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Verfall, Geschäftemacherei und Zerstörung

Untertitel
Die traurige Geschichte vom DDR-Rundfunkgelände an der Nalepastraße
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Andreas Göx/Hannes Wanderer: Die Rote Burg. Das Rundfunkgelände an der Nalepastraße, Peperoni Books, Berlin 2007, 174 S., 185 Fotos, € 40,00, ISBN: 978-3-9809677-3-0

Schöneweide an den Ufern der Spree, industrialisiert um 1890, ist reich an ausgedienten Betrieben mit heute seltsamer Nutzung. Zu ihnen gehört auch ein Areal jüngeren Datums, wo hauptsächlich Immaterielles entstand – woran ein opulenter Fotoband jetzt zu erinnern versucht. Die Abbildungen vermitteln den Werdegang einer Architektur, die Anfang der 1950er-Jahre in speziellem Auftrag entstand und deren Funktion am 3. Oktober 1990 politisch erlosch. Die Rede ist vom opulenten Gebäudekomplex in der Nalepastraße im Berliner Stadtbezirk Treptow-Köpenick, wo bis Ende 1991 der Staatliche Rundfunk der DDR mit seinen zuletzt sechs Programmen ansässig war. Architekt Franz Ehrlich – ein Überlebender des KZ Buchenwald, der in den 20er-Jahren bereits am Funkhaus Masurenallee mitbaute – hatte hier sein Meisterwerk vorgelegt. Das Kernstück, die aus rotem Backstein gemauerten Gebäude Block A, Block B und Block C, gehört stilistisch zur Nachmoderne. Jahrzehntelang liefen hier – Andreas Göx und Hannes Wanderer belichten den Zustand fünfzehn Jahre nach Stilllegung – mehrere Aufnahmesäle, der legendäre Hörspielkomplex sowie Redaktions- und Sendestudios im Dauerbetrieb. Effektiv sortiert die Architektur Technik, Journalismus und Kunst. Baracken und Säle, die unendlichen Flure, die Studiokomplexe wirken sehr funktional; deutlich wird eine heute undenkbare Großzügigkeit.

Wiewohl die praktische Nutzung im Auftrag des Rundfunkkomitees beim DDR-Ministerrat unstrittig ist, fällt eine Doppelfunktion schnell ins Auge. Was hier in einem der einst modernsten Hörfunkkomplexe Europas auf Sendung ging, hatte zweifellos als Leit- und Begleit-Medium realsozialistischen Alltags zu dienen. Zugleich fanden akustische Kunst- und Musikproduktionen keinesfalls nur in Nischen statt – was allein der LP-Katalog des Rundfunk-Sinfonieorchesters Berlin und zahllose hochkarätige Hörspielprodukte belegen. Noch Herbert Grönemeyer, Daniel Barenboim sowie Sting fanden die Akustik beachtlich und haben in den 90ern hier CDs produziert.

Die 185 Fotos, die der Bildband versammelt, beleuchten von alledem bestenfalls Reste. Ihr gemeinsames Thema ist Leere und Destruktion. Der fotographische Blick in überstürzt und inmitten der Arbeit verlassene Räume weckt Gefühle. Von den zuletzt gut 4.000 DDR-Rundfunk-Mitarbeitern zeugt vor allem Abwesenheit. Bettina Baltschevs knapper Begleit-Essay reißt immerhin an, dass es für die Mehrzahl der Festangestellten nach 1991 keine berufliche Zukunft mehr gab. Was an der beim Berliner Kleinverlag Peperoni Books verlegten Publikation besonders stark fasziniert, ist allerdings etwas anderes. Die Sprachkraft der Fotografien resultiert aus der Einsicht in Dinge, die an keine Öffentlichkeit dringen sollen. Das gilt zunächst für den Blick ins gut erhaltene Herz sozialistischer Nachrichtenproduktion. Zum anderen geht es um etwas, das auf neue Art ausgeblendet erscheint – resultiert es doch aus der Dimension eines nicht übernommenen Erbes, einer bis heute nicht verwirklichten Chance. Die Rede ist nicht vom Zahn der Zeit, der Decken und Wände abblättern lässt, Regale und anderes Büromobilar in skurrile Schieflagen bringt. Gemeint ist, dass das gesamte Gelände verrottet, dass hier (real wie metaphorisch) immenses Potenzial schlichtweg brach liegt. Noch im Herbst 2005, als die Fotos entstanden, gab es trotz manch projektgebundener Wort- und Musikproduktion für die stillgelegte Radiostadt im Osten – damals Eigentum der fünf Neuen Länder – kein grundsätzliches Nutzungskonzept.

Das letzte Drittel der Fotografien belegt, dass die Grenze zwischen Verfall und Zerstörung eine fließende ist. Die Innenansicht der berühmten Musikbaracke von Radio DDR, die Bilder von ausgeweideten und zertrümmerten Studios, scheinen eher einen Terrorakt als einen Demokratisierungsprozess zu dokumentieren. Nostalgie indes ist beim Entschlüsseln der Bilddokumente kaum hilfreich. Womöglich bezeugen diese nicht nur den Endstand im Medienkrieg der Systeme von gestern und die darauf folgende Planlosigkeit, sondern noch einen besonderen Akt organisierter Kriminalität. Nachzuweisen ist das sicherlich kaum. Im sonnigen Herbst 2005 jedenfalls, verkaufte das Landesimmobilienmanagement Sachsen-Anhalt das ehemalige DDR-Rundfunkgelände an eine Firma Bau & Praktik aus Jessen, die hier (vgl. Die Zeit vom 24.5.2007) als eine Art ‚Unternehmensbestatter‘ fungierte – vielleicht letzte Vermögenswerte abbrach und attraktive Gebäude mit Millionengewinn weiterverkaufte. Auch deren jetziger Eigentümer, die Keshet Geschäftsführungs GmbH Co. Radio Centre Berlin KG hat als erstes ein imposantes Konzept (vgl. Berliner Woche vom 9.5.2007) vorgelegt: hier die Schauspielschule „Ernst Busch“ unterzubringen und das Gelände touristisch zu nutzen. Man darf gespannt sein, wer noch künftig aus der ‚Roten Burg’ an der Spree Kapital zu schlagen vermag.

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