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Spezies Sinfonieorchester lebendiger denn je

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John McLarens Kompositionswettbewerb: Ein Außenseiter im Neue-Musik-Business belebt die Szene
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Komponisten schreiben heute oft nicht mehr für den klassischen Orchesterapparat. Die Gründe dafür sind natürlich nicht nur ästhetischer Natur, sondern stets auch eine Frage der Kosten und des Budgets. Gleichzeitig ist gegenwärtig der Orchesterbetrieb durch den Hang zur sogenannten institutionellen Selbsterhaltung geprägt. Da kommt die Initiative von John McLaren, einem britischen Investmentbanker und Buchautor, gerade recht. Mit einer perfekten Public-Relation-Strategie hat es sein neuer Kompositionspreis „Masterprize“ geschafft, in aller Munde zu sein. Vielleicht gerade deshalb, weil John McLaren ein totaler Außenseiter im Neue-Musik Business ist und deshalb ganz unbefangen andere Wege beschreitet. „Musik existiert nur, wenn sie gespielt wird“, so lautet sein Credo. Und deshalb erfand er einen neuen Wettbewerb zur Schaffung neuer sinfonischer Literatur, der diesen Satz von Anfang an beherzigt. Am ersten Tag der Klassik Komm. war es dann soweit: Die Shortlist mit den 15 von über 1.000 Komponisten, die sich weltweit beworben hatten, wurde auf einer Pressekonferenz bekanntgegeben. Im Anschluß daran sprach die nmz mit John McLaren, dem Gründer und Vorsitzenden des Masterprize. nmz: Mr. McLaren, sinfonische Musik spielt ja in der heutigen Musik eine immer geringere Rolle. Große sinfonische Werke wie die kürzlich uraufgeführte 10. Sinfonie von Hans Werner Henze sind eher die Ausnahme als die Regel. McLaren: Auch wenn viele heute nicht mehr für das klassische Orchester schreiben wollen, so gibt es ebenso viele, die sehr unglücklich darüber sind, es nicht zu dürfen, da keine Gelder für Aufträge da sind. Sie schreiben dann für kleinere Besetzungen, weil das die einzigen Aufführungen sind, die sie kriegen. Von der starken Resonanz auf die Ausschreibung des Masterprize wissen wir, daß es sehr attraktiv ist, für eines der führenden Sinfonieorchester, eben das London BBC Orchestra, zu komponieren. Es gibt noch einen anderen Grund. Ich möchte erreichen, daß mehr Neue Musik ins Repertoire kommt. Um es ins Repertoire zu bringen, muß es programmierbar sein. Und ich glaube, es muß neben dem Mainstream-Repertoire programmierbar sein. Sonst bleibt Neue Musik immer eine Sache für die Experten. Das ist sehr wichtig, daß Neue Musik in einem Format neben Brahms, Schostakowitsch und anderen existiert. Ein etwas unernster Vergleich: Stellen Sie sich einen Schriftsteller vor, der ein Buch schreibt, das etwa zwei Meter breit ist. Das kann sehr interessant sein, aber die Buchläden würden es nicht verkaufen, weil es nicht in die Regale paßt. nmz: Wie schätzen Sie die heutige Aufgabe der Sinfonieorchester ein? McLaren: Die Dinge entwickeln sich und sie ändern sich. Ich bin jedoch überrascht, wie wenig sich in den vergangenen 50 Jahren die Situation in den Orchestern geändert hat. 1960 dachte man, daß im Jahr 2000 das Sinfonieorchester tot sein würde. Realität ist, daß die Sinfonieorchester heute viel lebendiger sind als experimentelle Gruppen. Das Sinfonieorchester wird unter anderem auch deshalb nicht sterben, weil Mozart, Beethoven und Brahms nicht tot sind. Wir werden die Koexistenz von Altem und Neuem haben. nmz: Wie war die Resonanz auf Ihre Ausschreibung? McLaren: Wir starteten den Wettbewerb Masterprize im Oktober 1996. Die Komponisten sollten ihre Werke bis Juli 1997 einreichen. Die ersten Jurysitzungen fanden dann im August diesen Jahres statt. Zunächst wählten wir 15 Stücke aus. An der Finalrunde im nächsten Frühjahr werden noch sechs Bewerber mit dabei sein. Das Echo auf die Ausschreibung war groß: Wir erhielten über 1.000 Beiträge aus mehr als 60 Ländern. Der jüngste Teilnehme war acht, der älteste 80. Die Namen wurden jetzt auf der Klassik Komm. 1997 bekanntgeben, davon sind fünf Amerikaner, zwei aus England, zwei aus Australien und jeweils einer aus Italien, Frankreich, Deutschland, Rußland, Schweden und China. Wir haben die Entscheidung hier in Hamburg bekanntgegeben, noch bevor sie in England bekannt wurde, um den internationalen Charakter des Masterprize zu unterstreichen. nmz: Mit welchen Partnern arbeiten Sie zusammen? McLaren: Ich wandte mich zu Anfang an die BBC, an die EMI, das BBC Music Magazine und an das London Symphony Orchestra und ich war erstaunt über die Reaktion. Denn sie waren willens, eine Idee eines Außenseiters anzunehmen. Der Grund, warum sie das machten, war klar: Sie sagten, wir haben alle erkannt, daß es ein Problem gibt. Die Debatte um die Musik dauert an, aber nichts ändert sich wirklich. Es ist Zeit, etwas zu tun, und das ist die beste Idee, die wir seit langem gehört haben. Ohne diese Partner wäre die Idee zum Scheitern verurteilt gewesen. nmz: Obwohl es doch etliche Kompositionspreise gibt, gewinnt man beinahe den Eindruck, als hätten alle nur auf diesen Preis gewartet. Haben Sie eine Marktlücke entdeckt? McLaren: Es gibt eine Menge Preise sowohl für Komponisten als auch für Instrumentalisten. Wenn man sich jedoch das Konzertleben anschaut, dann ist es komplett international. Junge Sänger, Pianisten oder Geiger können mit einem bestimmten Preis weltweite Aufmerksamkeit erregen. Beim Komponieren ist das anders. Gerade hier auf der Klassik Komm. wurde das deutlich. Wenn über zeitgenössische Komponisten geredet wurde, dann fielen Namen wie Rihm oder Lachenmann. Niemand sprach über australische oder skandinavische Komponisten. Was fehlt, ist eine Art internationaler Showcase. Ein weiteres Problem ist, daß auch gute Kompositionspreise in der Regel keine große Öffentlichkeit ansprechen, es fehlt an Publicity. nmz: Wie finden Sie den Preisträger? McLaren:Es gibt drei Phasen der Bewertung. Die erste Phase, die jetzt beendet ist, bestand nur aus Experten. Es gab elf Juroren aus Amerika, Rußland, China und europäischen Ländern. Darunter sind Komponisten und Professoren, aber auch Dirigenten, denn die Stücke sollten „aufführbar sein. In Phase zwei haben die elf Juroren die Chance, zu hören, was sie ausgewählt haben und ein Urteil darüber zu fällen. Ein zweite Gruppe von Juroren, bestehend aus international bekannten Interpreten, wird gerade zusammengestellt. Die letzte Gruppe, die mitentscheidet, sind unsere Partner-Radiostationen auf der ganzen Welt. In Phase drei wird die Öffentlichkeit miteinbezogen. Das Publikum wird auf die Abschlußkonzerte durch über 300.000 CDs aufmerksam gemacht – wohl eine der größten Erstauflagen von CDs mit Neuer Musik – und kann dann mittels Post, Telefon und Internet seine Stimme abgeben. Die Wahl des Publikums bleibt geheim und zählt nur in Ergänzung mit den Entscheidungen der Expertenjury. Am 7. April 1998 werden die Werke von sechs Finalisten vom London Symphony Orchestra unter Daniel Harding aufgeführt. Die Jury tritt direkt nach dem Konzert zusammen und verkündet das Ergebnis. Der erste Preis sind 25.000 Pfund, der zweite 3.000, der dritte 2.000 und die vierten bis sechsten Preise betragen jeweils 1.000 Pfund. nmz: Wie denken Sie über die Klassik Komm.? McLaren: Für uns ist es ein idealer Platz, unseren Wettbewerb zu präsentieren. In England existiert so etwas leider nicht. Viele Leute denken, Kunst hätte nichts mit Kommerz zu tun. Ich teile diese Meinung nicht. Ich denke, Kunst braucht Mittel und Wege zur Distribution. Ich denke, wir brauchen im Interesse aller Musikliebhaber eine gesunde Tonträgerindustrie. Wir werden nur gute Aufnahmen von Neuer Musik lieferbar haben, wenn die Plattenfirmen davon überzeugt werden können, daß sie damit Geld verdienen können. Das Faszinierende an der Klassik Komm. ist, daß hier Kultur und Wirtschaft zusammenkommen. Das Gespräch führte Andreas Kolb

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