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Unanständig

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nmz 2000/10 | Seite 1
49. Jahrgang | Oktober

Kulturpolitik

Unanständig

Bei den Berliner Philharmonikern mehren sich die Zeichen einer neuen Zerreißprobe. Claudio Abbado, seit 1990 und noch bis 2002 Chefdirigent des deutschen Eliteorchesters, liegt im Streit mit dem bereits im kommenden Jahr ausscheidenden Philharmoniker-Intendanten Elmar Weingarten. Wie ein Nachrichtenmagazin berichtet, soll sich der Dirigent „fast erpresserisch” weigern, noch länger unter Weingartens Ägide zu taktieren. Dazu kann man nur sagen: Nur weiter so!

Die zweite Meldung kommt ebenfalls aus Berlin: Barenboim mag nicht länger an der Lindenoper den Chef spielen. Er will gehen oder auch nicht oder nur halb und halb, weil ihm seine Staatskapelle doch so am Herzen liegt, deren Musiker er endlich auf die Tarifhöhen von Philharmonikern oder bayerischen Staatsorchestern hieven möchte, weshalb er eine Erhöhung der Opernsubventionen um zehn Millionen Mark fordert. Richtig, weiter so!

Dritte Meldung: Nicht zehn Millionen Mark mehr, sondern drei Millionen weniger soll der Generalintendant der Kölner Bühnen, Günter Krämer, von der Stadt erhalten. Auch gefällt ihm die drohende Umwandlung der Bühnen in einen kommunalen Eigenbetrieb nicht. Was tun? Ganz einfach: Kündigen, vorzeitig zum Ende der nächsten Spielzeit. Seine Regiearbeit in Köln will Krämer trotzdem fortsetzen, was logisch erscheint, gibt es dafür doch schöne Regiehonorare, auf die man keinesfalls verzichten sollte. Nur weiter so!

Immer weiter geht es auch an den Frankfurter Bühnen: Mit dem Chaos. Martin Steinhoff, Opernintendant und geschäftsführender Intendant wollte auch Geschäftsführer der bevorstehenden Theater-GmbH werden. Die Stadt will aber keine Doppelfunktionen mehr, weil gegen diese auch die beiden anderen Spartenintendanten von Schauspiel und Ballett sind. Also: Kündigung. Steinhoff legt vorzeitig seine Intendanzen nieder. Jeder streitet wider den anderen, sogar der sonst so beherrschte Ballettchef William Forsythe und der Generalmusikdirektor mischen sich aufmüpfig ein, und der Kulturdezernent raucht sein Pfeifchen und schaut, im selbstproduzierten Qualm sich verbergend, schon lange nicht mehr durch.

Es wäre nun ein Leichtes, die Schuld an dem ganzen Schlamassel, in Berlin, in Köln, in Frankfurt – wo noch? – einmal mehr den Politikern anzulasten. Aber im Zank ums Geld verlieren zunehmend auch die Künstler Nerven und Haltung. Von Intendanten und Chefdirigenten darf man wenigstens ein Quäntchen an Fähigkeit verlangen, auch politisch zu argumentieren, auf der Klaviatur des Politischen zu agieren. Sonst sollten sie sich nicht in die Führungspositionen großer Kunstinstitute drängen. Was die künstlerisch Verantwortlichen in den genannten Fällen derzeit aufführen, versetzt sie auf das Niveau der mit Recht kritisierten Kulturpolitik. Unanständig sind alle. Nicht weiter so!

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