Hauptrubrik
Banner Full-Size

Vitales Interesse an einem fernen Land

Untertitel
Die Junge Philharmonie Aserbaidschan beim young.euro.classic-Musiksommer
Publikationsdatum
Body

Aserbaidschan ist ein zweigeteiltes Land: der eine Teil gehört zum Iran, der andere – mit der Hauptstadt Baku am Kaspischen Meer – erklärte 1991 seine Unabhängigkeit von der Sowjetunion. Diese alte Kulturnation südlich des Kaukasus war bei den 15 Konzerten des diesjährigen Festivals young.euro.classic mit dem jüngsten Orchester, dem jüngsten Dirigenten und dem jüngsten Solisten vertreten. Die Junge Philharmonie Aserbaidschan war eigens für den Berliner Auftritt gegründet worden.

Als der Dirigent Fuad Ibrahimov zu Jahresbeginn von der Idee hörte, das Land anlässlich des „Kulturjahrs Aserbaidschan“ mit einem Jugendorchester in Deutschland zu präsentieren, traf sie ihn wie ein Schock. Denn ein solches Orchester gab es noch nicht. Aber mit Unterstützung der Aserbaidschaner Staatlichen Philharmonie rief er es kurzfristig ins Leben. Nach nur einem Monat Probenzeit trat die Junge Philharmonie Aserbaidschan die Reise nach Berlin an.

Der heute 24-jährige Ibrahimov war 2001 erstmals nach Deutschland gekommen, um an der Kölner Musikhochschule Viola zu studieren. Fünf Jahre später entschloss er sich zum Wechsel in die Dirigierklasse von Prof. Michael Luig. Schon in Baku, wo er 15-jährig sein Bratschenstudium begann, hatte ihn Rauf Abdullayev, der Chef des dortigen Symphonieorchesters, als Dirigent fasziniert. Eindruck hinterließen bei ihm außerdem Meisterkurse bei Mstislaw Rostropowitsch – er stammt ebenfalls aus Baku.

Die Idee der Orchestergründung hatte den Dirigenten nicht nur wegen der extremen Kurzfristigkeit schockiert. Er wusste auch, dass es in Baku nicht genügend junge Musiker für ein Jugendorchester gab. Dieses Kulturdefizit erklärt er aus den kriegerischen Unsicherheiten, unter denen sein Land lange litt.  Seine ganze Jugend war von solchen Erfahrungen überschattet. Als Fuad Ibrahimov neun Jahre alt war, wurde seine Heimatstadt besetzt. Die Familie musste fliehen und ihren Besitz zurücklassen. Getrennt von seinen Angehörigen hauste der junge Musiker zwei Jahre lang in einem Keller. Diese Erfahrungen haben ihn geprägt, so dass die Sehnsucht nach Frieden zu seinen dringendsten Wünschen gehört.  Das unabhängige Aserbaidschan ist, so Ibrahimov, trotz seiner alten Traditionen ein noch junges Land. Aber es gebe viele Schritte nach vorn.

Angesichts des Mangels an jungen Musikern wirken in diesem Jugendorchester an Instrumenten wie Tuba oder Röhrenglocken auch ältere Mitglieder der Staatlichen Philharmonie Baku mit. Andererseits spielen schon 14-Jährige mit, wobei zwei kleine Trompeter besonders jung wirkten. Gerade 12 Jahre alt war Narmin Nadschafli, der Solist bei Mozarts d-Moll-Klavierkonzert, dessen Spiel bei der Generalprobe noch etwas hölzern und mechanisch gewirkt hatte. Beim Konzert aber schien der junge Pianist wie verwandelt. Trotz erkennbarer Nervosität spielte er seinen Part mit erstaunlicher Sicherheit und Intensität. Auch das Orchester, dem es zwar an Homogenität fehlte, ließ sich durch den energischen Dirigenten zu leidenschaftlichem Ausdruck anfeuern. Der Probenstress der letzten Wochen – oft bei Temperaturen von 45 Grad Celsius – hat sich gelohnt.

Auf dem Programm stand neben Schuberts „Unvollendeter“ und der symphonischen Suite „Don Quichote“ von Kara Karayev, dem derzeit wichtigsten Komponisten des Landes, ein neues Werk von dessen Schüler Elmir Mirzoev. Der 1970 in Baku geborene Musiker hatte schon 2001 als Mitglied des SoNoR-Ensembles für zeitgenössische Musik bei young.euro.classic teilgenommen. Danach hatte er einen Deutschkurs am Berliner Goethe-Institut und in Köln Kompositionskurse bei Karlheinz Stockhausen und York Höller belegt. Der zuletzt an ihn ergangene Kompositionsauftrag bedeutete für Mirzoev eine große Chance, hat er sonst doch kaum je die Möglichkeit zu Aufführungen größer besetzter eigener Werke. Wie der Komponist im Gespräch erläuterte, habe ihn der Unterricht bei Karayev auch menschlich geprägt, er förderte wohl sein Interesse für Philosophie und Politik. So nannte er eine frühere Komposition „Die gestorbene Zeit des Idealismus“, womit er das Ende totalitärer Ideologien meinte. An die Stelle gemeinsamer Ideale sei inzwischen der individuelle Hedonismus getreten. „Illumination“, den Titel seines neuen Werks, erklärt Mirzoev aus der Euphorie, mit dem er im Frühjahr den Vampirroman „Empire V“ des russischen Schriftstellers Victor Pelewin las. Unmittelbar nach der Lektüre dieser bitteren Satire über den neuen russischen Turbokapitalismus schuf er sein Orchesterwerk und widmete es dem Autor, der 2002/03 Gast der Berliner Künstlerprogramms des DAAD war.

Der Anfang des gut viertelstündigen Werks wirkte verheißungsvoll: einem gehaltenen Trompetenton antwortete schockhaft ein „chaotisches“ Orchestertutti, das langsam ausklang. Danach hörte man viel Klangsinnliches, etwa in der Kombination von Röhrenglocken und Vibraphon, was teilweise an York Höller erinnerte.  Trotz vielfältiger Farbwechsel blieb die Komposition insgesamt diffus, statisch und ziellos. Aserbaidschan gilt als das Land des Feuers und Baku als die Stadt der Winde. Hier aber wehte eher ein laues Lüftchen.

Dass die Junge Philharmonie Aserbaidschan im vollbesetzten Konzerthaus Berlin mit stehenden Ovationen gefeiert wurde, erklärte sich wohl nicht nur aus ihrer respektablen künstlerischen Leistung, sondern auch aus Sympathie mit diesem fernen Land – und aus vitalen ökonomischen Interessen. Der gegenwärtige Krieg in Georgien, der zeitgleich mit der Olympiade in Peking begann, hängt durchaus mit Aserbaidschan zusammen, werden doch dessen reiche Ölschätze über eine durch Georgien führende Pipeline nach Europa transportiert. Für den auch publizistisch tätigen Elmir Mirzoev handelt es sich bei diesem Krieg um eine globale Performance, um ein großes Schachspiel zwischen den Supermächten Russland und USA. „Wir in Aserbaidschan sind da nur eine kleine Figur.“

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!