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Frank Kämpfer. Foto: Gregor
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Visionen für ein „Asiatisches Jahrhundert“

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Ein Interview mit Frank Kämpfer, Deutschlandfunk, zum Festival Forum Neuer Musik
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Das Forum Neue Musik ist das Podium, bei dem sich der Deutschlandfunk in seinem Sendesaal in Köln jedes Jahr im März öffentlich als Förderer und Produzent zeitgenössischen Komponierens präsentiert. Stellenwert und Wahrnehmung des Festivals sind im Wachsen. Inhaltlich stand das Forum 2005 unter dem Motto „Identitäten“ und wurde von Iris ter Schiphorst, Sidney Corbett, Ralph van Raat und der Frankfurter Künstlergruppe „Arbeit“ geprägt. 2006 lautet das Thema „Begegnungen FernMittelOst“: Der Blick nach Asien sei heute zwingend, sagt Forums-Leiter Frank Kämpfer. Im Vorfeld sprach Andreas Kolb (nmz) mit dem DLF-Redakteur.

: Warum „FernMittelOst“? Was geschieht dort an Neuem? Was macht die junge Generation dort anders als die Älteren?

Frank Kämpfer: In mehreren Regionen Asiens gehen derzeit Veränderungen vor sich, die immense Auswirkungen auch für uns nach sich ziehen. Ich denke da an Umbrüche in Mittelasien, wo sich ehemalige Sowjetrepubliken zu Nationalstaaten formen und wo im Zusammenhang mit den Kriegen in Afghanistan und Irak regional neue Kräfteverhältnisse entstehen. Ich denke an die Reorganisation der südostasiatischen Tiger-Staaten, und ich denke vor allem an den Aufstieg Indiens und Chinas zu Weltmächten von morgen. Das sind zunächst politisch-wirtschaftliche Aspekte. Aber die jungen Menschen von dort, die heute in europäischen Hochschulen beispielsweise Gesang, Geige oder Komposition studieren, die sich auch in deutschen Theatern und Orchestern bewerben, sind von diesen Vorgängen geprägt. Das sind keine politischen Asylanten mehr wie vor Jahrzehnten, die Unterschlupf suchen. Sondern Menschen mit enormer Leistungsbereitschaft und nicht zuletzt Konkurrenz. Ich frage mich, ob es unter denen schon jetzt welche gibt, für die Europa zwar eine schöne Erfahrung, aber nicht mehr das Nonplusultra darstellt. Wo es ein interessantes Angebot beispielsweise an erlernbaren Stilen und Techniken gibt, das aber nur noch eines unter mehreren ist, das man wahrnehmen muss. Mich würden Leute interessieren, die nicht mehr ein ganzen Leben brauchen, um sich mühsam ihrer kulturellen Wurzeln zu vergewissern, und die vielleicht bald zu leisten vermögen, was wir ständig beschwören: Brückenschläge zwischen den Kulturen, ohne dass eine die andere wie bisher zu dominieren versucht.

: Bekommen wir nach dem Export westlicher Kultur nach Südostasien seit Mitte des 19. Jahrhunderts jetzt 150 Jahre später einen kulturellen Reimport? Können wir diesen anders wahrnehmen als nur als reizvollen Exotismus? Welche Wertkriterien für (Neue) Musik aus FernMittelOst haben Sie?

Kämpfer: Kein Europäer findet heute ein Yamaha-Clavinova oder einen DVD-Brenner von Sony exotisch. Es sind Massenartikel und sie haben unsere musikalische Wahrnehmung bereits sehr stark verändert. Nicht unbedingt im Sinne zum Beispiel von Helmut Lachenmann, dessen Haltung und Musik vergleichsweise romantisch erscheint angesichts der unbegrenzten Möglichkeiten, heute überall und jederzeit Klänge zu konsumieren und zu produzieren. Ich weiß, Ihre Frage zielt auf Tonsysteme, Instrumente und Spieltechniken, die in Indien und China und anderswo seit Jahrtausenden gepflegt werden und wozu uns Europäern die Spezialkenntnis fehlt. Der Punkt ist aber nicht, wie Sie oder ich Experten dafür werden. Es geht um etwas ganz anderes. Die Fusion von Tradition und Technologie hat außer in Japan und Südkorea noch nicht stattgefunden in Asien, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Und das Resultat werden keine ästhetischen Spitzfindigkeiten sein, die einen Boulez oder einen Stockhausen erblassen lassen – sondern weitaus Entscheidenderes: nämlich Veränderungen des ganzen Komponier- und Musikmarkts, Umwälzungen vielleicht des ganzen Funktionsgefüges von Musik schlechthin.

: Welche Impulse erhoffen Sie sich, wenn Sie jetzt unbekannte Komponisten aus Malaysia und Indonesien, aus China und der Mongolei vorstellen? Welche neuen Wege will Ihr Forum 2006 aufzeigen?

Kämpfer: Mein Mitarbeiter Michael Arntz und ich haben mit dem Blick nach vorn programmiert. Das Entscheidende ist für uns die Vision der Begegnung, das Kommunizieren und insbesondere das Moment des Wechselseitigen. Dies ist in diesem Jahr gleich mehreren Programmen und Werkaufträgen zu Grunde gelegt. Zum Beispiel im Duo Blockflöte/Koto, für das Misato Mochizuki und Annette Schlünz im DLF-Auftrag komponierten.

Sowohl die Spieler als auch die Komponistinnen mussten sich dabei mit etwas kulturell Anderem auseinandersetzen, ohne das Eigene zu verleugnen. Auch im Konzert des Ensemble Intégrales verkreuzt sich mehrererlei: die Erfahrungen von Reisen des Ensembles durch die Mongolei und den Iran und andererseits wieder der Auftrag an Komponisten von dort, für ein westliches Ensemble zu schreiben. Was das ergibt, werden wir hören. Ich erwarte mir höchst interessante und individuelle neue Stücke – vor allem aber die Erstbegegnung mit jungen Künstlern, die uns auf gleicher Augenhöhe entgegentreten. Und die vielleicht in nicht ferner Zeit die heute noch nicht existierenden neuen Veranstaltungsformen in Delhi und Peking, Seoul und Jakarta bestimmen.

: Zuletzt kurz noch ein Wort zum konkreten Angebot und zur Dramaturgie des Forums. Wer spielt was und wann?

Kämpfer: Es ist ein sehr dichtes und exklusives Programm mit vielen in Deutschland kaum bekannten Namen, mit einem großen Anteil von Komponistinnen, mit vielen Ur- und Erstaufführungen. Das wurde möglich durch eine gewachsene Zahl von Partnern – zum Beispiel der Kunststiftung NRW, der Siemens Musikstiftung, der Japan Foundation und Gaudeamus in Amsterdam.

Der erste Abend gilt Klarenz Barlow, in dessen Biografie und Werk sich bekanntlich ja auch mehrere Kulturen überschneiden und dessen 60. Geburtstag wir gemeinsam mit der Stadt Köln nachholend feiern – mit einem verrückten und etwas aufwendigen Konzert mit vier gleichartig umzustimmenden Flügeln. Das Abschlusskonzert bietet javanisches Gamelan, gespielt von Niederländern und mit Werken von Komponisten aus Indonesien. Neben der Exotik streift dieses Projekt auch koloniale Geschichte. Der mittlere Veranstaltungstag ist für das Publikum als mehrstündige, durchgehende Klangreise von Mittelasien nach Fernost angelegt und bietet in mehreren Abschnitten Elektroakustisches, Performance, europäische wie asiatische Klänge und Instrumente.

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