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Tröten & Treten

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Ferchows Fenstersturz 2010/07
Publikationsdatum
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Sind Sie auch so eine Vuvuzela-Niete? „Bäh, die sind so laut. Heul, die verstoßen gegen die Lärmschutzverordnung der EU“. Dann müssen Sie eben Ihre europäischen Löffel auf Globalisierung umpolen. Vom Hornissengefurze im Radio haben Sie sich Jahrzehnte lang knechten lassen. Egal ob Pop- oder Klassiksender. Bewahren Sie Contenance. Sie werden feststellen: das Radiogebrumme hat mit dem Vuvuzela-Prusten verdammt viel Ähnlichkeit. Drehen Sie Ihr Radio mal auf „knapp unter Zimmerlautstärke“. Entspannender ist das wirklich nicht.

Ich dagegen liebe diese Dinger. Schließlich rücken sie in Deutschland die Normen zurecht. Lieber ein Vuvuzela-Volksbegehren („Sind Sie nicht auch dagegen, dass Vuvuzelas nicht zur offiziellen Prolo-Fanaustattung gehören dürfen?“) als gewalttätige Demos gegen politische Waschlappen. Wir wissen, was wichtig ist. Mir aber bedeuten die Vuvuzelas ein Stück Verlässlichkeit und Symbolik. Es gibt derzeit nichts Schöneres, als mittags aufzustehen, den gebührenfreien Fernseher um 13.30 Uhr einzuschalten und das vertraute Trompeten bis 22.30 Uhr zu genießen.

Wenigstens eine Konstante in der von den Privatsendern inszenierten humanen Komplettkrise, nach der wir für alles zu blöd sind und folgerichtig Gewichtsberater, Erziehungsberater, Schuldenberater, Tierberater, Stilberater, Pflanzenberater, Bildungsberater und Karriereberater brauchen. Ach so, Sie arbeiten um 13.30 Uhr. Nicht mein Problem. Hätten Sie eben nicht Nobby Blüm wählen dürfen. Ersatzweise können Sie sich an der Symbolik der Tröten ergötzen. Leider lassen die Einsatzmöglichkeiten des jungen Phänomens noch zu wünschen übrig. Ich persönlich hatte mit einem massiven Einsatz beim Zapfenstreich für Horst Köhler gerechnet. Ein frustriertes Bundeswehrorchester aus Afghanistanveteranen, das unter der Leitung von Jürgen Trittin statt „My way“ – frei improvisiert oder nach Schönbergs Zwölftontheorie – „Die weißen Tauben sind müde“ von Hans Hartz in die Tröten spuckt. Gerne im Kanon. Aber genug der politischen Symbolik. Der Grundton der Vuvuzela erinnert mich stark an Krankenhaus: Beatmungs- und Herzmaschinen samt Intubation. Stecker ziehen. Flatline. Metaphorisch für unsere Gesellschaft.

Das uniforme Dröhnen dürfte ehemalige christliche Internatsinsassen an monotone Peitschenhiebe erinnern und die Kirche irgendwie an den Exodus. Kulturell können wir allegorisch das Koma erkennen, das von Sockensortierern und Auf-Firmenkosten-Surfern bewirtschaftet wird. Statt auf den Vuvuzelatrend zu reagieren, werden die Bleistifte der Steuerzahler gewetzt und die Subventionen des JeKi gezählt. Wahrscheinlich muss es Stefan Raab richten und Abi-Lena eine Vuvuzela umschnallen. Ein bisschen dazu klimpern und schon rasten Millionen Schüler aus. Aber die sind musikalisch gebunden. An die Fesseln des JeKi. Da muss man doch mal mit dem Feuerzeug in den Tank leuchten! Ich bin für JeKiVu. Jedem Kind eine Vuvuzela. Das wäre hipp, liebe Kulturmurmeltiere.

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