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Das London Philharmonic Orchestra unter der Leitung von Kurt Masur
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Versprechen auf die Zukunft

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Das „musikfest berlin 05“ – ein erster Schritt ist getan
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Seit 2002 werden die traditions- und erfolgreichen Berliner Festwochen mit wechselndem Erfolg umstrukturiert. Nach radikalen Reformversuchen, die Publikum und Geldgeber abschreckten, kehrte das Festival jetzt unter dem Titel „musikfest berlin 05” in vertrautere Fahrwasser zurück. Als „großes, repräsentatives, klangprächtiges Orchesterfest” sollte es, so Intendant Joachim Sartorius, zu einer neuen Sicht auf die internationale Orchester- und Ensemblelandschaft verhelfen. Jenseits der üblichen Repertoire- und Tourneeprogramme gehe es „perspektivisch” um außergewöhnliche Werke, um historische Aufführungspraktiken, um das Verhältnis von moderner und Alter Musik, um Entgrenzungen.

Repräsentative Namen standen tatsächlich auf dem Programm. Aber weder das London Philharmonic Orchestra unter Kurt Masur noch das New York Philharmonic Orchestra unter Lorin Maazel boten Leistungen, die Berliner Musikfreunde in Erregung versetzten. Masur begann immerhin mit dem neuen Stück „Das Licht des Endes“ von Sofia Gubaidulina. Die Dramaturgie – der Konflikt zwischen untemperierten Naturtönen des Horns und den temperierten der Streicher löst sich „lichtvoll“ in Dur – wirkte vertraut, jedoch überzeugte der gekonnte Umgang mit den Orchesterfarben. Danach das wohl repräsentativste Werk der Musikgeschichte: Beethovens Neunte. Masur stellte zu Beginn mit der Darstellung des Urchaos eine Brücke zum Vorangehenden her, ohne freilich eine neue Beethoven-Sicht zu finden. Immerhin überzeugte er mehr als sein New Yorker Nachfolger Maazel, dessen behäbig-routinierte Interpretation von Mahlers Fünfter den blassen Festspielabschluss bildete. Dabei wären die New Yorker zu spannenderen Leistungen fähig gewesen, wie bravouröse Trompeten- und Hornsoli bewiesen.

Dass es auch anders geht, zeigte das Gastspiel des Concertgebouworkest Amsterdam unter Mariss Jansons. Die Neugier des Publikums richtete sich nicht allein auf das Orchester, das für zehn Jahre in Berlin nicht mehr zu erleben war, sondern ebenso auf den Dirigenten, dem an diesem Abend auch seine Kollegen Kurt Sanderling und Simon Rattle lauschten. Tatsächlich bot Jansons eine außerordentlich transparente Interpretation von Mahlers Sechster Symphonie. Dem Marsch in die Katastrophe standen vital und attraktiv die Hoffnungselemente gegenüber.

Gastspiele ausländischer Orchester mit Beethoven- und Mahler-Symphonien sichern volle Häuser, selbst wenn diese Werke mit Berliner Orchestern auf gleichem oder höherem Niveau zu erleben sind. Mehr Bewunderung verdienen neuartige Programme mit Gegenüberstellungen von Alter und Neuer Musik. Ausgesprochen intelligent geschah dies an zwei Abenden mit dem Geiger Andrew Manze, der sechs Rosenkranz-Sonaten von Heinrich Ignaz Franz Biber entsprechend der historischen Aufführungspraxis darbot. Dem standen Violinwerke aus dem 20. und 21. Jahrhundert gegenüber. Mit messerscharfer Präzision spielte Carolin Widmann Kompositionen von Esa-Pekka Salonen, Pierre Boulez und Leoš Janácek, die sich als Klangexperimente teilweise auf Biber beziehen ließen. Noch lohnender war es, den Nachwirkungen von Bachs Solo-Violinpartiten bei Bartók, Ligeti und Kurtág nachzuspüren. Der Weg von Bartóks Sonate für Violine solo (von Kristóf Baráti grandios dargeboten) über Ligetis Sonate für Viola solo bis zum neuesten Werk, György Kurtágs „Hipartita“, erwies sich als ein Prozess der Verknappung, Individualisierung und Poetisierung. Die Sätze wurden immer kürzer, während sich ihre Zahl vergrößerte.

Die japanische Geigerin Hiromi Kikuchi hatte eine Mauer von 11 Notenpulten aufgebaut, um die ihr gewidmete „Hipartita“ mit suggestiver Konzentration zur Uraufführung zu bringen. Die acht Tanz- und Charakterstücke stecken voller Querverweise und persönlicher Bezüge. Oft werden poetische, teilweise rätselhafte Inhalte bildhaft ausgedeutet. So zeichnet der dritte Satz mit pesante-Akzenten die langsamen, schweren Schritte von Pilgern nach. Nach einem wilden Perpetuum mobile endete das Werk mit einem sehnsuchtsvollen Ungarn-Bekenntnis.

Für so interessante Konzepte, wie sie auch das Freiburger Barockorchester mit dem schon in Luzern vorgestellten Programm „About Baroque“ bot, war allerdings nur eine begrenzte Zuhörerzahl zu gewinnen. Die Idee, leere Plätze mit unruhigen Jugendgruppen zu füllen, erwies sich nicht immer als sinnvoll. Schwach besucht war auch das Konzert des SWR Sinfonieorchesters mit dem ausgezeichneten SWR Vokalensemble. Auch das neue Violinkonzert von Thomas Adés konnte die hohen Erwartungen nicht erfüllen. Nach einer unglücklichen Unterbrechung wurde in diesem Jahr die Zusammenarbeit mit den Philharmonikern wieder aufgenommen. Der auch privat motivierten Liebe Sir Simon Rattles zu Tschechien verdankte sich ein Janácek-Schwerpunkt, dessen Höhepunkt erwartungsgemäß die von ihm geleitete konzertante „Jenufa“ mit Karita Mattila als Titelfigur und dem gut aufgelegten Berliner Rundfunkchor darstellte. Einen aufschlussreichen Blick auf den frühen Janácek boten Marek Janowski und das Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin mit der stilistisch noch von Smetana und Wagner geprägten heroischen Oper „Sarka“ (überzeugend Eva Urbánova in der Titelrolle). Ergänzt wurde dies durch Janáceks Streichquartette mit dem Škampa-Quartett, durch seine Lieder mit Iva Bittová und die Sinfonietta mit dem SWR-Orchester. Von der Berliner Presse wurde das kleingeschriebene „musikfest“ noch kleiner geschrieben und sogar als „Mogelpackung“ bezeichnet. Tatsächlich hoben sich viele der insgesamt vierzehn Konzerte, die innerhalb von zwei Wochen zu erleben waren, aus dem auch sonst attraktiven Konzertalltag Berlins zu wenig markant hervor.

Die regelmäßig im August durchgeführte Reihe Young Euro Classic war als Orchesterfestival bislang spannender. Aber das musikfest berlin 05 ist ein Schritt in die richtige Richtung. Wenn das Profil noch weiter geschärft wird, die angedachten Perspektiven konsequenter realisiert und die Gastorchester (2006 unter anderem das Cleveland Orchestra unter Franz Welser-Möst, das Mahler Chamber Orchestra unter Daniel Harding und erneut das Concertgebouworkest unter Jansons) mehr als bisher ins Programmkonzept eingebunden werden, könnte das „musikfest“ auf lange Sicht die Attraktivität der früheren Festwochen wiedergewinnen.

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