterschiedlichen arbeitsrechtlichen Status) und ebenso vielfältige Lebens­umstände, viel zu unterschiedliche Auswirkungen.

Und doch auch hier ein Lichtstreif. Die unablässigen Bemühungen der Betroffenen, deren (Berufs-)Verbänden und Gewerkschaften, nicht zuletzt auch der ver.di, haben etwas in Bewegung gebracht. Mit den „Novemberhilfen“ wird der Erwerbsrealität vieler Musiker*innen und anderer Kulturschaffender erstmals zumindest teilweise Rechnung getragen und damit ihre speziellen Bedürfnisse wahrgenommen. Das scheint sich so auch in der „Überbrückungshilfe III“ fortzusetzen.

Weitere Schritte nötig

So erfreulich dieser erste Schritt auch ist, er kann aber eben doch nur ein ers­ter Schritt sein. Auch die ab Dezember angedachten Unterstützungsmaßnahmen stellen noch nicht den „Stein der Weisen“ dar. Zwar wurden viele Forderungen in der Ausgestaltung der Hilfen aufgegriffen: zum Beispiel Zuschuss statt Kredit oder auch die Bemessung des Bedarfs auf Basis des Umsatzdurchschnitts längerer Zeiträume statt einer Bedarfsprüfung nach SGB und die Abkehr von der Grundsicherung als einzige Alternative zur Absicherung des Lebensunterhaltes Soloselbständiger. Allerdings werden zeitgleich neue Fragen aufgeworfen. Ein Beispiel: Sind soloselbständige Musiker*innen durch die Schließung von Kulturbetrieben direkt oder indirekt betroffen? Der erste Impuls vieler Musiker*innen würde sicher lauten: Ja natürlich, ich darf ja nicht auftreten! Allerdings treten die wenigsten Musiker*innen als Veranstalter auf. Sie werden üblicherweise zum Beispiel von Veranstaltern beauftragt. Wenn Musiker*innen von Veranstaltern nicht gebucht werden, weil die Konzertstätten nicht öffnen dürfen und daher keine Konzerte stattfinden, stehen die Musiker*innen in der Auftragskette jedoch schon auf Platz 3. Also sind soloselbständige Musiker*innen in diesem Fall doch nur indirekt betroffen!? Das darf so nicht geschehen. Ver.di fordert in dieser Frage ganz klar, dass soloselbständige Künstler*innen hier als direkt Betroffene gelten müssen.

Probleme greifbar machen

Oder: Auf welcher Basis wurde eigentlich festgelegt, dass im Rahmen der Überbrückungshilfe III einerseits nur dann Hilfen gewährt werden, wenn nachweislich und regelmäßig mindestens 80 Prozent der Umsätze mit direkt von den Schließungsmaßnahmen betroffenen Unternehmen erzielen werden? Was ist denn mit Musiker*innen, die ebenso als „Freie“ in den Musikschulen tätig sind. Könnte ihnen jetzt ihre hybride Tätigkeit dadurch auf die Füße fallen, dass sie womöglich 25 Prozent ihrer Einkünfte an einer Musikschule erzielen und diese im November nicht schließen musste?

Auch der Umfang, der gerade angedachten Zuschüsse erscheint wenig nachvollziehbar. Maximal 5.000 Euro für einen Zeitraum von 7 Monaten. Das entspricht also einem monatlichen Zuschuss von etwa 714 Euro. Man kann sich sehr gut vorstellen, wie hoch der nicht weggefallene Umsatz sein müsste, um einen Lebensunterhalt womöglich einer ganzen Familie abzusichern zu können. Auch die Information, dass dieser Zuschuss nicht auf eventuell bezogene Leistungen aus der Grundsicherung angerechnet wird, ändert daran wenig. Zu viele soloselbständige Musiker*innen konnten und können die Leistungen der Grundsicherung nicht in Anspruch nehmen.

Und dennoch könnte man die neuen Hilfen zumindest als einen Teilerfolg betrachten.

So deutlich hat sich die Bundesregierung noch nie zu dem Status der Soloselbständigen und erst recht nicht zu den Kulturschaffenden unter ihnen bekannt. Es scheint jedoch eine echte Herausforderung zu sein, diese gerade unter den soloselbständigen Musiker*innen so verbreiteten, hybriden Erwerbsrealitäten in Förderprogrammen quasi passgenau abzubilden, zumal diese auch für alle anderen Soloselbständigen und kleine Betriebe funktionieren müssen.

Krisen haben manchmal tatsächlich auch ein wenig Gutes. Probleme werden auch für „Außenstehende“ greifbarer, Betroffene werden aus der Not heraus aktiv und organisieren sich. Auch das ist Demokratie. Das hat Potential.
 

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