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Über das Singen und die Vergänglichkeit des Seins

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Überraschungen beim ARD-Wettbewerb: Silber und Bronze für zwei deutsche Sänger
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Dass der Hörer Meinung nicht so ganz konform gehen muss mit dem Urteil der Juroren, war beim diesjährigen ARD-Wettbewerb auffällig: Von den sechs vergebenen Publikumspreisen waren nur zwei identisch mit den von der Jury zuerkannten 1. Preisen, nämlich für Kontrabass und den Gesang der Damen. Die vier anderen galten den Vorspielen von 2. und 3. Preisträgern.


Das bringt leichte Irritationen mit sich, ohne zu bedenken, dass die eingesammelten Publikumsstimmen sich im Wesentlichen auf nur die eine eben gehörte Interpretation des Kandidaten in der Finalrunde stützte, während sich in der hochkarätigen Jury deren objektive und subjektive Eindrücke aus allen vier Wettbewerbsrunden niederschlagen und wiederfinden müssen.

Der Jahrgang 2009, zu dem aus über 400 Bewerbungen schließlich etwas mehr als die Hälfte zugelassen wurde, war reich an weiteren Überraschungen: (Süd-)Korea mit 36 Musikern (nach Deutschland mit 40 Kandidaten) als stärkste Fraktion (danach folgten Japan, Frankreich, Polen und Russland) erntete dann auch 3 der insgesamt 15 vergebenen Preise. Der Eindruck, den all die jungen Koreaner/-innen technisch wie künstlerisch hinterlassen, lehrt, dass dieses Land längst hiesige Ausbildungsstandards überholt hat. Vokalisten konnten sich in diesem Wettbewerb zwischen den Schwerpunkten Konzert und Oper entscheiden. Dementsprechend war das erforderliche, allerdings umfangreiche Repertoire gewichtet, das die Kandidaten bereit haben sollten. 47 Sängerinnen und 12 Sänger aus 15 Nationen, listet das Programmbuch mit Bild und angemeldetem Repertoire auf. Keine der neun deutschen Damenstimmen kam über die zweite Runde. Nur zwei deutsche Herren, beide Jahrgang 1977, trifft man im Finale, begleitet vom Münchner Rundfunkorchester unter John Fiore, und präsentieren sich überzeugend: Der Bariton Falko Hönisch in Stuttgart, Karlsruhe und Lübeck ausgebildet, bisher im Ensemble von Kassel und Darmstadt, jetzt in Koblenz zu hören, kann zu seinen bisherigen Trophäen nun den 3. Preis des ARD-Wettbewerbes hinzufügen, – unerhört elastisch seine tragende Stimme und flexible Darstellung. Erfolgreich der Oper verschrieben statt dem ursprünglich geplanten Veterinär-Studium hat sich der Bass Wilhelm Schwinghammer. Seine vokale Laufbahn: Regensburger Domspatzen, dann Berlin und seit 2003 im Opernstudio der Hamburger Staatsoper.

Dort wartet die nächste Spielzeit auf seine charakteristische tragende Bass-Stimme. Die Jury setzte ihn auf den 2. Preis (und verzichtete auf die Vergabe eines 1. Preises). Das 50-zu-50-Votum des Publikums für beide Herren führte gerechterweise zur Teilung des Publikumspreises.
Dagegen gab es einen unumstrittenen 1. Preis für Gesang bei den Damen, die mit recht unterschiedlichen Charakteren vertreten waren: Die Australierin Anita Watson (29) faszinierte mit ihrer liebreizenden, warmen Stimme, in allen Höhen und Tiefen, im Forte wie im Pianissimo klar und von feinstem Ausdruck. Die beiden Koreanerinnen Hye Jung Lee (26) und Sunyoung Seo (25), beide in Seoul ausgebildet, verdienten sich den 3. und 2. Preis mit ihren weichen und in der Höhe strahlenden Koloraturstimmen, die ein Opernpublikum hinreißen. Nur drei Monate Vorbereitungszeit und keinerlei Referenzen zur Verfügung hatten alle Vokalisten für ihre brandneue Auftragskomposition des Wettbewerbes; John Woolrich schrieb „A Singing Sky“, eine Komposition über das Singen und die Vergänglichkeit des Seins. Die wenigsten hatten damit interpretatorisch etwas anzufangen verstanden. Nur einer überzeugte: Dem Deutschen Falko Hönisch gelang es, daraus eine launisch dramatische und spannende Geschichte zu gestalten, wofür er den Sonderpreis einheimste.

Zwei Nischen-Instrumente, die nur selten zur Geltung kommen, standen diesmal im Blickpunkt: Harfe, zuvor erst zweimal, und Kontrabass, viermal im ARD-Wettbewerb berücksichtigt. Auf die 33 Harfenistinnen und 5 Harfenisten wartete im Semifinale eine kammermusikalische Delikatesse. Als Spielpartner dafür gewonnen waren ehemalige ARD-Preisträger, das Quatuor Ebène, die Flötistin Magali Mosnier und der Klarinettist Olivier Patey, die sich mit erstaunlicher Sensibilität den klanglichen Ausbrüchen der Harfenspieler in Ravels selten aufgeführtem anrührenden Poem „Introduktion und Allegro“ für Harfe, Streichquartett, Flöte und Klarinette aus dem Jahre 1905 anzupassen verstanden, insgesamt sechsmal und immer wieder anders zu hören. Die Harfenvorspiele waren – ebenso wie die für Kontrabass – ein interessanter Ausflug durch wenig erfahrbare Felder originaler Musikliteratur, so die Werke von Elliott Carter, Franco Donatoni und Luciano Berio, dessen „Sequenza II“ überzeugend gebracht von der einzig allerdings nur bis ins Semifinale vorgedrungenen deutschen Kandidatin Ronith Mues.

Bei des Nationalrussen Reinhold Glières Konzert für Harfe op. 74 (1938) entschied die Jury unter Lutz Köhler für die Reihenfolge der Preisträger: an erster Stelle der Franzose Emmanuel Ceysson (25), Soloharfenist an der Pariser Oper und als Gastprofessor an der Royal Academy of Music in London, an zweiter Stelle die Japanerin Ruriko Yamamiya (21), die an der Hamburger Musikhochschule noch einer Zusatzausbildung nachgeht. Bei ihr fand die spröde Auftragskomposition „Gesine“ von Toshio Hosokawa, sehr an die Klangwelt des Koto erinnernd und „mit vielen kleinen Gemeinheiten gespickt“, die beste Interpretation, wofür sie den gesponserten Preis erntete und dazu noch den Brüder-Busch-Preis für ihren exzellenten Part in Ravels Kammermusik. Dritte Preisträgerin, besonders eindrucksvoll bei Carters „Bariolage“ und deshalb zusätzlich mit dem Publikumspreis geehrt, wurde die Belgierin Anneleen Lenaerts (21), die als Assistentin am Brüsseler Konservatorium ihre schon reichen konzertanten Erfahrungen weiterreicht.

Kontrabass, in der Münchner Wettbewerbsgeschichte erst viermal vertreten und nie ein 1. Preis, hat aufgeholt: 39 Teilnehmer, darunter 4 Deutsche, die aber angesichts sich noch besser präsentierender Konkurrenz über die erste Runde nicht hinaus kamen. Die Jury unter Reinhart von Gutzeits Leitung einigte sich angesichts hoher und dichter Leistungen auf zwei 3. Preise: für den Franzosen Olivier Thiery (26) aus dem Concertgebouworkest, der im Schlusskonzert Koussevitzkys Konzert op. 3, und Ivan Zavgorodniy (25) aus dem National Odessa Philharmonic Orchestra, der mit Vanhals D-Dur-Konzert brillierte. Stanislav Anishchanka (26), nach Studium in Nürnberg heute Solobassist an der Staatsoper Stuttgart, hatte sich schon 2003 beim ARD-Wettbewerb einen Sonderpreis geholt, diesmal den 2. Preis und erneut den Sonderpreis für die Darstellung des Auftragswerkes. Dafür hatte Nicolaus Richter de Vroe mit „Atlas Textures“ einen für das Instrument geschickt gestrickten aktuellen Beitrag geliefert. Mit dem eindeutigen 1. Preis und dem Publikumspreis erweiterte der Lette Gunars Upatnieks (25), Solobassist im Nationalen Orchester, die Reihe seiner bisherigen Wettbewerbserfolge. Er zeigte seine rasante Spieltechnik im Divertimento concertante von 1968 des vor allem als Filmkomponisten erfolgreichen Nino Rota, das vom farbigen, neckischen Dialog des Solisten mit den Bläsern und Streichern lebt.

Die große Überraschung lieferte der 1. Preis im Fach Geige. Die selbstsichere und resolute erst 17-jährige Koreanerin Hyeyoon Park ist die zugleich bisher jüngste Preisträgerin in der langen Geschichte des ARD-Wettbewerbes. Vor knapp drei Jahren kam sie nach Deutschland, um an der Hanns Eisler Hochschule für Musik in Berlin von Antje Weithaas betreut zu werden. Im Abschlusskonzert durfte sie sich mit dem sel ten gespielten anspruchsvollen Violinkonzert von Erich Wolfgang Korngold in engagierter Begleitung durch das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Lawrence Renes präsentieren. Der mit dem 2. Preis ausgezeichneten Japaner Kei Shirai (26) spielte überlegen und selbstsicher Bartóks 2. Konzert, was ihm auch den Publikumspreis einbrachte. Für die Amerikanerin Lily Francis, die grandios Ravels Tzigane hinlegte, rechtfertigte sich nach Meinung der Jury unter Harald Egge-brecht der Abstand zu ihrem 3. Preis. Außerordentliche Sympathie fand der Russe Sergey Dogadin, nicht nur mit der Bestinterpretation des Auftragswerkes von Paul Ruders; sein Spiel von Mozarts G-Dur Konzert KV 216 konnte man als Sternstunde erleben. Doch reichte es der Jury nicht zu einem der Hauptpreise, sehr wohl aber dem mitmusizierenden Münchner Kammerorchester zu einem von ihm spontan gestifteten Sonderpreis, und Bayern 4 Klassik kreierte für ihn den neuen BR-Klassik-Preis. Bis zum Semifinale geschafft hatte es von acht deutschen Kandidaten nur Sophie Heinrich, die ihr Mozart-Konzert mit einer wunderbaren eigenen Kadenz erweiterte. Eindrücke von Star-Jurorin Geigerin Ida Haendel, aus Amerika angereist: Sie habe unterschiedlichste Musiker-Persönlichkeiten erlebt, die stolz sein können, zu den größten Talenten zu gehören.

Die Wettbewerbsleitung, künstlerisch verantwortet von Axel Linstädt und Oswald Beaujean, organisatorisch erstmals in der Hand von Elisabeth Kozik, zieht ihre Bilanz: vier erste, fünf zweite, sechs dritte Preise, Gelder von insgesamt 112.400 Euro, gestückelt mit 5.000, 7.500 und 10.000 Euro, zahlreiche gestiftete Sonder- und Extrapreise konnten vergeben werden, dazu kommen Projekte der Weiterförderung. Als außerordentlicher Jahrgang habe sich der Wettbewerb 2009 erwiesen, mit hohem Niveau, mit extremen Leistungen, dennoch habe die Jury erste Preise nur vergeben, wenn die erwartete Leistung tatsächlich stimme. Ob das anschließende Festival der ARD-Preisträger auch weiterhin finanziell realisierbar sein wird, bleibe offen. Zunächst seien die nächsten Wettbewerbe gesichert, 2010 für Cello, Flöte, Horn und Klavierduo, 2011 als 60. Jahrgang für Orgel, Oboe, Trompete und Klavier.

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