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Cover des Buches Träumen Sie in Farbe?
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Tenor ist die langsame Verbitterung

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György Ligeti im Gespräch mit Eckhard Roelcke
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György Ligeti/Eckhard Roelcke: „Träumen Sie in Farbe?“ György Ligeti im Gespräch mit Eckhard Roelcke, Zsolnay Verlag, Wien 2003, 237 S., € 19,90, ISBN 3-552-05228-3

Eine Gesprächsbiografie, das liegt in der Natur der Sache, liefert zwei Angriffspunkte: die Art der Fragen und die Antworten. Leider wird man hier auf beiden Seiten fündig. Eckhard Roelcke liefert im Grunde nur den Part des staunenden Fragers, der kaum ein Gegengewicht zu den Positionen Ligetis herzustellen vermag. Die Fragen sind dürftig und niveaulos, fast immer nach dem Motto „Erzählen Sie doch über...“ gestrickt. Als Mitdebattierer versagt Roelcke bis auf wenige Ausnahmen (wo es über Architektur in New York oder Berlin geht). Der Stachel der anderen Sicht, der anderen Gewichtung, der bohrenden Nachfrage bei argumentativen Untiefen wird nicht gesetzt. Fast möchte man ihnen das Attribut „folgsam“ beziehunsweise des vorauseilenden Gehorsams eines Dackels an der Leine geben.

Das Heft hat Ligeti in der Hand: „Do you have other questions? Beenden wir die Debatte? ,Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.‘ Das steht immer am Ende der Interviews im ,Spiegel‘.“ So kappt er am Schluss des Buches fast unwillig das Gespräch. Nichts geht mehr.

Das alles ist freilich im Falle von György Ligeti nicht gar so schlimm. Denn man kann im Grunde jedes Wort sagen, also zum Beispiel Kartoffel oder Viertaktmotor, und sofort springt Ligeti mit dem Elan der Wissbegier und des „Eh-Schon-Wissens“ darauf an, geht ins Weite, kommt auf Musik und Gesellschaft, auf fraktale Landschaften oder logische Paradoxien. Wir kennen ihn als brillanten Erörterer oder Erläuterer seiner oder anderer Musik, als spitzfindigen Argumentierer, dem die Dialektik des fruchtbaren Streitgesprächs in die Wiege gelegt ist. Das liest sich gut, locker vom Hocker gewissermaßen.

Aber was Ligeti da so erzählt, bleibt doch auf ziemlich traurige Weise hinter dem Niveau zurück, das wir aus seinen früheren Erörterungen oder vor allem aus seinen so perspektivisch innovativen Kompositionen kennen. Sind wir im Zeitalter der Abrechner, wie es Mode bei den in Ruhestand getretenen Profi-Fußballern ist? Ligeti wirkt verbittert: Opfer des Faschismus, des Stalinismus, der Darmstädter Avantgarde, der 68er.

Die studentische Auflehnung war blind, sie führte schließlich zum Terrorismus, legt Ligeti dar. George W. Bush schickt einen Dankesgruß. Ligeti vergisst dabei, dass dieses antiautoritäre Umfeld auch bester Nährboden für sein kompositorisches Denken und Arbeiten war.

Kaum einer der kompositorischen Kollegen kommt gut weg. „Wolfgang Fortner zum Beispiel war homosexuell. Er hatte beim Schott-Verlag eine wesentliche Stimme und hat dort den ebenfalls homosexuellen Hans Werner Henze empfohlen, und Henze wurde bekannt. Das sage ich ohne jede Bewertung.“, wertet Ligeti.

Hat er nichts zur Musik von Henze zu sagen, wo man unschwer und auf bessere Art fündig – positiv wie negativ – würde? Nono ist verbohrt und im Grunde nicht so wichtig, Stockhausen ist eitler Egomane und und und... So etwas hilft nicht und das ist das eigentlich Enttäuschende, ja Schlimme daran. Das Niveau der Debatte unterschreitet das Niveau des Debattierten.

Ligeti hat sich mit diesem Buch keinen Dienst erwiesen. Den Spruch „Si tacuisses...“ kennt er, wie er über so vieles bescheid weiß. Beherzigt hat er ihn hier nicht.

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