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Spannend, humorvoll und unverstaubt

Untertitel
Musikwissenschaftliche und musikhistorische Werke im französischen Gründ-Verlag
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Les Baroqueux ou le Musicalement Correct de Jean-Paul Penin, Gründ Paris 2000, 271 Seiten
Œuvres littéraires d’Hector Berlioz – Réédition de la Réédition de 1968/69/71 Gründ Paris 2000, 656 Seiten/416 Seiten/492 Seiten, 295 Francs
Librairie Gründ; 60, rue Mazarine; 75006 Paris

Les Baroqueux ou le Musicalement Correct de Jean-Paul Penin, Gründ Paris 2000, 271 SeitenŒuvres littéraires d’Hector Berlioz – Réédition de la Réédition de 1968/69/71 Gründ Paris 2000, 656 Seiten/416 Seiten/492 Seiten, 295 Francs Librairie Gründ; 60, rue Mazarine; 75006 Paris Für deutsche Leser mag es ein exotisches Unterfangen sein, auf musikwissenschaftliche oder musikhistorische Bücher in französischer Sprache hingewiesen zu werden, die der renommierte Pariser Gründ-Verlag im vergangenen Jahr in der Sparte Musikwissenschaft (Collection musique) veröffentlicht hat. Wer in der glücklichen Lage ist, das Französische in Wort und Schrift fließend zu beherrschen, dem ist in beiden Fällen der Lesegenuss garantiert, aber auch, wer sich mühsam mit Wörterbuch und Vokabelnraten durchwurschteln muss, zieht großen (Lust-) Gewinn aus beiden Editionen.

Getreu dem Motto – erst die Arbeit, dann das Vergnügen –, sei auf Jean-Paul Penins im vergangenen Jahr veröffentlichte kenntnisreiche Gedanken zur historischen Aufführungspraxis hingewiesen, die unter dem Titel „Les Baroqueux ou le Musicalement Correct“ bei Gründ Paris erschienen sind. Das Buch muss im Kontext einer mannigfaltigen internationalen Spezialliteratur gesehen werden. Interessant ist hier der französische Blickwinkel und, eher noch, der ganz persönliche des Autors Penin, der letzten Endes in dem Fazit mündet, dass Musik Kunst ist und klingen muss. Eine Binsenweisheit, um die mit oder ohne Vibrato mancher Glaubenskrieg in der Spezialistenszene ausgetragen wird.

In der Einleitung nimmt den Autor (und damit den Leser) der Eindruck einer Beethoven-Sinfonie auf Instrumenten der Zeit gefangen. Der simple Trick, mit dem Penin den Leser in sein Thema einführt, hat Folgen. Das Buch ist spannend. Wir lernen, dass die Musik des Barockzeitalters erst „vor kurzem“ wieder entdeckt worden ist; aber es hat wunderbare „Ausreißer“ gegeben: So entdeckte ein gewisser Wolfgang Amadeus Mozart die Bach’sche Kunst der Fuge als quasi unerreichbares Studienobjekt; Felix Mendelssohn Bartholdy mutete seinem Leipziger Biedermeier-Publikum barocke Oratorien zu und die gefeierte französische Sängerin Pauline Viardot servierte am Jour fixe den Pariser Zelebritäten Arien aus Bach-Kantaten und Händel-Oratorien zum Champagner.

Penin ist ein gebildeter Autor, dessen künstlerischer Werdegang als Dirigent und Interpret namhafte Stationen wie Wien (bei Lorin Maazel) und Krakau neben französischen Musikzentren aufweist. Sein Buch schildert, angereichert durch einen soliden wissenschaftlichen Apparat mit hochinformativen Fußnoten, die Karriere einer Wiederentdeckung, nämlich der der Alten Musik, der die gigantesken orchestralen Irrtümer eines Leopold Stokovski in den 30er- und 40er-Jahren ebenso beschieden waren wie das häufig kümmerliche Gezirpe „authentischer“ Gruppen von der strengsten Observanz in unseren Tagen.
Fazit: Ein lehrreiches, interessant geschriebenes Buch zu einem Spezialthema, aus dem der Leser viel Gewinn mitnimmt und aus dem er keinen Staub herausklopfen muss.
Wie weit reichend manchmal gedankliche Brücken gebaut werden, beweist eine der köstlichen Fußnoten in Jean-Paul Penins Buch. Fußnote 4 zum ersten Kapitel „Un retour à l’ancien“ verweist auf den Autor nachbesprochener Werksammlung: „Les soirées de l’orchestre“, Les Grotesques de la musique“, „À travers chants“, den Komponisten und Musikschriftsteller Hector Berlioz.

Berlioz, der alte, geniale Zuspitzer und schriftstellernde Streithahn beschreibt in seinem Buch „À travers chants“ eine für ihn groteske Konzertsituation zum Thema „Alte Musik“: „Es war herrzerreißend, drei so bewunderungswürdige Talente in ihrer viel versprechenden Jugend gebündelt zu sehen, um dieses blöde und lächerliche eintönige Absingen wiederzugeben.“ Berlioz meinte mit dieser wenig schmeichelhaften Rezension Johann Sebastian Bachs Konzert für drei Cembali (bzw. Klaviere), das von den Weltklassepianisten Franz Liszt, Ferdinand Hiller und Frédéric Chopin 1833 in Paris interpretiert wurde.

Warum der Pariser Gründ-Verlag im Jahre 2000 seine 1968/69/71 zuletzt edierte Sammlung der literarischen Schriften des Komponisten Hector Berlioz noch einmal auf den Markt wirft, hat einen ganz einfachen Grund: Es gab noch genügend Exemplare für die Wiederauflage. Gott sei Dank! Denn so kann der interessierte Berlioz-Liebhaber die erfrischenden Polemiken, persönlichen Sottisen und gut beobachteten Zustandsschilderungen des zeitgenössischen Gesellschafts- und Konzertwesens im Paris der 1830er-/1840er-Jahre in der kraftvollen Originaldiktion des intellektuellen Haudegens Berlioz genießen. Die dreibändige (broschierte) Werkausgabe ist der typengetreue Nachdruck der vom Autor authorisierten Ausgabe von 1862; lediglich die Orthografie wurde der modernen angepasst.

Auch der deutsche Leser wird an dieser Ausgabe seine Freude haben und schon aufgrund der zahlreichen Abbildungen aus dem Schmunzeln nicht herauskommen:
Eine wahre Fundgrube an Karikaturen von Porgés, Daumier, Marcellin, Doré, Benjamin oder Lorsay, um nur einige zu nennen, weisen den Weg: Lachen statt Gähnen!

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